Rhizinusöl als Genußmittel.
Der Hansel sollte zum erstenmal in feinem jungen Leben Rhizinusöl einnehmen. Mir tat der arme Junge schauderhaft leid, denn Rhizinusöl gehört zu den traurigsten Erinnerungen meiner Kindertage. Wenn ich es einnehmen mußte, dann sah die Wohnung gewöhnlich wie ein Schlachtfeld aus und bis mir ein Teelöffel voll eingeflößt war, hatte Mama mindestens schon die halbe Flasche auf Schürze und Fußboden verschüttet. Sogar unser Hund fniff aus, wenn er die Flasche mit Rhizinusöl zu Gesicht betam.
Und nun war Hansel dran! Er hatte eigentlich eine rührende Art, Medizin zu nehmen. Die erste, mit der er Bekanntschaft gemacht hatte, war die bel allen Kindern beliebte, ust en medizin", die das Allheilmittel bei Bronchialfatarrh ist und so wundervoll füß und leder schmeckt. Daß er die gern genommen hatte, war mir nicht weiter verwunderlich gewesen. Dann bekam er von einer Genossin mehrere Flaschen Lebertranemulsion geschenkt. Die wurde ihm als etwas besonders Feines, das ihm ganz allein gehörte, vorgestellt und er durfte das Patet allein aufmachen. Die Flaschen fanden feine uneingeschränkte Bewunderung: so ein feines Bild war drauf, ein Maun mit sooo einem großen Fisch! Und wahrhaftig der Junge nahm mit Vergnügen jeden Morgen seinen Löffel voll Lebertran, als ob es füße Sahne gewesen wäre!
Aber nun Rhizinusöl... Man mußte jedenfalls versuchen, es ihm möglichst mit heimtückischer Güte beizubringen. Zuerst und vor allem mal wurde gar nicht lange davon geredet, etwa so in dem Ton:„ Wenn du brav einnimmst, triegst du nachher auch ein schönes Stück Schokolade!" Nein, der Herr Dottor hatte Rhizinaisöl verordnet, also war es eine Medizin und mußte eingenommen werden; und außerdem war es bei uns schon ein Dogma, daß Medizinen gut schmecken- bloß der bitterböse Friedrich aus dem Struwelpeter frlegt bittere Arzenei", aber das ist ihm erstens recht geschehen und zweitens find für Hansel Arzenei und Medizin eben nicht iden tisch. Medizin ist bloß was für nette Jungens.
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Zur Erhöhung seines Selbstgefühls durfte Hansel, als er mit Fräulein Lisa einholen ging, bie Flasche für das Rhizinusöl selbst tragen. Stolz reichte er sie dem Drogisten über den Tisch:" Für mich!" Der fab ihn schmunzelnd an:„ Na, da hast du ja was Feines! Baß mal auf, wie gut das schmedi!" Glücklicherweise ist Hansel noch so unverdorben, daß er Ironie gar nicht begreift, und so nahm er die Versicherung des Drogisten für heiligen Ernst er begriff auch gar nicht, daß die zwei Brustkaramellen, die ihm der nette Mann schenkte, eine Art von Schmerzensgeld barstellen sollten. Zu Hause blieb er brav und treu bei Fräulein Lisa in der Küche und verlangte nun nach seinem Löffel Rhizinusöl. Wir waren im Bimmer; etwas bänglich war mir doch zumute- würde die Illusion felbst über den niederträchtigen Geschmack des Rhizinusöles fiegen? Aber wahrhaftig nach zwei Minuten fam Fräulein Lisa ins Bimmer und berichtete geradezu entgeistert:„ Gowas is mir denn nu doch noch nich vorgekommen! Ich habe doch nu schon viele Kinder Rhizinus eingegeben, im Ostar- Helene- Helm und auch so... aber ohne Nasezuhalten haben sie nie geschluckt!" Es kam aber noch schöner: Ein Kinderlöffel voll schien bei Hansel nicht zu wirken, wir sprachen davon, ihm vielleicht noch einen zu geben. Da fam Hansel selbst mit einer Medizinflasche angezogen und es wäre beinah ein Unglück paffiert statt der Rhizinusflasche hatte er die effigiaure Tonerde erwischt! Auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen gab ich ihm noch einen großen Löffel poll". Well der Tee zum Nachtrinken noch nicht füß war, behielt er das Rhizinusöl zwei Minuten lang in der Schnute und wenn mir nicht aufgepaẞt hätten, würde unser Herr Sohn am gleichen Tage die Buddel Rhizinusöl leer gemacht haben, denn Ursache" und" Wirkung" waren ihm durchaus noch nicht flar, und die eigentümliche Leckerhaftigkeit meines Sohnes hätte vielleicht die fürchterlichsten Folgen
gehabt...!
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Nun ist die Moral von der Geschichte freilich leicht zu finden, aber sie hat einen Nachteil: Es können nicht mehr alle Mütter aus the Nutzen zlehen. Ist in einem Kinde mal die Idee festgewachsen, daß Medizin Immer schlecht schmeckt, und daß Einnehmen eine Sache ift, zu der man entweder überredet oder gezwungen werden muß, dann ist die Schlacht verloren. Von klein auf muß das Kind mit dem Begriff Medizin" den einer Lederei verbinden; das dürfte nicht schwer sein, well in allgemeinen die süße Hustenmedizin ja immer die erste ist; es schabet auch nichts, wenn man einen Löffel warmen Honig mal als Medizin" vorstellt. Bet dem 2%. bis 8jährigem Stinde tut es auch viel, wenn man die Medizin" als eine An gelegenheit großer Leute vorstellt, denn man glaubt gar nicht, wie brennend gern so ein Purzel mindestens so groß wie ein Schufjunge fein möchte! Nee mit dem Jungen fönnen Sie aufs Bariteeh gehen!" fagte Fräulein Lifa bewundernd und dabel flet mir ein, wie schon eimmal mein großes Mädel uneingeschränkte Bewunderung ein
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geheimst hatte, als es noch mein fleines Mädel war. Da setzte ste eines Tages meinen Zahnarzt in Erstaunen. Artig fnirend stand ote Sechsjährige von dem Sessel im Wartezimmer auf:„ Herr Doktor, Sie möchten mir die Zähne nachsehen und plombieren, was nötig ft!" Der sah sie furchtsam von der Seite an, als sei das kleine Mädel eine abgezogene Handgranate, die jeden Augenblid explo dieren fönnte. Wo ist denn deine Mama? Wann kommt sie denn?!" ,, Gar nicht, Herr Doktor, Ste sollen man immer los machent" und freundlich lächelnd setzte sie sich auf dem Marterstuhl zurecht. Dr. B. setzte den elektrischen Bohrer an Annelife mudte nicht, ließ sich mit vorbildlicher Ruhe Zement in ihren fleinen Zahn stopfen, stand dann auf, strich sich das Röckchen glatt und verab. fchiedete sich mit einem freundlichen Auf Wiedersehen!"- ohne zu ahnen, daß sie dem Herrn Doktor ein geradezu unheimlicher Besuch gewesen war. Denn wenige Tage vorher hatte er mir die Tür aufgemacht.„ Ein Glück, daß sie kommen! Halten Sie doch bloß mal den verdammten Jungen feste! Ich ziehe nu schon seit anderthalb Stunden an ihm rum!" Und drin fand ich einent fleinen. bis zur Unkenntlichkeit verheulten dreijährigen Jungen und seine Mutter, die ihn dauernd in einem östlich gefärbten Deutsch tröstete, aber nicht die Energle aufbrachte, den nun natürlich aus Leibeskräften widerstrebenden Jungen wenigstens so lange festzu halten, bis der Zahnarzt die Zange ansehen konnte. Die Wirtschafterin war verreift, und so kam ich wirklich als Retter in der Not. Bald war der kleine, ganz verrrottete Zahn draußen und mein Zahnarzt wischte sich den Schweiß von der Stirn: Bloß keine Kinder! So nich und so nich!" Er ist nämlich hoffnungsloser Junggeselle. und darum erregte die Zumutung meines fleinen Mädels, ihr ohne jegliche Mama- Eristenz" einen Bahn zu plombleren, folch ein Ent fehen bei ihm. Auch er war der Meinung, daß man mit dem Mädel auf'n Jahrmarkt gehen könnte".
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Und dabei war dieser ,, Triumph der Dressur" doch auch nur auf zwei Tatfachen zurückzuführen: Erstens war dem Mädel der Zahnchwarze Mann" geschilbert arzt nie als der worden und zweitens hatten wir sehr genau aufgepaßt und die Backzähne plombieren laffen, als sich die ersten braunen Kariesfleden zeigten das heißt, ehe das Mädel überhaupt fennen lernte, wie aber besonders das weh Zahnschmerzen tun können. Beides erste ist wichtig. Wie oft erleben wir es heute noch, daß den Kindern mit dem Arzt geradezu gedroht wird! Dann schneidet dir ber Doftor den Bauch auf, das tut gräßlich meh!" Denn muß dir der und prompt heult Doktor in'n Hals gucken, paß bloß mal auf!" das arme Wurm schon los, wenn sich der Arzt auch nur die Spiegel. blende um die Stirn legt. Bel ernsthaften Erkrankungen, ja, schon bei einer leichten, fiebrigen Mandelentzündung tann aber eine solche Einstellung des Kindes manchmal zu schlimmen Komplitationen führen schon der durch Strampelet und Heulen möglichst lange vereitelte Verfuch des Arztes, in den Rachen zu sehen, läßt das Fieber oft um mehrere Strich steigen. Aber noch schlimmer: Diese Szenen, in denen das Kind zum Schluß fa doch immer der unterliegende und vergewaltigte Tell ist, fönnen den Grund zu schweren nervösen Störungen legen, an denen ble kleinen Patienten noch lange leiden, wenn sie schon längst die Kinderschuhe ausgetreten haben.
Gaben für die Mutter.
Adele Schreibers Kalender Mutter und Kind", der sich in der kurzen Zeit seines Bestehens schon viele Freunde erwerben konnte, ist für das Jahr 1930 zum dritten Male erschienen. Das Beste, was zum Lobe dieses wunderhübschen, in sich abgerundeten Wertchens gesagt werden kann, ist, daß es das Niveau auf der ganzen Linte hält. Aus sedem Blatt tritt dem Beschauer aus Wort und Bild mütterliche Einführungskraft und die besinnliche Sorgfalt entgegen. Mütter von Kindern aller Altersstufen werden auch in diesem Ra fender wertvollste Winke und Anregungen zur Pflege und Erziehung finden; Urmütterweisheit verbindet sich mit dem Modernsten an Er. finden; Urmütterweisheit verbindet sich mit dem Modernsten an Erfenntnis auf dem Gebiete der Säuglingshygiene und Erziehung, selbst die neue Blutgruppenforschung und die Freudsche Psychoana. lyfe find nicht vergessen. Zwei Serien ziehen sich durch den ganzen Kalender: Erziehung des Kindes zur Hygtene" und" Mütter und Rinder in aller Welt". Die braunen, dunkeläugigen, von fremd artigem Reiz umspielten Kinderköpfchen aus Japan , Indien und Afrika werden das besondere Entzügen des Beschauers bilden. Der Preis des im Safari- Verlag, Berlin , erschienenen Kalenders beträgt 3 M. Wo irgend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie eint bescheldenes Nippen an des Lebens goldenem Ueberfluß" gestatten, sollte der Mann dieses Werkchen der Mutter seiner Kinder unter den Welhnachtsbaum legen, Dant und Freude wird ihm gewiß sein.