Einzelbild herunterladen
 

Wenn der Schreiber im Hinblick auf aufnahmefähige Frauen­berufe meint: Boran stehen wohl die Nähberufe: Schneiderin, Weiß näherin, Flickschneiderin, Ausbesserin, Buhmacherin, Strohhutnäherin und Stickerin," so muß leider widersprochen werden. Es be steht ein unheilvoller Drang zu diesen Berufen, weil sie dem Bedürf­nis vieler Frauen entgegenkommen.( Heimarbeit für Mütter fleiner Kinder.) Aber gerade deshalb feiert hier die Interbietung Orgien wie faum auf einem anderen Gebiet. Es gibt vereinzelt Unternehmer, die sich ehrlich schämen, welche Löhne fie den Heim­arbeiterinnen anbieten. Aber wenn sie, eingetrallt in das Getriebe des kapitalistischen Systems, nicht mit den Wölfen heulen, so müssen fie heute rettungslos untergehen. Ein paar Beispiele: Für ein Duhend Oberhemden mit Falten und Manschetten wird 3,80 m. Arbeitslohn gezahlt, für ein Ballkleid, am Hals und an den furzen Aermeln gepaspelt, in Gürtelhöhe neunmal gezogen, 45 Bf.. für ein Manteltleid 60 Pf. bis 1 M.! Die Stickerei kommt überhaupt nicht in Betracht, da sie außer Mode ist und gerade die Stickerinnen zu den Umschulungsbedürftigen gehören. Werkstatt­arbeiterinnen werden in größerer Zahl entlaffen als eingestellt, da Heimarbeit billiger ist.

-

Das Umschulungsbedürfnis ist in dieser Zeit auch für die weib­lichen Arbeitskräfte ein Maffenbedürfnis geworden. Aber dem ent­spricht nirgendwe eine Lücke im Wirtschaftsleben, die für eine ins Gewicht fallende Anzahl Arbeitsloser Raum bietet. So kann nur die einzelne zusehen, wie sie vielleicht unterschlüpfen kann.

Diese Erkenntnis darf uns nicht verzweifeln lassen, sondern muß alle Kräfte zum Nachdenken anfpornen. So fommen wir zu zwei Richtlinien. Zunächst muß bei der Berufswahl der Jugendlichen viel ausschließlicher als bisher nach der persönlichen Eig nung und nicht nach irgendwelchen äußeren Gründen entschieden werden. Nur die Uebereinstimmung der menschlichen Veranlagung und Wünsche mit den Berufsanforderungen gibt Gewähr für größt mögliche Qualitätsleistungen. Diese aber sind weniger leicht entbehrlich als Durchschnittsleistungen oder gar mißmutig voll­brachte minderwertige Arbeit. Eine gute Plätterin ist tausendmal mehr wert als eine schlechte Lehrerin. Dazu kommt, daß, wenn ein Mensch einen Beruf hat, den er nach seiner Neigung wählen durfte, er unter schlechten Einkommensverhältnissen, wie sie heute in jedem Beruf mehr oder weniger herrschen, viel weniger leidet, als wenn ihm aus der Tätigkeit selbst keine Spur von Befriedigung erwächst.

Der andere Gedanke, den diese Verhältniffe uns nahelegen, ist folgender: Millionen darben, und es ist nicht genug Arbeit für die Arbeitswilligen vorhanden. Läßt sich wohl ein größerer Widerfinn denken? Diese Unlogit ist tief im tapitalistischen System be­gründet, und nur eine fozialistische Wirtschaftsorganisation fann Befreiung bringen von den finnlosen Fesseln, die sich die nach Waren und Lebensmitteln hungernde Welt felbst auferlegt hat. Ihr arbeitslosen Frauen, denen ihr Recht auf Arbeit nicht wird, vergeßt über eurer täglichen persönlichen Rot diefe Zusammenhänge nicht! Laßt sie euch vielmehr ein Ansporn fein, Schulter an Schulter mit den Männern gegen die Reaktion in jeder Gestalt, die die Herrschaft des Kapitalismus feftigen hilft, zu kämpfen!

II.

Hanna Schwab.

Die Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit unter den weiblichen Kaufleuten groß ist, wird niemand bestreiten, jedoch soll man sich hüten, Ratschläge auf Umschulung zu erteilen, von denen von vorn herein feststeht, daß für die umgeschulten Kräfte Arbeits­gelegenheit auf Jahre hinaus in der Bekleidungs­sind industrie nicht zu finden ist.

Wenn in den. Facharbeitsnachweisen der weiblichen Kaufleute 17 000 Arbeitslose eingetragen sind, hätte doch Genosse Hermes auch einmal nachprüfen müssen, wie groß die Zahl derer ist, die im Facharbeitsnachweis( weibliche Abteilung) der Bekleidungs- und Textilindustrie eingetragen sind. Die Zahl liegt seit Herbst 1925 bis zum heutigen Tage, von einigen Schwankungen abgesehen, nicht viel unter der der weiblichen Kaufleute.

-

Auch ganz erklärlich ist doch die Zahl der Konkurse und Betriebsstillegungen besonders groß in der Bekleidungsindustrie. Es ist nicht selten, daß Bekleidungsfirmen aller Branchen, die noch im vorigen Jahre mehrere hundert Arbeitskräfte beschäftigten, heute nur fünf bis zehn Arbeitskräfte haben. Hieraus ist doch der Schluß zu ziehen, daß auf Jahre hinaus nicht daran zu denken ist, daß diese Firmen ihren alten Arbeiterstand wieder erreichen.

Wenn etwas zutrifft für die Bekleidungsindustrie, ist es auf Jahre hinaus das: Ausgeschlossen erscheint es, allen arbeits­losen weiblichen Kräften wieder Arbeit in der Bekleidungsindustrie zu verschaffen. Diese Sorge wird noch größer, wenn man berück fichtigt, daß neben den vielen Tausenden eingeschriebener Ar beislosen im Arbeitsnachweis es noch Tausende von weiblichen Arbeitskräften gibt, die aus irgend welchen Gründen nicht zum Arbeits. nachweis gehen, sondern sich meistens Stellung durch die Zeitung fuchen. Hinzu kommt noch, daß ein gewaltiges Ueberangebot ju gendlicher Kräfte vorhanden ist, deren Zahl ebenfalls in die Laufende geht, so daß es gewiß richtiger wäre, auf ein paar Jahre für die Bekleidungsindustrie jegliche Einstellung von Jugendlichen bzw. Lehrlingen zu unterbinden.

Die jahrzehntelangen Bestrebungen des Deutschen Bekleidungs­arbeiterverbandes zur Schaffung tarifvertraglicher Berhältnisse haben endlich einigermaßen tarifvertragliche Ordnung geschaffen; fie wird aber geradezu bedroht durch Ratschläge wie, daß jede Frau immer noch ein ein paar Mark mit der Nadel verdienen könne.

Noch unverantwortlicher ist jedoch, den weiblichen Kaufleuten den Rat zu geben: Werdet Heimarbeiterinnen". Bon der

Heimarbeit hat doch eine Fochfrau hier schon erzählt, daß in bezug auf Bezahlung vollkommene Anarchie herrscht. Seit Jahrzehnten fämpft der Deutsche Bekleidungsarbeiterverband für Abschaffung der Heimarbeit, weil sie eine rückständige Produktionsweise ist und weil sie wirtschaftlich und gesundheitlich die Heimarbeiter auf das schwerste schädigt. Angesichts dieser ungeheuren Volksgefahr, die gerade in der Heimarbeit liegt, ist es Pflicht aller, vor den gesund­heitlichen Gefahren die Arbeiter zu bewahren und die Auf­lösung der Heimarbeit herbeizuführen nicht aber, sie noch au empfehlen.

-

Die weiblichen Kaufleute seien gewarni! Mögen sie bei einer Umschulung erst den Rat der jeweilig zuständigen Gewerkschaft ein­holen, damit nicht falsche Ratschläge zur Enttäuschung führen! Willy Lehmann .

spolise

Bekleidungskunst!

Einfluß der Reformbewegung auf die Mode.

I.

-

Was beginnen die Frauen mit dem dargebotenen Reichtum an Farben, Formen und Materialien sofern sie überhaupt daran teilzunehmen vermögend genug sind! Er verwirrt fie, weil sie ziellos davorstehen, und vermehrt ihre Fehler. Im Haus und in der Werkstatt, auf der Straße und bei öffentlichen Zusammen­fünften, überall begegnet man Sinnlosem: falschen Farben, die dem Charakter und dem Teint widersprechen; falschen For men, dem Alter und der Körperlichkeit der Trägerin zuwider; Materialien, wahllos verwandt, ohne Verständnis ihres stofflichen Wesens verarbeitet u[ m.

Blaffe Blondinen stürzen sich in Burpur, in Kobalt, ins giftigste Grün, und find entrüstet, als bleichsüchtig zu gelten. Bronzne Brünetten friechen in astrales Grau, in filbriges Gelb; und jeder erschricht vor dem Indianermischling, der herausschaut. Da läuft ein Kleid, dessen schriller Farbstreit derart blendet, daß die Trägerin selber einfach nicht mehr egiftiert. Eine Unschuldsdame, die leider etwas did ausfiel, übersteigert ahmungslos die Korpulenz, indem sie sich in einen gradgeschnittenen Kittel stedt, in eine Walze, mit dem Lot gearbeitet, präzise senkrecht. Ihre Begleiterin, mehr als einen Kopf fleiner, also sehr flein, trägt einen Gürtel in der Mitte der Oberschenkel; wenn sie jene berühmten Reklame- züderhüte sieht, mit den kurzen Streichholzbeinchen, überzeugt sie sich eiligst, fein Spiegelbild vor sich zu haben. Ein verliebtes junges Mädchen läßt sich, zu Werbezwecken, eine weite Bluse bauen, deren heim­tüdische Schlotterfalten dann, zusammen mit des Roces gleichfalls mageren Längsstreifen, das letzte Stadium der Auszehrung vor­täuschen; über diese geometrische Wirkung, ihr selber unbegreiflich, entsegt sie sich täglich von neuem vorm Spiegel, Gram und heißen Kummer im Herzen. Hier sieht man spinnwebfeinen Boile in glatter Machart verlangweilt, daneben starte Leinwand gewaltsam geträufelt, dort den festlichen, stolzen Glanz der Seide ohnsinnig von Fältchen, Schleifen, Knöpfen, Einjähen, Spizchen, Treffen tumultuarisch belästigt. Falsche Spigen blähen sich auf würdiger, folider Wolle. Qualitäten, die relativ nicht gleichen Wertes find, ergeben Mißflänge, wie in der Farbenwelt bleiches Zinnober und blaffes Rosa, zusammengefoppelt. Eine Mezgersfrau in seidener Hülle wiegt Rindfleisch. Eine Hausfrau in abgelegter Sonntags­bluse aus perlgesticktem Samt pußt die Fußböden. Die Hyper­moderne springt von der Tram und fällt unter ein Fuhrwert, weil das modische Röckchen sehr eng sein muß. Bei lose gegürtetem Kittelkleid trägt das Bureaumädchen einen so weiten Halsausschnitt, daß männliche Kollegenschaft die Augen wohlig zu versenken ver führt wird: in jener abgrundtiefen schönen Aussicht", die sich häufig öffnet, weil die junge Dame fich häufig büden muß. usw., usw.

Jeder also, der Augen hat, zu sehen, merkt, daß etwas nicht stimmt. Diese leider noch verworrene Mannigfaltigkeit innerhalb der Mode ist neu. der Mode ist neu. Diese Gleichzeitigkeit aller Farben und vieler Formen verwischt den früher so schroffen Wechsel und die noch bis zum Kriegsbeginn so tyrannische Einförmigkeit, die immer nur einen Typus begiüdte, alle anderen Frauen aber zu dessen mehr oder weniger grotesken Karikaturen mastierte. Diese uniformierende Macht der Mode ist gebrochen. Das Individuum hat die Möglichkeit, fich ganz frei zu machen. Es gälte, diese Gelegenheit auszunügen, bevor jenes Chaos an Abscheulichkeiten und Lächerlichkeiten sich verewigt, oder die Borkriegsdespotic wiederbeginnt.

Jeder Mensch ist einzig. Jede Individualität, jeder Charakter, jede Frau sollte für die wechselnden Gezeiten ihres Lebens, für Freud und Leid, für Arbeit, Haus und Welt, ihre Gewandung in der jeweils einzig möglichen Art, Form und Farbe sich schaffen können, die ihre Eigenart und ihre feelischen Wandlungen bekennt. Der Versuch schon, den Sinn der Kleidung einzig der Würde des Herzens bedachisam anzumeffen, löst emanzipierende Kräfte. Melo­dien schlummern, der Hand des Meisters wartend. Wenn jeder er felbst ist, find alle gleich wert.

II.

Mode Reformbestrebungen begleiteten die Frauen­bewegung, die gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts mit breiterer Kraft einsette; und mit ihnen traten, nach mancherlei älteren, mißglüdten Borstößen, erstmalig ernste Kämpfer gegen die Mode auf den Plan.

Bon den ersten Anfäßen einer Reformbewegung wird, wie des näheren aus den Modebüchern Mag von Boehns ersichtlich ist, schon im 18. Jahrhundert berichtet. 1785 veranlaßte der Heraus geber des Frauenzimmeralmanachs", einer damaligen Modezeitung, den berühmten Kupferstecher Daniel Chodowiecki , ein deutsches