Einzelbild herunterladen
 

Frauenstimme

Nr.21+ 42.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

>

15. Oktober 1925

Gemeindewahl und Jugendschuh.

Wilde Gerüchte gehen noch immer um über die Berwahr losung der deutschen Jugend. Wenn der Bürgersmann ver ächtlich von den proletarischen Nichtstuern und Taugenichtsen spricht, vergißt er, wie Kriegs- und Nachkriegszeit an der Jugend gehauft haben. Schlechte Ernährung und mangelnde Erziehung durch Abwesenheit des Vaters und Erwerbsarbeit der Mutter haben den Körperzustand verschlechtert und die geistige und sittliche Erziehung gefährdet. Trotzdem ist die Behauptung von der wachsenden Verwahrlofung der Jugend Lüge. Im Gegenteil: aus dem Jammer, in den unfere tapitalistische Wirtschaft unsere junge Arbeiterschaft täglich stößt, erhebt sie fich mutiger und zukunftsfreudiger denn je. Jeder weiß es, der die Augen offen hat, um zu beobachten, wie sie in den Stadtmauern nach den geistigen Gütern der Welt greifen, draußen die Landschaft ihres Baterlandes genießen.

Woher fommt das? Für die Arbeiterjugend arbeitet die Arbeiterschaft felbft zäh. Laufende stehen heute in Berlin im Dienst der Arbeiterwohlfahrt, namentlich Frauen, und die Arbeiterwohlfahrt ist eng verbündet mit der Sozial­demokratie. Die Arbeiterwohlfahrt will die durch Not und Erziehungslosigkeit gefährdete Jugend schüßen und bessern.

Aber die von der sozialistischen Arbeiterschaft getragene Arbeiterwohlfahrt hat nicht die Mittel, all das zu leisten, was die Jugendwohlfahrtspflege beansprucht. Man muß nur an die Waisenhäuser, Fürsorgerziehungsanstalten mit ganz mo­dernen erzieherifchen Einrichtungen denten, um das zu be greifen. Das ist auch nicht die moralische oder gefeßliche Pflicht der Arbeiterwohlfahrt. Die Pflicht der Gesamtbevöl. ferung ist es; ihre sozialen Zustände bringen ja die Not. Und so weit hat es der jahrelange politische Kampf der Sozial­demokratie gebracht, daß unsere geschriebenen Gesetze das an­erfennen. Sie weisen den Gemeinden diese Aufgaben zu, in unserem Falle also der Stadt Berlin . Für die Art der Tätigkeit eines Jugendamts, den Umfang seiner Leistungen - wieviel Jugendlichen sie zugute tommt und wie hoch zum Beispiel die Unterstützungen sind für den Geist, der in Waisenhäusern und Fürsorgeerziehungsanstalten, in Rinder gärten und Horten herrscht, ist seine Zusammensetzung ent­scheidend. Und sie wiederum wird von der Stadtverordneten versammlung bestimmt, die von der Einwohnerschaft gewählt

wird.

Das Berliner Jugendamt unterstand bisher einer Frau, und zwar einer Sozialdemokratin, der Genoffin Klara Weyl , die diesmal an der Spizze der sozialdemokra­tischen Stadtratstifte steht. Es hat in den letzten Jahren mit hervorragendem Eifer versucht, der Not unserer Jugend zu steuern, soweit das möglich ist, nach den vom Reichstag ge machten Gesetzen und den Bewilligungen finanzieller Mittel durch eine Stadtverordnetenversammlung mit bürgerlicher Mehrheit.

Das Jugendamt betreut gegenwärtig 40 000 Mündel als städtischer Amtsvormund, meistens uneheliche Proletarier finder, denen es Rechtsberater und Freund sein muß. Es hat ihren Unterhaltssag von etwa 25 Mark vor dem Krieg auf 35 Mart her aufgesetzt. 13 000 Kinder sind in Berlin bei ihnen fremden Leuten in Pflege. Das Jugendamt hat ihre Unterbringung zu beaufsichtigen, hat für gute Pflege und Er­ziehung zu sorgen.

17 000 aufsichtslose Kinder sind in Kindergärten und Horten untergebracht, die zum Teil der Ge­meinde gehören. Die Angestellten privater Anstalten unter­stüßen das Jugendamt. Häufig hat es die Kosten für die untergebrachten Kinder zu tragen.

Wandernde Jugendliche werden untergebracht, betreut, in die Heimat befördert.

Gegenwärtig hat Berlin 1481 von den Gerichten über­wiesene Fürsorgezöglinge in Obhut des Berliner Jugendamts. Das sind schwer erziehbare Kinder, denn in Fürsorgeerziehung kommen sie ja nur, wenn sie verwahrlost oder nahe daran sind, oder schon vor dem Strafgericht gestanden haben. Ein Teil der Kinder kommt in Landpflegeftellen, die das Jugend­amt erfundet hat und beaufsichtigt, andere in städtische An­amt erkundet hat und beaufsichtigt, andere in städtische An­stalten.

Moderner Geist ist in diese Anstalten eingezogen. Der Fürsorgezögling ist fein Sträfling mehr und wird auch nicht allein mit Gebeten erzogen. Körperliche Büchtigung, Arrest, Koftschmälerung kommen als Erziehungsmittel nicht mehr in Betracht. Familiensystem, Erziehung durch Arbeit und Selbstverantwortlichkeit, Arbeit, Sport und Spiel in der Natur, Kampf gegen Alkohol und Schundliteratur sind an ihre Stelle getreten. In Lehrwertstätten werden fie für einen Beruf ausgebildet. Weibliches Personal ist an­gestellt, um den Kindern das weiblich- mütterliche zu geben.

Was hier von den Fürsorgeerziehungsanstalten gesagt worden ist, gilt auch für die Waisenhäuser, Erzie hungsheime, Kindergenesungs- und Erho. lungsheime und das Lehrling sheim.

Ein Amt wie das Berliner Jugendamt, das so tief in die Not der gefährdeten und schon verwahrlosten Jugend blickt, muß, wenn es von echter sozialer Gesinnung getragen ist, alles tun, dieser Not vorzubeugen. Darum hat das Berliner Jugendamt selbst Jugendpfleger angestellt, darum unterstützt und fördert es die Vereine nicht. Es stellt ihnen nicht nur feinen Rat und fein Geld zur Verfügung, sondern auch Räume und in ihnen Schreibs, Lese- und Spielmaterial! Es speist Schulkinder, es hat Jugendbüchereien begründet, Werkstätten für den Handfertigteitsunterricht eingerichtet, Spielpläge in und vor der Stadt geschaffen oder aus. gebaut. Der gute Film wird gezeigt, Schund in Kino und Literatur werden bekämpft.

Besonders hat sich das Jugendamt der Erholungs­fürsorge gewidmet, Kinder werden im Sommer täglich oder Schulkinder doch in den Ferien vor die Stadt geführt und beföstigt, erholungsbedürftige hinausgefandt aufs Land in Familien oder Heime.

Das alles muß nun fortgeführt und ausgebaut werden. Am 25. Oftober hat Berlin Wahlen zur Stadtverordnetenver fammlung. Wir haben schon gesagt, daß die Wahlen Zufam. mensetzung und Arbeit des Jugendamts bestimmen. Die bürgerlichen Parteien bringen der Notlage der proletarischen Jugend wenig Interesse entgegen, höchstens einmal einzelne Mitglieder. Die Kommunisten haben feinen Sinn für praf. tische Arbeit. Die Sozialdemokratie ist eins mit diefer Jugend und wird für sie kämpfen und arbeiten. Darum werbet und wirkt für den

Sieg der Sozialdemokratie am 25. Oktober!