,.C s gibt eine Armut, die zur Verzweif- l u n g f ü h r t", ruft Pestalozzi aus, und weil er diese Wahr- heit so lebendig erfahren Hot, wird er„Retter der Armen auf Neuhof" und„Vater der Waisen in Stans ". Er lebt jähre- lang„als Betiler unter Bettlern" und weckt in diesen Aermsten Menschlichkeit und Brüderlichkeit. Durch Tun und Beispiel, und nicht durch Worte. Er ist gegen jedes„M a u l- brauche n", insbesondere wenn es die Pfaffen üben, um ihre Stellung auf feiten der Mächtigen zu verbergen. Oder wenn sie mit Worten dem Elend abhelfen wollen:„Man muß das Unglück mit Händen und Füßen und nicht mit dem Maul angreifen!" So lange noch Armut und Unterdrückung auf Erden herrschen, so lange ist weder Christentum noch Religion. R e l i g i on i st Sittlichkeit.„Glaube an dich selbst, Mensch, glaube an den inneren Kern deines Wesens, so glaubst du an Gott und die Unsterblichkeit." Und:„Wenn du dem Armen hilfst, daß er wie ein Mensch leben kann, so zeigst du ihm Gott, und wenn du das Waislein erziehst, wie wenn es einen Vater hätte, so lehrst du es den Vater im Himmel kennen, der dein Herz also gebildet hat, daß du es erziehen mußtest." „Als Werk des Staates ist die Religion Betrug. Rur als Werk meiner selbst ist die Religion Wahrheit." Als Dienerin der Staatsmacht wird sie„Hebamme des Unrechtes, der Macht, mit der Glorie des Heiligtums um das Gesicht der Selbstsucht!" Dies ist der wahre Pestalozzi, der unbekannte Pestalozzi, der den Idealen der Revolution Frei he it, Gleichheit und Brüderlichkeit anhing und sie durch sein Leben bestätigte. Pestalozzi ist nicht der gute, alte Mann, wie er auf den Seminarien gelehrt wird. Er ist der ausrechte und tapfere Kämpfer für unser aller Menschenrechte. Sicherlich ist manches, was er gesagt und getan, veraltet. Denn auch Pestalozzi war ein Kind seiner Zeit. Und zu seiner Zeit gab es noch kein Proletariat in unserem Sinne und noch keinen Hochkapitalismus. Der dritte Stand, das Bürgertum, rang nach Anerkennung den- Feudalmächten gegenüber, und was unter diesem Bürgertum stand, das war Lumpenproletariat. Aber das ilt auch gerade das Große an Pestalozzi , daß er selbst noch an die Menschlichkeit dieser Armen glaubte. Ihm war die Masse des Volkes nicht eine dumpfe Herde, die nur zu leiten ist: ihm war sie V e r k ö r» perung einer sittlichen Weltmacht, die durch „Hilfe zur S e l b st h i l f e" zur Gemeinschaft reift. Henny Schumacher. Pestalozzis Grabschirist. Hier ruht Johann Heinrich Pestalozzi , geboren am 12. Januar 1746 zu Zürich , gestorben am 17. Februar 1827 zu Brugg . Retter der Armen im Neuhof, Prediger des Volks in Lienhard und Gertrud, zu Stans Vater der Waisen, zu Burgdorf und Münchenbuchsee Gründer der Volksschule, zu Jfferten Erzieher der Menschheit. Mensch, Christ, Bürger. Alles für andere, für sich nichts. Segen seinem Namen! „/totorität." Es gehört zum Ehrgeiz der meisten Erwachsenen, dem Kinde absolute Autorität zu sein. Man wirft sich ihm gegenüber innerlich und äußerlich in Positur, man spricht mit Ueberlegenheit Meinung und Urteil aus, bekräftigt sie durch Gebote und Verbote, Verweis«, Straf- und Moralpredigten. Man hüllt sich in Streng« und Unnah- barkeit, wendet alles daran, mit Einschluß der Tättichkeit, um seine Ansicht mit Nachdruck durchzusegen. Doch eines Tages macht man die Entdeckung, daß man weit entfernt ist, die Geltung in den Augen des Kindes zu besitzen, auf die man hinzielte. Wer ehrlich ist, muß sich eingestehen, daß er in seinem Verhalten zum Kinde fohlgegangen ist. Aber dazu gehört Erkenntnis. Die nachhaltigste Autorität entspringt gerechtem und liebevollem Begegnen und gründet sich unerschütterlich nur aus der Achtung vor wertvoller Wesenswirklichkeit der Erwachsenen, nicht aus ein äußerliches Scheinenwollen dessen, was man in Wahrheit nicht Ist und dem Kinde nur vorspiegelt, weil Man größer, physisch stärker, geistig erfahrener und gewmdter, natürlich, gesellschaftlich oder rechtskräftig dem Kinde übergeordnet ist Durch diese selbstherrlich angeeignete Machtvollkommenheit der Erwachsenen hat das Kind in seinem Persönlichkeitsempfinden und seinem Persönlichkeitsrecht hundertmal zu leiden Man nimmt es nicht ernst genug, glaubt in unpassendster Weise mit ihm spielen zu dürfen, sobald es einem be- liebt. Man gestattet sich ihm gegenüber U n h ö s l i ch k« i t e n, die man Crrvachsenm gegenüber sich nicht erlauben würde.. Man ge« stattet sich Neckereien und Roheiten, die es reizen müssen, lacht, wenn es in Tränen ausbricht, schilt und straft es, wenn es, wütend gemacht, mit gleichem vergilt. Mit unstichhaltigen Argumenten, die als solche durchsichtig sind, bekämpft man feine Widerstände. sucht, es sich mit Versprechen gefügig zu machen, die zu halten man von vornherein nicht w-illens ist. Auf unbequeme Fragen oder unerwünschte Ausbrüche der Mitteilsamkeit speist man es ab mit einem ungeduldigen Wort, einer rauh wegweisenden Gebärde. In Vater, Mutter und Erzieher findet es statt des mitfühlenden be- ratenden Freundes oft nur den uninteressierten, übelgelaunten. schross abweisenden, kalten Kritiker, der nur gelegentlich, wenn es ihm gerade selbst einfällt, sich die Anschmiegsamkeit des Kindes gefallen läßt und mir ihr spielt. Es ist auffallend für den Beob- achter, wie häufig sich in Eltern dem Kinde gegenüber fast gleichzeitig oder in schneller Folge entgegengesetzte Gefühle auslösen. Liebe und Unduldsamkeit, Zärtlichkeit und Gewaltsamkeit gehen gleichzeitig nebeneinander her. Man liebt sein Kind und doch spricht man ihm das Recht der Sclbstbesahung ab. Man schützt nicht die Zartheit seines Empfindens, packt sein zartestes Er- leben in seiner Gegenwart vor anderen aus, tritt es breit. Seine guten wie seine schlechten Eigenschaften werden schonungslos bloß- gelegt, der Kritik unterworfen. Man schilt es in Gegen- wart anderer für Vergeßlichkeit, Unachtsamkeit. Sorglosiokeit und mancherlei Fehltritte, die zuweilen nicht mal solche sind. Man gewährt Ihm oft nicht einmal das Recht, da» selbst dem Verbrecher zugestanden wird, sich zu rechtfertigen. Man heißt es brüsk schwei- gen, mit rohen Worten, mit Schlägen, auch hier sein Selbstgefühl nicht einmal vor Fremden schützend. Man macht es kurzweg verantwortlich für Motte, Gesten, Gesinnungen, Handlungen, die es dem Beispiel einer Umgebung entnommen hat, die sich ihm doch als Muster und Autorität rniidrängt. Man macht es verantwortlich für Dinge, die sich aus Mißständen ergeben, an denen die Großen Schuld tragen. Man opfert es der eigenen Bequemlichkeit, gleichviel, ob dadurch seine physische und geistige Gesundheit beeinträchtigt wird. Aus Bequemli-kkeit auch, zii faul zum Nachdenken, zu feige, um wahr zu sein aegen sich selbst, schilt man das Kind, wo es gereckt wäre, sich selbst oder die aelkasfenen Verhältnisse zu prüfen, ein Uebel abzustellen. Man überläßt sich seinen Launen in Geaen- wart des Kindes, läßt gar diese sie entgelten. Man verlannl Selbst. beherrschung von Ihm, ohne Wbst sie zu üben: das tadelnde Watt entflieht dem Munde, die lose Hand versetzt den Schlag ungerecht und gröblich Körper und Seele verletzend. Hinterher erst kommt die Ueberleauna und da? Gefühl des eigenen Unrechts und dann erlt das beschwichtigende Wort und die Liebkosung, die den Eindruck abskwächen und verwischen sollen. Aber das Kind wird in diesem Wechsel widersprechenden Fühlens und Verhaltens ungleich und launenhaft._ Sascha R o s e n t h a l. Lügen Kinder? Wie oft hört man den unglücklichen Ausspruch einer Mutter: „Wenn ich nur wüßte, woher mein Kind das hat: es ist nicht wahrheitsliebend, nein, mein Kind lügt. Was soll ich nur da- gegen machen?" Natürlich ist das keine Nein« Aufgabe; im Gegenteil, da gehött viel Mühe, Aufopferung, Strenge und vor allen Dingen Liebe dazu, den zur Unwahrhastigkeit neigenden Kindern das Lügen ab- zugewöhnen. Doch müssen wir verschiedene Arten von Kinderlüge» unter- scheiden. Da gibt es einnial die Notlüge. Das Kind lügt aus Angst vor Straf«. Das schließt keineswegs eine gute Charakter- anlage aus; das bravste und wohlgearteste Kind wird hin und wieder zu einer Notlüge greisen. Doch darf das natürlich nicht aus- atten: da muß dann die richtige Erziehung einsetzen: das Kind muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß es viel schöner und mutiger ist, ein Unrecht einzugestehen, als sich feige aus Furcht vor Strafe durch Lüge Herauszuhelfen. Die Strafe aber muß mit Vernunft gegeben werden und darf nicht maßlos sein Das falsche Wiedererzählen von Selbsterlebtem ist eine weitere Art von Kinderlügen. Da geht die Phantasie mit dein Kinde durch. Am Ende glauben es die Kleinen selbst, was sie da alles vorerzählen. Kinder neigen ja überhaupt zu Uebertreibungen und sind sich ihrer Lüge nicht bewußt. Da muß dann der Erwachsen « mahnend eingreisen mit Worten wie: Besinne dich, Kind, wie war das? das erzählst du wohl nur zum Spaß: nein, das kann aber kein Mensch glauben. Wenn die Kleinen dann merken und einsehen, daß sie mit solchen Erzählungen die Erwachsenen nicht reinlegen können, werden fi« in der Mehrzahl zur Wahrheit zurückkehren und es ein anderes Mal erst gar nicht mehr versuche». Die weitaus schlimmste Form ist die bewußte Lüge; das Kind lügt, um sich einen Vorteil zu verschossen, z. B. es erzählt dem Lehrer von einem Krankheitsfall der Mutter, nur um sich einen schulfreien Tag zu oei schassen. Oder es verlangt zu Hause 16 Pf., um für den armen Mitschüler Frühstück zu taufen und ver- wendet dann das Geld für sich selbst für Schleckereien usw. Hier kann nicht streng genug vorgegangen werden, soll das Kind kein verdorbener Mensch werden. Dadurch, daß man heute aus dem Standpunkt steht, das Kind müsse sich frei entwickeln, wurde schon viel Schaden und Unheil an- gerichtet. Die Jugenderziehung ist eine sehr schwierige und nicht zu unterschätzende Aufgabe, und jeder Erzieher sollte genau wissen, was für eine Verantwottung er damit auf sich nimmt.
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