Warum Sexualberatung?
Die Wirtschaft der Gegenwart zerstört das Heim als Lebens gemeinschaft, in der neue Kräfte zum Tagestampf sich sammeln fönnen, da es beide Ehepartner zum Broterwerb meist außer dem Hause zwingt.( In besitzenden Ständen tritt an Stelle des Broterwerbs der Frau oft ein anderer außerhäuslicher, aber doch von dem des Partners verschiedener Interessenkreis.) Bielmehr sind die wenigen Stunden gemeinsamen häuslichen Zusammenseins nur zu oft Veranlassung zu Reibungen zwischen den beiden ermüdeten, nerrösen Menschen, selbst dort, wo aufrichtige gegenseitige Sympathie vorhanden ist. Das alles verschlimmert sich bis zur Unerträglichkeit, wenn das persönlicher Zusammenleben außerdem noch von anderer Seite eine Belastung auszuhalten hat und hier ist die Stelle, an der eine vernünftige und fachkundige Beratung oft Hilfe oder wenigstens Erleichterung schaffen kann. So zum Beispiel, wenn beide Teile sich Kinder wünschen und nicht den Grund kennen, weshalb ihr Wunsch nicht erfüllt wird; oder wenn sie umgekehrt schon so viele Kinder haben, als sie gerade satt machen können, und weiteren Zuwachs nicht mehr verantworten zu können glauben; oder wenn der Gesundheitszustand der Frau keine weiteren Schwangerschaften erlaubt; oder wenn vererbliche Krankheiten den Nachwuchs gefährdet erscheinen lassen.
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Es liegt auf der Hand, daß solche und ähnliche Schwierigkeiten lich weit besser und weniger schmerzlich lösen lassen, wenn sie vor Eintritt in die Ehe besprochen werden; aus diesem Grunde empfiehlt es sich, daß die Verlobten schon sich zum erfahrenen Seruale berater begeben, um Schwierigkeiten zu flären und ihre förperliche Eignung zur Ehe feststellen zu lassen. Wo es sich um Eheschließung zwischen Verwandten handelt, kann die auf Kenntnis der Vererbungswissenschaft fußende Beratung die Möglichkeit nachteiliger Folgen für die Kinder berechnen.
Aber auch außerhalb der Ehe Stehenden fann in mancher lei Bedrängnis geholfen werden, ist es doch eine Tatsache, daß gerade sie häufig seelisch schwer zu leiden haben und am wenigsten Gelegenheit zu klärender Aussprache finden. Gewissenhafte Menschen, die in diesen wichtigen Fragen sich Rat zu holen wünschen und ihn in den von mancher Seite angepriesenen Aufklärungsschriften suchen, gehen aus dieser Lektüre oft noch unbefriedigter und voller Zweifel hervor. In solchen Fällen kann eine Aus= Sprache von Mensch zu Mensch erlösend wirken. In unseren Beratungsstellen steht den Ratsuchenden eine Aerztin und ein Arzt zur unentgeltlichen Verfügung.
Wir wissen, wie stark die Hemmungen sind, die im Bewußtsein des Ratsuchenden einer solchen Aussprache oft entgegenstehen. Hat man doch bisher alles, was mit ferueller Not zusammenhängt, forg fältig auszusprechen vermieden und mit dem Odium der Unanständigkeit belegt. Die bisher herrschende sexuelle Moral war eine einseitig männliche, der sich die Frau schweigend beugte; und das neuerwachte selbständige Wertbewußtsein der Frau, das auf thre selbständigen Leistungen auf beruflichem Gebiet zurückgeht, fann hier erst allmählich Wandel schaffen. Unsere Zeit ist daran zu entdecken, daß die seelischen Werte der Frau als andersartig, aber gleichberechtigt sich mit denen des Mannes auseinanderzufezen haben. Diese Auseinandersetzung bleibt feinem erspart: wir sehen ihre Spuren im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben; im Geschlechts- und Liebesleben aber ist sie besonders tiefgreifend und schmerzlich, weil hier die persönlichsten Empfindungen angerührt werden und das innerste Glück des Menschen auf dem Spiele steht. Wir wissen, wie leicht manches harmonische Verhäitnis zweier Menschen dadurch zerstört wird. daß der eine Teil kein Berständnis aufbringen fann oft in scheinbar geringfügigen Dingen für das ganz anders geartete Bedürfnis des andersgeschlechtlichen Partners. Rückschauend können wir nur ahnen, wieviel Glücksmöglichkeiten im Zusammenleben der Menschen bisher durch derartige. Mißverständnisse zerstört worden sind. Die moderne Frau hat das Recht und die Pflicht, dieses Gebiet in den Kreis ihrer bewußten Lebensgeftaltung einzubeziehen, angespornt von der großen Berantwortung des sozialistischen Menschen, in seinem eigenen Leben und dem der ihm Nahestehenden wenigstens die ideale Gemeinschaft anzustreben, die für die Gesamtheit zu erreichen ein Ziel der sozialistischen Bewegung iſt.
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Mit den Beratungsstellen( des Bundes für Mutter Schuß und Sexualreform) für Ehe- und Serualfragen soll versucht werden, ein wenig hier zu helfen. Die Organisation der Stellen ist auf interparteilicher Grundlage aufgebaut, aber ihr Geist ist der der gegenseitigen Hilfe in dem oben angedeuteten Sinne. Die Beratung ist völlig fostenlos und findet Donnerstags von 7 bis 9 Uhr abends An der Schillingbrücke 2( Gesundheitsamt) durch eine Aerztin und Sozialberaterin, Montags von 7 bis 8 Uhr abends Am Urban 10/11 durch einen Arzt und eine Sozialberaterin statt. Lotte Neißer- Schweter.
Polizei und Kind.
Der Weihnachtsmann hat im letzten Jahre den Kindern Schupos als Spielzeug gebracht. But so! Denn was fönnte geeigneter fein, der Polizei beim Kinde Popularität zu verschaffen, als wenn sie ihm als Spielzeug dienen darf. Wird aber nicht ihre Autorität daran Schaden erleiden? Eine unnüze Befürchtung! Indem das Kind mit der Polizei oder Polizei spielt, identifiziert es sich mit ihr; der Schupomann wird zum erstrebenswerten Ideal. Also an Stelle
von Bleifoldaten Schupcleute. Eine Berschiebung des Schwerpunktes in der Erziehung vom Militarismus zum staatsbürgerlichen Bewußt fein. Der Anfang einer Verschmelzung von Bolt und Staat. Der Verkehrsschußmann als Sinnbild dieser Verschmelzung. Das Ende des Kinderschrecks: Ich hole gleich den Polizisten. Die Antwort des Kindes fönnte unter Umständen lauten: hole ihn nur, ich sage ihm, was du für eine böse Mutti bist."
So vollzieht sich im Bewußtsein des Kindes und mit diesem auch im Bewußtsein des Staatsbürgers eine Wandlung, langfam aber ftetig: die Wandlung zur Erkenntnis vom Volkspoliziften. Diefe Wandlung kann sich aber nur unter der Bedingung vollziehen, daß der Polizeibeamte wirklich allmählich Bolts polizist wird. Wird er dies? Doch, er befindet sich auf dem Wege dahin. Und es find gerade die oberen Polizeibehörden, die nicht allein in Zirku laren, sondern auch in Polizeischulen und in der Polizeiliteratur ihm den Weg weisen wollen. Da ist zum Beispiel vor furzem im Berlage Gersbady und Sohn, Berlin , ein Bändchen erschienen, das den Titel " Polizei und Kind" trägt. Ueber das eigentliche Thema spricht darin der Oberregierungsrat Dr. Degenhardt. Oberregierungsrat Dr. M. Hagemann erzählt viel Wertvolles über die„ Kriminalität der Jugendlichen".
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Der erste Autor zeigt das Wesen und Wirken der Polizei auf. 3weifellos färbte die allgemeine Einstellung zum Erziehungsproblem auch auf die Einstellung der Polizei zu ihren Aufgaben als Er ziehungsorgan des Voltes ab. Die Bevormundung der Jugend durch die Alten, der Autoritätsfimmel, die Forderung des unbedingten Gehorsams, die Unterdrückung der Selbständigkeit im Denken und Handeln, die Strenge als alleiniges Erziehungsprinzip alle diese pädagogischen Weisheiten, die selbst heute noch ihr Unwesen treiben, als allem selig machendes Mittel von Elternhaus und Schule geübt werden und in der so beliebten förperlichen Züchtigung ihren frassesten Ausdruck finden, sind ja die gleichen Mittel, die die Bolizei gegen den mit beschränktem Verstand begabten Untertan prattizierte. Und es ist ja auch kein Zufall, daß gerade im modernen Staate, der fich auf dem Wege zur Festigung der demokratischen Republik befindet, die Jugend gegen den Autoritätsdünkel der Alten rebelliert und die Bolizei fich allmählich dessen bewußt wird, daß sie auch mit anderen Mitteln als mit denen des Druckes den Bürgern imponieren kann.
Die Stellung der Polizei zum Kinde, wie auch die Welt des Kindes, in die der Autor sich vorzüglich einzufühlen versteht, bilden den Inhalt der ersten Kapitel feines Büchleins. Er spricht hier von der Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Kindes, von seiner Lebensform und von dergleichen mehr. Die weiteren Kapitel sind der Polizei als Lehrer und Erzieher, insbesondere im Straßenverfehr, der Polizei in der Grund-, Mittel- und höheren Schule ge widmet; sie soll in der Heimatkunde, im Geschichtsunterricht und der Staatsbürgerkunde einen ihren gebührenden Blah erhalten.
Der Polizeibeamte muß die Psychologie des Jugendlichen kennen, denn nur so ist er in der Lage, die erforderliche Einstellung zu ihm zu finden. Die lehrreichen Ausführungen des Dr. Hagemann über die„ Kriminalität der Jugendlichen" sind geeignet, der Polizei Verständnis für„ verbrecherische" Jugend beizubringen; fie bieten auch dem Interessenten viel Wertvolles. Die Besonderheiten des jugendlichen Alters zeigt der Autor an einer ganzen Reihe gut gewählter Beispiele. Er bespricht die Ursachen der jugendlichen Kriminalität und ihrer Formen. Eins vermißt man jedoch im Büchlein: ein Eingehen auf die Psychologie des politisierten und erwerbslosen Jugendlichen. Gerade mit diesen kommt aber die Polizei heute am chesten in Berührung und gerade hier artet das gegenseitige Verhältnis nur zu oft m Konflikte aus. Wer weiß, ob bei Demonftrationen, Umzügen und dergleichen mehr nicht viel seltener Zu sammenstöße entstünden, wenn die Polizeibeamten für die Psychologie diefer Jugendlichen mehr Verständnis befäßen. Leo Rosenthal .
Die proletarische Frau und der Krieg.
Die Frage des fünftigen Krieges ist heute ein von den ver ein heiß umstrittenes Problem. fchiedensien Standpunkten aus Chemiker und Strategen, Dichter und Politiker, Pazifisten und Kriegsfreunde greifen dies Problem auf und diskutieren es in didleibigen Büchern, in Broschüren und Zeitungsartikeln. Auch bei uns wird es gelegentlich in die Debatte geworfen, aber mir scheint, wir gehen zu oberflächlich an diese tiefernften Dinge heran.
Es genügt nicht, daß wir uns den Krieg mit all feinen Schrecken von den Dichtern zeigen laffen, mögen es nun auch grandiose Werke, wie„ Der Mensch ist gut" von Leonhard Frank , oder das Feuer" von Barbusse , sein. Das ist eine rein gefühlsmäßige Beeinfluffung, der wir uns in diesem Falle unterziehen. Wir müssen jedoch ver fuchen, unfere friegsgegnerische Einstellung besser zu fundieren. Nicht das Gefühl allein darf uns leiten, sondern der Verstand muß helfen. Es ist also notwendig, daß wir zur wissenschaftlichen Lektüre über den fünftigen Krieg greifen. Da ist es zunächst das Werk einer Frau, auf das hier verwiesen werden soll: Gertrude Wofer ,,, Der tommende Giftgastrieg", erschienen in Bern . Sodann ist außerordentlich wertvoll die Arbeit von Paul Réri ,, Bom Kriege der Zukunft", die einen Auszug aus seinem großen in Arbeit befindlichen Wert„ Nie wieder Krieg" darstellt und im Kampf", Wien , Nr. 10, 1926 erschienen ist. Beide Schriften offenbaren uns die ganze Grausamkeit des fünftigen Krieges, der in erster Linie zuft- und Gastrieg sein wird. Bei Paul Kéri ist das Wertvolle, daß er vom marristischen Sandpunkt ausgeht und uns Einblicke gewährt in die neuesten Arbeiten bekannter Fachleute, wie z. B., in die des