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Frauenstimme

Nr.2644.Jahrgang Beilage zum Vorwärts 25. Dezember 1927

Besinnung vor neuem Kampf.

Das Fest der Wintersonnenwende.

Die festlichste Zeit des Jahres, die Weihnachtszeit, steht| Triumph der Mächtigen und Besitzenden, Leiden der Armen vor der Türe. Was hilft es uns, daß wir eine aufsteigende und Schwachen. Für den Sozialisten gibt es daher feine Rührung niederzwingen wollen mit dem harten Gleichmaß der Alltagsarbeit, mit dem unverschleierten Blick auf die nüchterne Wirklichkeit? Die Festesstimmung ergreift uns doch. Wer könnte dem Gedanken an Tannenduft und Kerzen, an rotbackige Aepfel und vergoldete Nüsse, Christkind und Weihnachtsmann, und einem durch die Winterluft her gewehten Weihnachtsliede widerstehen? Weihnachten hat einen mächtigen, einen unwiderstehlichen Verbündeten, das ist ein fragender, jauchzender Kindermund, und neben diesem lauten einen leisen Berbündeten, das ist das wehmütig- frohe Erinnern an die Weihnacht der eigenen Kindheit für die allerdings nur, die eine Kindheit hatten.

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Dieses seltsame Fest gleicht nicht, wie etwa unser Erster Mai, einem einzigen hellen Fanfarenton, sondern einem kunstvoll zusammengesezten Akkord. Nicht eine einzelne Saite des menschlichen Wesens, wie etwa politischer Kampfeswille, wird zum Schwingen gebracht, sondern eine Vielzahl von Saiten angeschlagen. Unsere Vorfahren in den winterlich starrenden Wäldern eilten zum Fest der Wintersonnenwende, wo bas rollende Feuerrad die Wiederkehr des licht- und leben­spendenden Gestirns herstellte. Die Sehnsucht aus dem kalten Dunkel in die wärmende Helle, das war der Ursprung des Festes. Die Kirche paßte sich der unveränderten Liebe der bekehrten Heiden " zu diesem ihrem Feste an und verband es mit dem Mythos von der Geburt Christi . Die Märchen von dem Heilandkind in der Krippe, von den Hirten auf dem Felde, den Gloria singenden Engeln und den anbetenden Königen, umflossen vom Zauber des Orients, erblühte in nordischen Winternächten. Für den Menschen der Neuzeit, der unter den Daseinsbedingungen des Kapitalismus die Natur und religiöse Verbundenheit gleichmaßen verlor, wandelte sich das Fest in ein kurzes, beglückendes Aufatmen nach einem Jahr gehetzter Fronarbeit Alt und Junge wollen nun von der Jagd des Lebens einmal ruh'n", in ein paar Stunden träumerischen Bersinkens, in der Pflege der Traulichkeit, und Liebe, wo einzig das atomisierende Gesellschaftsfystem der menschlichen Gemeinschaft noch Raum gelassen hatte, in der Familie. Die Kinder wurden so zum Mittelpunkt jeder echten Weihnacht, Weihnachten wurde so das eigentliche Familien- und Kinderfest.

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Der Sozialismus stellte neue Werte auf und ordnete die alten seiner neuen Wertstala ein. Wie jede große Er­neuerungsbewegung der Menschheit ist ja auch der Sozialis mus ,, nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen". Er stößt nicht die christlichen Wertbegriffe radikal um, sondern öffnet die Augen über den ungeheuren, unüberbrüdbaren Gegensaß zwischen den Seinsollenden, der idealen Forderung und dem Seienden, der realen Wirklichkeit. Grade die frohe Botschaft" der Weihnacht ist uns ein Beispiel: den Menschen ein Wohlgefallen", so glaubte es die Menschensehnsucht vor zwei Jahrtausenden aus Engelsmund erklingen zu hören: Wohin wir heute blicken, ist die Welt voll von Ungerechtigkeit,

echte Weihnacht, solange eine Handvoll Kapitalsgewal tiger mit einem Federstrich die Aussperrung über Hundert tausende fleißiger Arbeiter verhängt, solange tranke, hun­gernde Heimarbeiter in ihrem heldenmütigen Existenzkampf mit Haß und Hohn überschüttet werden, solange schwangere Frauen an die erbarmungslose Maschine gefesselt sind, fo lange Kinder ohne Wäsche auf dem nackten Boden schlafen, solange Jugendlichen die Straße die einzige Heimat ist, solange eine Vielzahl von Menschen wie das Vieh auf engstem Raum zusammengepfercht haust. Und wie steht es mit dem Teil der Weihnachtsbotschaft: Friede auf Erden?" Wohl ringen am Berhandlungstisch in Genf die Staatsmänner um einen internationalen Ausgleich, aber es starren überall auf der Welt Panzerrohre in die Luft, drohen die schwimmen­den Festungen der Kreuzer Verderben und Untergang auf den Meeren, harren die unzähligen Flugzeuge des Befehles zum Aufstieg, um tausendfachen Tod auf Mitmenschen her­niederzuregnen. Im Hintergrunde aller Rüstungen aber lauert tückisch und giftig die mörderischste und gräßlichste aller Bernichtungswaffen: das Gas.

Wir Sozialisten sind nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen die uralte Menschheitssehnsucht, die sich in bas Licht und in das Heilandmythos fleidete. Während aber der Stlave des Altertums und der Hörige des Mittelalters alle Seelenkräfte auf das religiöse, jenseitliche Gleichnis richtete, ohne die Welt des Diesseits im Sinne des Gleichnisses umzugestalten, hat der Proletarier der Gegenwart zur Sehn­fucht und zur Inbrunst des Gefühls den zielklaren Tat­willen und die wissenschaftliche Erfenntnis von den Bedingungen der Umwandlung gefügt. Aus Sehnsucht wird Tat, aus Verheißung wird Erfüllung.

Sonnenwende und Jahreswende lenken unseren Blic aus dem vergangenen Jahr hinüber ins fommende. 1928 stellt große Fragen und größere Forderungen an uns alle. Es ist Wahljahr in Deutschland , es soll entscheiden, ob ber Säugling sich nähren, der Arbeitslose sich fleiden, der Alte und Invalide den wohlverdienten ruhigen Lebensabend, die werdende Mutter ihre Schonung, die breiten Massen Brot und Wohnung zum menschenwürdigen Dasein haben werden. 1928 ist auch Schicksalsjahr für Europa , denn auch in England und Frankreich , in Polen und Belgien wird gewählt und darüber entschieden, ob sich die Pulver- und Gaswolle über Europa lichtet.

In diesem Geiste möge ein Jeder es sich gönnen dürfen, die Kerzen am geschmückten Baum zu entzünden und ein paar Stunden finnend zu raften vor neuen Kämpfen. Wir ahnen das kommende Licht. Die Sehnsucht ist ba und der Wille, die Erkenntnis, die Liebe und auch die Kraft.

,, Nun- ist uns nicht mehr bang, seit aus der dunklen Erde solch leuchtend Reis entsprang."