Zrauenstimme

- 1?tr.7.4S.Iahr�ig1 TiCllüQC ZUM VOVXüäVtS I Mai 1929

Verbesserte Mutterschastsfürsorge. Erfolge der Regierung Müller auf dem Gebiete der Sozialversicherung.

Eine Woche lang stand die sozialdemokratische Frauen­welt unter dem Eindruck glänzender internationaler Frauen- tundgebungen für den Ausbau des Schutzes von Mutter und Kind. Aber die Sozialdemokratie redet nicht nur; sie handelt auch. Dafür ist der Reichstagsbeschluß vom 24. April, nach dem ab 1. Juni«in« Verbesserung der Reichsversicherungs- ordnung in bezug auf die Wochenhilfeleistungen in Kraft treten soll, der best« Beweis. Bereits am 5. Juli des vorigen Jahres hat die sozial- demokratische Fraktion ihren Antrag auf Erweiterung des Schwangerenfchutzes auf die Landarbeiterinnen und Haus- gehilfinnen und Verbesserung der Wochengeldleistungen ge- stellt! auf ihre wiederholte Forderung ist dieser Antrag nun- mehr im sozialpolitischen Ausschuß wie im Plenum des Reichstages verhandelt und erledigt worden. Was ist der Erfolg unseres Vorgehens? Wenn auch ein« Mehrheit für unsere klare Forderung nach Einschluß der Landarbeiterinnen in das Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft infolge der Stellung der bürgerlichen Fraktionen nicht zu er- retchen war, so hat sich doch zum ersten Male der Reichs- tag prinzipiell zu unserer Auffassung be- tannt. Sache des Reichsarbeitsministeriums wird es sein, das gegebene Versprechen zu erfüllen. Aber dieser prinzipielle Erfolg ist auch für die genannten Berufe nicht der einzige Vorteil des Reichstagsbeschlusses. Dieser Beschluß sieht vor die Erhöhung des vor der Niederkunft zu zahlenden Wochengeldes in allen Fällen, in denen keine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wird. In diesen Fällen kann bekanntlich mit der Zahlung des Wochengeldes nicht erst vier Wochen vor der Niederkunft, sondern bereits sechs Wochen vor der Nieder- kunft begonnen werden. Es werden also ab 1. Juni sowohl alle Wöchnerinnen, die als gewerbliche Arbeiterinnen oder Angestellte Gebrauch machen von dem Kündigungsschutz des Gesetzes über die Beschäftigung vor und nach der Nieder- kunft, die also einige Zelt vor der Entbindung, seien es sechs oder nur vier oder drei Wochen, die Arbeit niederlegen, wie auch alle Wöchnerinnen, die infolge der Schwangerschaft oder aus sonstigen Gründen arbeitslos sind, nicht mehr nur ein Wochengeld in Höhe der Hälfte des Grundlohns, sondern ein solches in Höhe von drei Vierteln des Grund- lohns beanspruchen können. Da in diesem Falle der Steuerabzug sowie der Abzug von Beiträgen für Kranken-, Arbeitslosen-, Invaliden- oder Angestelltenvcrsicherung fort- fällt, so kommt also das Einkommen auf Grund der Wochen- Hilfe nahe an das fortfallende Lohneinkommen heran. Daß diese Aenderung gerade für die recht häufig infolge der Schwangerschaft arbeitslos werdende Hausgehilfin wie auch für die Angehörigen des ländlichen Gesindes ein ebenso großer Fortschritt wie für alle anderen Versicherten ist, ist klar. Des weiteren sieht die jetzige Aenderung einen Schutz für den Fall vor, daß eine Versicherte den Kündigungsschutz

des Gesetzes über die Beschäftigung vor und nach der Nieder- kunft nicht genießt oder aus Unkenntnis der Bestimmungen nicht ausnutzt. Durch Gerichtsurteil war entschieden worden, daß eine sechs oder sieben Wochen vor der Niederkunft aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung ausscheidende Wöchnerin zwar noch für sechs Wochen Anspruch auf Wochen- geld hätte, dann aber keinerlei weitere Rechte mehr geltend machen könne. Dadurch, daß nach dem neuen Gesetz die in einer Krankentasse erworbene Mitgliedschaft erhalten bleibt, solange die Versicherte einen Anspruch auf Wochen- yder Schwangerengeld hat, bleiben ihre Rechte nicht nur bestehen für den Bezug der gesamten Wochenhilfsleistungxn, sondern sie ist auch für eine innerhalb der genannten Zeit eintretende Krankheit geschützt. Daß selbstverständlich trotz dieser Verbesserung nach wie vor jeder Arbeiterin und Angestellten zu raten ist, von der Beurlaubung für sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Niederkunft Gebrauch zu machen, soll nur nebenbei erwähnt werden. Eine zwar kleine, aber doch wichtige Verbesserung ist sodann für Jnvalidenrentnerinnen insofern«in- getreten, als den gezahlten Beiträgen zur Jnvalidenversiche- rung In Zukunft eine durch Schwangerschaft oder Wochen- bett veranlaßte Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von zwölf Wochen gegen bisher acht Wochen gleichgestellt wird. Gewiß sind diese Erfolge in unserem Streben nach einer durchgreifenden Mutterschastsfürsorge nicht himmelstürmen- der Natur. Wer aber bedenkt, daß die heutige Schwangeren- und Wöchnerinnenschutz-Gesetzgebung ebenso wie die Ge- staltung der Wochenhilfe und Faniilienwochenhilfe f ü r zwei Drittel aller jährlich niederkommenden Frauen mühsam aufgebaut werden mußte von Etappe zu Etappe, der versteht auch die neueste Verbesserung zu würdigen. Doch ist das hier Erreichte nicht das einzige, was auf dem Gebiete der Sozialoersicherung die sozialdemokratische Reichstagsfraktion im Zusammenarbeiten mit dem Reichs- arbeitsminister Wissell erreicht hat. Die Erweiterung der Unfallversicherung auf eine große Anzahl von Berufsgruppen, die Erhöhung des versicherungspflichtigen Einkommens auf 8400 M. in der Angestelltenversicherung, die Herabsetzung der Wartezeit für den Bezug des Ruhe- geldes der Angestellten auf die Hälfte der bisher geltenden Dauer, die Gewährung von Rente auf Grund der Ange- stelltestversicherung für den Fall der andauernden Arbeits- losigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres sind weitere Erfolge der Regierungszeit des Kabinetts Müller. Jedes einzelne für sich gesehen, ist nicht welterschütternd, manches kommt auch nur einem begrenzten Kreise zugute: aber zu- sammen genommen und im Hinblick auf die Auswirkung jedes Ein,zelerfolges auf das gesamte Streben nach Vervollkommnung der Sozialversicherung bedeuten diese Fortschritte ein gewiß nicht zu unterschätzendes Plus unserer parlamentarischen wie unserer Regierungs- tätigkeit. Louise Schroeder .