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Ausbau der Mutterschaftshilfe.

Nach langen Mühen ist es der sozialdemokratischen Reichstags­fraktion endlich gelungen, in die bisher gültige Wochenhilfsgesetz­gebung zwei wesentliche Verbesserungen hineinzubringen: die Ge­währung der unentgeltlichen Hebammenhilfe und die Berlängerung des Schwangerenschutes für die er werbstätige Frau. Dieser Erfolg ist um so höher zu bewerten, als der ursprüngliche Regierungsentwurf sogar noch eine Verschlechte­rung, nämlich die Herabsetzung des Wochengeldes und den Fortfall des Stillgeldes, vorgesehen hatte. Wenn es auch im vorigen Jahre dem Protest der Aerzte, der sozialen und Wohlfahrtsvereinigungen und dem Widerspruch unserer Partei und der Krankenkassen gelungen war, den Reichsrat zur Ablehnung dieser Verschlechterungbestim­mungen zu veranlassen, so bot doch der im Dezember des vorigen Jahres dem Reichstag unterbreitete Regierungsentwurf immer noch eine Gefahr für den Bestand der Mutterschaftsfürsorge durch den vorgesehenen Wegfall der teilweisen Rückerstattung der Familienwochenhilfe seitens des Reiches an die Krankenkassen. So mußte unsere Fraktion selbst die Initiative ergreifen. Unsere Forderungen auf Ausbau der Reichsversicherungsord­nung in bezug auf Hebammenhilfe und Erweiterung der Dauer und Höhe des Wochengeldbezuges mußten verbunden werden mit der Forderung auf Ausgestaltung der Reichsgewerbeord nung hinsichtlich des Arbeitsverbots für Schwangere. Diese For­derung wurde von unserer Fraktion in den Antrag auf Ratifizierung des Washingtoner Abkommens über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft gekleidet. Dieses inter­nationale Uebereinkommen sieht eine Arbeitsruhe von je 6 Wochen vor und nach der Entbindung für jede im gewerblichen Betriebe, im Verkehrsgewerbe und im Handelsbetriebe tätige Frau vor, ferner eine Vergütung, die ausreicht, um sie und ihr Kind in guten gesundheitlichen Verhältnissen zu erhalten." Die wichtigste Be­stimmung aber ist das Kündigungsverbot für den Arbeit­geber aus Anlaß einer solchen Arbeitsniederlegung, eine Bestimmung, die der Frau erst die wirtschaftliche Freiheit gibt, Rücksicht auf ihren Zustand und auf ihr Kind zu nehmen. Diese Bestimmung hat es auch, zusammen mit politischen Bedenken, veranlaßt, daß die Ratifizierung des Washingtoner Uebereinkommens zunächst bis auf den Herbst verta gt wurde, weil die Mehrheit des Reichstages sich ebensowenig wie die Regierung zu einer solchen Beschränkung der Machtbefugnisse des Arbeitgebers entschließen konnte, solange andere große Wirtschaftsstaaten, wie Frankreich und England, nicht vorangegangen find.

Schon im Erfurter Programm finden wir die Forderung ,, unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel". Für die ver ficherie Wöchnerin und die Gattin des Versicherten ist dieser Saz in bezug auf die ärztliche Behandlung bei Schwangerschafts. beschwerden und bei der Entbindung schon vor Jahren von der Sozialdemokratie im Reichstage durchgesetzt worden. Dieser im Laufe der Jahre als segensreich erprobte Fortschritt ist nunmehr ausgedehnt worden durch Gewährung der unentgeltlichen Hebammenhilfe und der Arznei und der kleineren Heil­mittel, die bei der Entbindung notwendig werden. Dazu kommt für die sonstigen Kosten der Entbindung ein Beitrag von 10,- M. oder, falls eine Entbindung nicht stattfindet, von 6, M. Gegen­über dem bisher geleisteten Beitrag von 25 M., der nicht einmal ausreichte, die Hebamme zu bezahlen, geschweige denn irgendwelche Anschaffung zu bestreiten, ist dies eine erhebliche praktische Ver­befferung. Fast noch höher aber ist im Hinblick auf den jahrzehnte­langen Kampf der Sozialdemokratie um Sicherstellung des aller­primärsten Geburtsschutzes, nämlich der Hebammenhilfe, der prinzipielle Erfolg. Handelt es sich zunächst auch nur um den Kreis der direkt oder indirekt Versicherten, so wird es Sache unserer Genossen in den Kommunen und Kreisen sein, den§ 12 der Reichs­grundsäge über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge in die Tat umzusetzen, d. h. den Satz: Die Hilfe( für Schwangere und Wöchnerinnen) soll ihnen das sicherstellen, was die Reichsversicherungsordnung den Familienangehörigen eines Ver­ficherten gewährt." Es bleibt also außerhalb der Versicherten und der unter die Fürsorgepflichtverordnung fallenden Hilfsbedürftigen nach Durchsetzung des genannten Grundfakes nur noch ein fleiner Kreis, dem der Vorteil der freien Hebammenhilfe nicht zufällt.

Bei der Schaffung dieser Bestimmungen mußten allerdings auch die Wünsche der Krankenkassen und Hebammen mit in Rechnung gestellt werden. Die durch die wirtschaftliche Lage hervor­gerufenen Schwierigkeiten der Krankenkassen und Hebammen und die Auswirkung des Geburtenrückganges auf den Hebammenberuf durften nicht außer Acht gelassen werden. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Regelung dieser Frage durch die Landesbehörden ergeben, haben die Mehrheit des Reichstages veranlaßt, den Beginn der Geltung dieser Beftimungen auf den 1. Oktober dieses Jahres festzusetzen.

Die zweite Verbesserung des bisher geltenden Zustandes liegt in der Erweiterung der Zahlung des Wochengeldes vor der Entbindung um zwei weitere Wochen für die selbstversicherte Wöchnerin, wenn die Schwangere während dieser zwei Wochen keine Beschäftigung gegen Entgelt ausübt und vom Arzte festgestellt wird, daß die Entbindung voraussichtlich innerhalb 6 Wochen stattfinden wird. Die Möglichkeit, sich zu schonen, soll der Wöchnerin fünftig auch dadurch gegeben werden, daß das Wochengeld vor der Ent­bindung jeweils sofort und nicht erst mit dem Tage der Entbindung fällig wird, also wöchentlich zu erheben ist. Irrt sich der Arzt bei der Berechnung des Zeitpunktes der Entbindung, so hat die Schwangere gleichwohl Anspruch auf das Wochengeld von dem im ärztlichen Zeugnis angenommenen Zeitpunkt an bis zur Entbindung. Leider wurden unsere Anträge auf Erhöhung des Wochen­und Stillgeldes von den bürgerlichen Fraktionen abge­lehnt. Geradezu Empörung hat jedoch bei allen Fraktionen des Reichstages die von unserer Fraktion zur Sprache gebrachte Tatsache ausgelöst, daß in einer Reihe von Städten die Wochenhilfe teilweise auf die Erwerbslosenunterstübung angerechnet wird. Auch die Regierung fand kein Wort der Verteidigung dafür, daß dem erwerbslosen Familienvater entzogen wird, was dem in Arbeit stehenden zukommt. Allerdings fann der verantwortlichen Abteilung des Reichsarbeitsministeriums der Vorwurf nicht erspart werden, daß die mißverständliche Fassung des§ 7 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 16. Februar 1924 den Anlaß dazu gegeben hat. In einer einstimmig vom Reichstage angenommenen Entschließung Schröder und Genossen" wurde die Reichsregierung ersucht, durch Einwirkung auf die Landesbehörden zu verhindern, daß eine Anrechnung von Wochenhilfe oder Familienwochenhilfe oder eines Teiles davon auf die Erwerbslosenfürsorge in Zukunft erfolgen kann. Luise Schröder.

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Eine Schandtafel.

Es hat schon ein wenig lange gedauert, bis man begriffen hat, daß neben der Hebung der Bollblutzucht und ähnlichen bedeutenden Aufgaben auch die Säuglings- und Mutterfürsorge eine Angelegen­heit ist, an der Reich und Länder nicht länger vorbeigehen dürfen. Erst im letzten Jahrzehnt ist man ernstlich daran gegangen, dieses Gebiet nicht mehr völlig der privaten Fürsorge zu überlassen. Es wäre aber durchaus abwegig, aus den vielen schönen Reden, mit denen uns die weitgehende( nach Meinung gewisser Kapazitäten 3u weit gehende") Fürsorge gepriesen wird, darauf zu schließen, daß diese Erkenntnis nunmehr Allgemeingut aller amtlichen Stellen ge­werden ist. Lehrreiche Aufschlüsse über die Einstellung der diversen deutschen Vaterländer zu diesem Problem vermittelt das Ende 1925 Kleinkinderfürsorge von Prof. Dr. F. Kott. Im zweiten erschienene Handbuch der Mutter, Säuglings- und Band dieses Werkes werden alle in Deutschland vorhandenen Institu tionen für Säuglings-, Schwangeren und Mutterfürsorge aufgezählt. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß es in Deutschland nicht nur im dunkelsten Bayern , sondern auch in Gegenden, bei denen man eine beffere Einstellung zu volkshygienischen Problemen vermuten sollte, recht eigenartige Auffassungen herrschen müssen. tion für Säuglings- und Mutterschutz. Die Mehrzahl dieser Kreise So sind in Preußen noch 17 Kreise ohne jede Institu­liegt nicht etwa in Ostpreußen oder unkultivierten" Grenzstrichen, sondern gerade in Brandenburg ( 3), Hannover ( 5) und essen Nassau( 4). Besonders bemerkenswert dabei ist, daß fich unter diesen fürsorgeverlassenen Gegenden fogar Städte wie Rottbus und Bom st befinden! Bayern hält natürlich den Reford, hier find 37 Bezirksämter ohne jede Für. forge. In Württemberg find 5 Kreise und 6 Ober­ämter ohne derartige Einrichtungen. Selbst diese Statistik würde aber noch ein zu schmeichelhaftes Bild unserer Fürsorgeeinrichtungen ge­ben; eine ganze Anzahl der angefragten Stellen haben sich anscheinend der Zustände selbst geschämt und bemühen sich nach Kräften sie zu bemänteln. Diese haben Angaben eingeschickt wie: Die Säuglingsfürsorge wird von den Damen des Vaterländischen Frauenvereins" ausgeübt. Regelmäßige Sprechstunden finden nicht statt; ein preußischer Kreis( Wolfhagen , Hessen- Nassau ) erklärt frisch und frei: ,, Die Säuglingsfürsorge wird durch Hebammenbesuche aus geführt."" Gemeint sind hier anscheinend die Wickelgänge", die die Hebammen in den ersten 7 Tagen machen. Dazu kommt, daß eine ganze Reihe von Kreisen nur durch einzelne geschlossene Heime, oft praktisch dort also auch für die Allgemeinheit, d. h. besonders für das fogar nur durch irgend ein Erwerbsunternehmen vertreten sind, Proletariat, feinerlei Fürsorge besteht.

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Es wäre dringend zu wünschen, wenn sowohl die Arbeiter­wohlfahrt wie auch unsere Gemeindevertretungen fich einmal dieser Materie energisch annehmen würden. Was hier mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu erreichen ist, beweist Sachsen . Dort haiten angestellte Aerzte mindestens einmal im Monat in allen größeren Dörfern in der Schule, im Pastorat, manchmal sogar im Gasthaus, Sprechstunden ab, so daß das ganze Land mit einem eng­maschigen Netz von Fürsorgestellen überzogen ist, ohne daß private Wohltäterei irgendwie in Anspruch genommen wird. Auf dieses leider einstweilen( d. h. zum St. Nimmerleinstag) zurückgestellt wird, Beispiel kann überall dort, wo ,, aus Mangel an Mitteln" diese Sache hingewiesen werden. R. Ewald.