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Die Kameradschaftsehe.

Gesellschaftliche Zerfezungserscheinungen, die bereits in der Bor­friegszeit unter der immer dünner und brüchiger werdenden Decke Der Konvention spürbar wurden, sind durch die gewaltigen politi­schen und wirtschaftlichen Umwälzungen der lezten anderthalb Jahrzehnte in ihrem offenen Ausbruch sehr beschleunigt worden. Zu den Erschütterungen der überlieferten Ordnung durch Revolu­tion und Inflation trat eine Revolutionierung der Frauen. Sie wirkt sich am fichbarsten aus auf dem beruflichen und sittlich- kulturellen Gebiet, während die juristische Fixierung des neuen Zustandes noch immer auf sich warten läßt. Der Freiheits wille der Frau drängt, wie bei allen lange unterdrückten und dann entfeffelten Schichten, nach den Freiheiten und Privilegien der bis­Lang Herrschenden, in diesem Falle nach den Freiheiten des Mannes. Wo inneres Berantwortungsgefühl, Selbstbeherrschung, Mäßigung und guter Geschmack fehlen, entartet auch bei ihr Freiheit zu Zügel­lofigkeit. Das Chaos auf sexuellem Gebiet ist unbestreitbar und allgemein. Eine neue Ordnung aber fann nur erstehen auf der Grundlage veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse und mit dem Anspruch gleicher Bindungen für Mann und Frau. Ein Helfer für den Aufbau einer solchen neuen Ordnung unserer Seit will ber amerikanische Jugendrichter Ben Lindsey mit seinem Buch von der Kameradschaftsehe" fein.

Lindsey ist ein weitblickender und warmherziger Helfer. Bei Jeinen Gegnern, die fein Buch und seine Ideen so erbittert und gehäffig angreifen, hat man oft das Gefühl, daß sie beides über­haupt nicht fennen, und das dürfte wohl auch in vielen Fällen zu treffen. Sein Buch offenbart allerdings eine für uns Deutsche erschreckende Systemlosigkeit". Da wird nicht, von Kapitel zu Kapital, in tunstvoller Berflechtung und Steigerung fortschreitend, ein systematisches Gedankengebäude aufgeführt, sondern der Autor and fein getreuer Mitarbeiter Evans reden sich einmal all die Dinge von der Seele, die seit Jahren schwer darauf drücken. Und das ist nicht wenig. Die Tätigkeit als Jugendrichter hat Lindsey eine fast unübersehbare Fülle von Material in die Hand gegeben. Viele der mitgeteilten Fälle gehören gar nicht im engeren Sinne zum Thema", überall aber leuchtet die warme Menschlichkeit des Berfassers durch, sein trotz aller niederschmetternden Erfahrungen unzerstörbarer Glaube an die Menschheit. Das ganze Buch ist echt amerikanisch unsystematisch, lebensnah, praktisch und optimistisch. Die vielumstrittene Kameradschaftsehe Lindseys ist gekenn zeichnet durch zwei wichtige Faktoren:

die gewollte Kinderlosigkeit und die leichtere Scheidbarkeit, die Scheidbarkeit bei gegenseitigem Einverständnis; die Kamerad schaftsehe soll die Eheform für jugendliche, wirtschaftlich noch ab hängige oder charakterlich noch unreife Menschen sein. Lindsey rechnet mit den gegebenen Verhältnissen, die die Fürsorge für Kinder nicht gesellschaftlich regelt, sondern ausschließlich den Eltern auferlegt. Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die kinderlose Kameradschaftsehe, soziologisch gesehen, ein anderes Gebilde ist als die Familie, und darum einer anderen, weit weniger komplizierten und schwerfälligen rechtlichen Regelung bedarf.

Wegen der beiden wesentlichen Merkmale der Kameradschafts­ehe ist Lindsey unendlich angefeindet worden. Bergebens hat er in seinem Buche immer wieder darauf hingewiesen, daß er nur einer Sache zur gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung ver helfen will, die in allen Kulturländern schon lange besteht. Die junge Ehe, die ein oder mehrere Jahre finderlos bleibt, bis das sichere Fundament für eine Familiengründung gegeben ist, ist heute eine alltägliche Erscheinung geworden. Sie würde noch viel mehr in die Erscheinung treten, wenn man all die vorehelichen Verhältnisse, die zum gegebenen Zeitpunkt in eine gesetzliche Ehe übergehen, mit erfaffen tönnte. Da ist entweder die wirtschaftliche Stellung des Mannes noch nicht einträglich oder gefestigt genug, da stehen er oder vielleicht beide Teile noch in einer langwierigen wissenschaftlichen Ausbildung, da ist keine Wohnung vorhanden oder es muß in den ersten Ehejahren die Einrichtung abbezahlt werden hunderterlei Gründe, die gerade verantwortungsbewußte Menschen fürs erste von der Kindererzeugung abhalten. Es wird von den Gegnern immer so hingestellt, als ob erst Lindsey die Prävention erfunden hätte und seine Kameradschaftsehe ein Mittel wäre, den Muttertrieb der Frau künstlich zu unterdrücken und abzutöten. Sie übersehen dabei, daß dieselben Paare auch ohne Kameradschaftsehe aus zwingenden Gründen finderlos bleiben würden, bis diese Gründe fortfallen. Und selbst wo diese äußeren Gründe nie eine Rolle spielten, macht sich gerade bei differenzierten Menschen das Bedürfnis geltend, in der allerersten Zeit der Ehe ungestört ganz einander anzugehören, ihre Gemeinschaft mit nie wiederkehrender, völliger Ausschließlichkeit zu erleben. Auch Mediziner fommen aus

Gründen der Rassenhygiene zu der Erkenntnis von dem Borteil einer zunächst einmal kinderlosen ersten Ehezeit, wie z. B. Marie Stopes   in ihrer Glückhaften Mutterschaft". Die zweite Forderung Lindseys nach der leichteren Scheidung solcher Ehen steht in logischem und organischem Zusammenhang mit der Kinderlosigkelt. Es stehen ja teine materiellen Interessen zur Entscheidung, die das Aufgebot eines großen Behördenapparates in einem lang. wierigen Prozeß rechtfertigen würden; weder sind Kinder zu versorgen, noch hat die Ehefrau, die meist als berufstätig vorausgesetzt wird, aus der Kameradschaftsehe Bersorgungsansprüche herzuleiten. Auch sonst entfallen bei der Kameradschaftsehe noch mancherlei geschriebene und ungeschriebene Gefeße, wie z. B. die Bestimmung des Wohnortes durch den Mann und das Borhanden fein eines Haushaltes.

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Die Gegner der Kameradschaftsehe haben die Frage auf. geworfen, ob eine rechtliche Regelung von nicht auf Familien gründung gerichteten Beziehungen junger Menschen überhaupt not­wendig ist. Diefen Fragen fehlen entweder die erschütternden Ein blide Lindseys in die imuner unerträglicher werdende feguelle Rot der Jugend oder sein ehrlicher Wille, zu helfen. Da unter den gegebenen Berhältnissen die bürgerliche Ehe die einzige Form legaler, gesellschaftlich anerkannter Geschlechtsgemeinschaft darstellt, werden massenweise Baare in sie hineingetrieben, die ohne die er zwungene seguelle Aushungerung einen befferen Instintt in der Auswahl des Lebensgefährten gezeigt hätten. Es wird so ber Ehetyp geschaffen, der für die Scheidung und das Scheitern prä­disponiert ist. Oder aber man nimmt seine Zuflucht zum illegalen Berhältnis, so schwer man auch unter dem Odium der Heimlichkeit und des Unerlaubten leiden mag, unter dem beschämenden und empörenden Zustand, dauernd dem Klatsch, der Schnüffelei und Sittenrichterei von Menschen ausgesetzt zu sein, die unter dem eigenen sittlichen Niveau stehen. Es werden nicht die ewig Ab­wechselungsbedürftigen, die Genußmenschen, die Anhänger einer feichten Promiskuität den Weg der Kameradschaftsehe gehen, son dern gerade die Feineren, Verantwortungsbewußten, die das Be dürfnis haben, sich zu ihrer Lebensgeftaltung und dem Menschen ihrer Wahl zu bekennen, und die am ehesten bemüht sein werden, wenn nicht schwerwiegende Differenzen in der Kameradschaftsehe aufge treten sind, fle

in die Form der Familienehe überzuleiten.

Die Kameradschaftsehe wird auch die Stütze aller derjenigen jungen Menschen werden, die in Leichtsinn und Formlosigkeit nur deshalb abgleiten, weil ihnen der voraussichtlich vieljährige oder gar lebenslängliche Kampf gegen den Segus als aussichtslos und auch als zwedlos erscheint. Ein tiefes Vertrauen zum Guten in der menschlichen Natur spricht aus Lindseys Vorschlag: Gebt den Men schen nur die äußere Möglichkeit zu. Anstand und Rechtschaffenheit, und sie werden in der großen Mehrzahl davon Gebrauch machen."

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Die Sozialisten werden sich bei der Stellungnahme zu neuen Cheformen auf die Tatsache befinnen, daß menschliche Einrichtungen um des Menschen willen da sind und nicht umgekehrt. Angesichts der sozialen Berhältnisse ist für die Generation zwischen 20 und 30 ein Abstand entstanden, der durch eine neue Eheform finderlos und leichter scheidbar gemildert werden muß. Wenn das, was sich In den Augen der Berfechter des alten Systems als Berirrung" und Abweichung von der Norm" präsentiert, ein so allgemeiner Notstand geworden ist, daß schließlich

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zwischen 20 und 30 die Abweichenden" überwiegen, ist es Zeit zu fragen, ob nicht an dem ganzen System etwas nicht stimmt. Unsere Aufgabe als Sozialisten dürfte darin zu erblicken sein, daß wir helfen, dem drohenden Chaos durch neue gesellschaftlich notwendige Formen zu begegnen.

Hedwig Schwarz.

Weniger Scheidungen in Konffantinopel gibt es nach Einfüh rung des neuen türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches, das nach dem Vorbild des Schweizer Rechts gefchaffen wurde. Es räumt auf mit dem alten Verstoßungsrecht" des Ehemannes und stellt die Frau in bezug auf die Ehescheidung dem Manne rechtlich gleich. Die Folge ist ein Rückgang der Scheidungen von etwa 2500 Scheidungen in einem halben Jahr auf muir 115 in den letzten sechs Monaten. Die erste Mallerfrau in Wallstreet  . In New York   wurde das erste nur von Frauen geleitete Mattergeschäft eröffnet, womit ein neues Kapitel in der Geschichte der Finanzen beginnt. Die Vor­Wallstreet hinter sich. Sie erklärte, daß das Geschäft bereits in sitzende des Geschäfts hat bereits eine 15jährige Erfahrung in beftem Gange fei,

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