Einzelbild herunterladen
 

Frauenstimme

Nr.2 47. Zahraang

Beilage zum Vorwärts

16. Januar 1930

Bom ,, füßen Mädel" zur Klaffenkämpferin.

Der Aufstieg der sozialdemokratischen Frauenbewegung Desterreichs.

Der Typ des Wiener   füßen Mädels" ist von Arthur Schrizler vor mehr als einem Menschenalter zwar nicht er. funden, aber in die Literatur eingeführt worden, der jungen Näherin oder Modiftin aus der Vorstadt, die durch Liebe Leid erfährt. Da die Liebe einem müßigen Herrn der Oberschicht gilt, ist auch das Leid sozial bedingt, aber tausendfach stärker war schon damals das freilich minder romantische" soziale Leid der erbeitenden Frau, das sich aus ihrer Abhängigkeit vom Unter­nehmer und ihrer Unerwedtheit ergab. Wie dann die österreichischen Arbeiterinnen aufgerüttelt, zu einem fühnen Stoßtrupp zufammen gefaßt und am Ende zu einem gewaltigen Heer gegliedert wurden, dieses Heldenlied fündet die Berufenste von allen, unsere Wiener  Genoffin Adelheid Popp  , in einem frisch und einpräglam geschriebenen Buch Der Weg zur Höhe", das, herausgegeben vom Frauenzentralkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, den lebendigen Tegt durch eingestreute Photos noch lebendiger macht.

Als die Jahreswende 1888/89 in dem niederösterreichischen Hainfeld   den ersten Kongreß der österreichischen Sozialdemo­tratie sah, tannte die Partei noch keine weiblichen Mitglieder, und auch in den Gewerkschaften waren noch fünf Jahre später unter 31 522 insgesamt Organisierten nur 659, davon in Wien   gerade 308 Frauen, obwohl sie längst von der kapitalistischen   Ausbeutung in bie Fabriken hineingezogen wurden. Ja, die Möglichkeit, daß die Frau als Arbeiterin auch Kämpferin sein könne, blieb dem Gesichtskreis der Einberufer von Hainfeld   so fern, daß die einzige Frau, die als Delegierte, von den Arbeitern des Bolzentales in Deutschböhmen, angemeldet war, Zurückweisung erfuhr, weil man Männer brauche! Die Frau gehört ins Haus! Mulier taceat in ecclesia! Das Weib halte in der Volksversammlung den Mund! Aber der Unterstügung einsichtiger Parteigenoijen, Viktor Adler  . wie immer vornean, war es zu danken, daß in den Juni 1890 die Gründung eines Arbeiterinnen- Bildungsvereins fiel, der als Parteiorganisation galt und, nicht zuleßt dant der werbenden Wirkung der Maifeier, rasch einige Hundert Mitglieder zählte. Die Frauen, die von diesem Geist berührt waren, ruhten nicht, bis sie am 1. Januar ein eigenes, zweimal im Monat er­scheinendes Organ bekamen. Wurde die Arbeiterinnen- Zeitung" anfangs von den Redakteuren der Arbeiter- Zeitung  " redigiert, so erhielt das Blatt bald schon eine weibliche Redaktion. Unsere Ge­nossin Adelheid Popp  , damals noch ihren Mädchennahmen Dworschat führend, war, wie auch später, stets an der Spitze. Sie, die noch eben als Arbeiterin in einer Kortfabrit für fedys Gufden wöchentlich tätig gewesen war, gehörte auch zu den ersten Frauen Desterreichs, die auf die öffentliche Rednertribüne traten. Weite Schichten selbst der schon von der sozialen Gärung der Zeit erfaßten erwerbstätigen Frauen hatten noch wenig Ver­ständnis für die Forderung: Politisches Recht dem weiblichen Ge­schlecht, denn näher lag ihnen die Magenfrage. Da die Arbeiterinnen in den Appreturfabriken elf Stunden täglich für einen Wochenlohn von drei bis vier Gulden unter schauerlichen Verhältnissen bei Temperaturen von 50 Grad und mehr barfuß im Wasser stehend! schuften mußten, fam es im Mai 1893 in vier Wiener   Betrieben

"

-

mißhandlung berüchtigten Familien als Hausgehilfimmen, um aus eigener Anschauung die Verhältnisse tennen zu fernen, aber die Beit war für dieje Bewegung noch nicht reif Erst 1910, als die Sozialdemokratie im niederösterreichischen Landtag für die Ver­besserung der Dienstbotenordnung fämpfte, gerieten die Dinge wieder in Fluß; im Mai 1911 entstand

der Berein Einigkeit",

Verband der Hausgehilfinnen aller Kategorien, der nach seinem Zu­sammenschluß mit dem Verein der Heimarbeiterinnen in gewert schaftliche Bahnen einlentte, und in unseren Tagen wurden mit Unterstützung der Gemeinde Wien   zwei Heime und eine ort bildungsschule für Hausgehilfinnen errichtet.

Aber von der sozialen Ermedung zum politischen Verständnis war fein weiter Weg. Ueberall rüttelte, auch in der Provinz, in Graz, Linz  , Brünn  , Reichenberg, Innsbruck   Adelheid Popp   die Frauen auf, und andere mutige Rämpferinnen folgten ihrem Bei­spiel. Die Machthaber saßen ihnen ebenso auf wie den in der Be­wegung tätigen Männern. Wenn in Tirol der überwachende Polizeikommissar der Genossin Anna Boschet gut zuredete, die Agitation aufzugeben, da sie sonst keinen Mann bekommen werde, war das die gemütlichste Form, die Verfünderinnen der sozialisti schen Heilslehre firre zu machen. Von einer anderen Genossin, die viele Abende als Versammlungsrednerin ihrem Heim ferngehalten wurde, sagte eine tückische Geheimnote der Polizei:

" Führt einen leichtsinnigen Lebenswandel, weil sie oft nach 10 Uhr abends nach Hause kommt." Gegen eine ganze Reihe von Genoffinnen wurden Strafverfahren wegen Auf­reizung und anderer furchtbarer Berbrechen eingeleitet und endeten nicht selten mit der Verhängung von Freiheitsstrafen. Auch Adelheid Popp   wurde mehr als einmal angeklagt. Als sie sich vor dem Simmeringer   Bezirksgericht wegen angeblicher Beleidigung der Regierung zu verantworten hatte antwortete fie, von ihrem Verteidiger tattisch gut beraten, auf die Frage, was sie mit ihren. Aeußerungen bezweckt habe, stolz und fühn: Ih wollte zu Haß und Berachtung gegen die Regierung aufreizen!" Da dieses Delift vors Schwurgericht gehörte, mußten sich die Berufsrichter, die unserer Genoffia gern aus dem Handgelenk ein paar Wochen Arrest aufgebrummt hätten, für unzuständig erfiären, und da man den Geschworenen in jenen unruhigen Zeiten wenig traute, schlief das Verfahren ein.

Als für die Osterfeiertage des Jahres 1898 die erste fozial. demokratische Frauenreichstonferenz für Destere reich einberufen wurde, hielten führende Gewerkschafter mit thren; Bebenfen nicht zurüd, weil sie fürchteten, daß das Aufpeitschen ber Frauen für eine Sonderorganisation sie den Berufsverbänden fern­halten könne. Aber wenn nichts anderes, so zeigten die Reichs­ratswahlen in steigendem Maße die Notwendigkeit eines anderen organisatorischen Zusammenschlusses für Frauen, als ihn Bildungs­verein und Gewerkschaften darstellten, denn an den Wahlkämpica. wirkten Genofsinnen wader auf ihre Art mit; sie vertrieben fogar allzu zudringliche christlichsoziale Schlepper mit Spülwasser und nassen Fetzen" aus den Wohnungen. So trat endlich 1902 der

dieser Art zu einem spontanen Streit, der drei Wochen dauerte. Berein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen"

Natürlich wurde bei solcher Gelegenheit der Hebel angefeßt, um zu organisieren. Auch an die Hausangestellten, die dank der noch gültigen Dienstbotenordnung aus dem Jahre 1810 vielfach unter entwürdigenden Bedingungen lebten, suchte man heranzufammen. Arbeitslose Genoffinnen verdingten sich in den durch Dienstboten

ins Leben, der in seinen Statuten mit Rücksicht auf das Bereias gelek Beschäftigung mit Politik und Religion ausschloß, sich aber gleichwohl munter in politischen Gewässern tummelte, getreu dem treffenden Wort: In England ist erlaubt, was nicht verboten ist.