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Die rote Jungfrau".

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Bor einem Bierteljahrhundert, im Januar, starb die ,, Rote Jungfrau", die große Revolutionärin und Kämpferin... Er immerungen steigen auf aus Kindheit und Jugend. Sum erstemmal lah ich, felbft nod) ein feines Mädchen, Luise Michel bei Ma. bame Tussaud in Paris . Das war das große Wachsfiguren fabinett, jozusagen das dortige Caftans Panoptitum. Da stand sie als Anführerin einer Gruppe wildbewegter Welber, zum Glück alle in Wachs, die im Begriff waren, Petroleumfäffer herbei zuschleppen und unter Luise Michels Kommando dem Brande während der Pariser Kommune neue Nahrung zuzuführen. Grauen beschlich mein Kinderherz. Ich ahnte nicht, daß ich noch vor Ablauf von zwei Jahrzehnten bel der roten Luise zu Gast sein, von thr, nach franzöfifcher Sitte, gefüßt werden würde.

Das war in London . Ein junger Franzose, gleich mir Hörer der ,, School of Economics", der von Beatrice und Sidney Webb geleiteten volkswirtschaftlichen Hochschule, bot mir an, mich Sonntags zu seiner Landsmännin, Luise Michel, die als politischer Flüchtling in einem Londoner Borort lebte, mitzunehmen. Boll Spannung fuhr ich hinaus, durch endlose Meilen schmuck- und ge­schmadloser Cottages, in Maffenherstellung schlecht gebauter Häuschen, dürftiges, eintöniges Massendasein.

Welt braußen wohnte in solchem Häuschen, als Untermieterin einer englischen Arbeiterfamilie, Luise Michel. Ich stand vor der wilden Megäre, der blutdürftigen Petroleuse einer fleinen, vom Alter gebeugten Siebzigerin, in schlichter schwarzer Kleidung, mit halblang geschnittenen, grauen Haaren, deren ganzes Wesen Liebe und Güte ausstrahlte. Stundenlang hörte ich sie erzählen aus ihrem bewegten Leben, von ihrem Glauben ,, der Mensch ist gut", man müsse mur alle Gesetze, allen Zwang, alle Einengung beseitigen Aus diesem Glauben heraus war sie vom Sozialismus zum Anarchismus edelfter Gattung geschritten. Von ihrem Wirt hörte ich weiter, daß sie alles verschenke, buchstäblich den letzten Biffen Brot, die letzten Kleidungsstücke mit Darbenden teilend. Man mußte darüber wachen, daß sie nicht aus Gutherzigkeit verhungerte. Zimmer und Nahrung teilte le mit Hunden, Kazen, Bögeln, die sie zur harmonischen Ein tracht erzog.

Der tiefe Eindrud erzeugte den Wunsch, mehr zu erfunden über diese Frau, die, wie manche andere( z. B. Bera Figner) zugleich glühende Revolutionärin und fanfte Heilige war. Schriften über fie und von ihr Jie war eine hochbegabte Dichterin brachten Aufklärung, der Raum verbletet, hier mehr als tnappfte Daten zu geben.

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Ein uneheliches Kind, die Mutter Bauernmädchen, der Bater, vermutlich der Schloßherr, der aber nach französischem Gesetz nicht herangezogen werden konnte. Ein großväterliches Haus, in dem Tiere gehegt und Bücher gelesen wurden. Große geistige Reglam feit des fleinen Mädchens, das sich an Arbeit und Spiel von Knaben beteiligt, viel zu lebhaft für die Dorfschule, eine unbequeme Schülerin, als höchst unweiblich gilt. Bis heute ist die Frage ungelöft, ob Luise, die am liebsten Knaben- und Männerkleidung trug. tatsächlich Drittes Geschlecht" war. Blographen widersprechen sich. Auf Tehnung gegen die Frauenkleidung jener Zelt, jenes fürchterliche Marterinstrument, beweist tatsächlich noch wenig. Jedenfalls eignete Luise Michel tiefste Liebe zu allen Leibenden und größte Sarthelt des Empfindens, all das, was man landläufig als echt weibliche Herzenseigenschaften" rühmt. Sie wird Lehrerin. Auf dem Lande Durch die freiheitlichen Anschauungen unmöglich, fämpft fie fich in Baris durch, tomponiert, malt, dichtet, wird Rednerin, begeisterte Mitarbeiterin eines Kreises von Revolutionären und Republikanern. Dabei arbeitet sie Tag und Nacht, um ihre Mutter zu erhalten. Im deutsch - franzöfifchen Krieg schließt sie sich den Republifanern an, die den Krieg beenden wollen. Nach Sturz des Kaiserreichs wird fie, in der belagerten Hauptstadt, leidenschaftliche Witkämpferin der Kommune, steht als Führerin mitten im Stugelregen, in Soldaten­Fleidung, auf den Barrikaden. Bei der Befiegung der Aufständischen durch die Truppen wird sie vergebens gesucht fre stellt sich frei willig als Gefangene, um ihre Mutter vor der Erschließung zu retten.

Seltsamerweise entgeht sie dem Blutbad, nach offiziellen Angaben wurden 35 000 Kommumarden erschossen! Jahrelang nach Neu- Kale. bonien verbannt, wirft sie dort als guter Engel der Gefangenen und der einheimischen Bevölkerung. Begnadigt und zurückgekehrt, gerät fie immer wieder in politische Rämpfe und dadurch ins Gefängnis. Nichts vermochte ihren Mut zu brechen, erst als sie hörte, fie solle für geistestrant erflärt und lebenslänglich intermiert werden, flieht fie nach England. Aber mächtige Sehnsucht nach ihrem Bateríand und politischem Wirken in Frankreich zieht sie zurüd. Sie starb auf einer Bortragsreife durch Südfrankreich , einen Tod in Rampf und Arbeit, wie er zu ihrem Leben paßte.

Kind des Proletariats, unermüdliche Rämpferin für das Prole tarlat, felbftlojes Vorbild, das war die rote Jungfrau. Und fo foll ihr Bild in uns weiterleben ungetrübt vom Wachsfiguren. Sabinett der Mme, Tussaud in Paris .

Adele Schreiber ,

Ja, was foll man denn machen?

Es war auf dem Elternabend in der weltlichen Schule. Schul entlassung und Jugendweihe standen bevor. Die Debatte wurde er regt, als der Rettor den heitlen Bunft berührte: Häusliche Feier! Er wies auf den Konflikt hin, in den jeder Junge, jedes Mädel ge trieben wird, die durch eingehende Aufklärung in der Schule erkannt haben, daß der Alkoholgenuß schädlich für Korper und Geist ist, und die es nun erleben müssen, daß der schöne Tag der Jugendweihe ent­weiht wird durch Bier, Wein und Liför und ihre häßlichen Be­gleiterscheinungen. Dieser falsche Freund Alkohol, der sich in unsere Mitte schleicht, zu Streit und Hader aufreizt, zu jeder Hemmungs­losigkeit fürter hat bei dem schönen Fest, das wir unserer Jugend beim Eintritt ins Leben, beim ersten Schritt zur Selbständigkeit be­reiten wollen, nichts zu suchen. Und welcher Gipfel der Berlogen helt ist es, dem besuchenden Klassenlehrer, der es sich nicht nehmen ließ, um dem Jungen die Freude zu machen, mitzufeiern, altohol. frei aufzutischen, aber nach seinem Weggehen Bier und Schnaps aufzufahren, um die Gemütlichkeit" zu begießen! Ja, sind denn diese Eitern blind und gefühllos? Ahnen sie nicht, wie sie ihren Rindern durch solches Berhalten förperlichen und feelischen Schaden aufügen? Wie sie das findliche Vertrauen vielleicht für immer zer ftören?" So etwa sprach der Rettor.

Ja, aber was foll man denn machen?" heß sich eine Mutter vernehmen. Man fann doch seine Gäfte nicht auf dem Trockenen figen laffen. Sie haben das Opfer gebracht, sind vielleicht von weit her eigens zu diesem Tag gekommen ein bißchen feftlich foll's doch schon sein."

Da figt der Kernpunkt. Ist denn festlich" gleichbedeutend mit angefäufelt oder gar betrunken? Wir hören soviel von proleia. rischer Festkultur, aber in die Häufer felbft, in die prole tarischen Wohnstätten ist sie noch nicht eingedrungen. Wie viele haben ein flares Bild davon, wie würdig und geschmackvoll, dabei mit echtem Behagen und heller Fröhlichkeit eine solche Feier sein fann ohne den groben Gesellen, der die Freude vergröbert und in Leid enden läßt: den Alkohol? Mit wenigen Ausnahmen wird noch überall nach der gleichen Schablone verfahren: Mehr oder weniger gutes Effen, mitunter auch schon über die Mittel, die man vernünftigerweise verwenden dürfte, hinaus. Dann die Geistlosig feit der Unterhaltung ausgeglichen durch reichliche Mengen geistiger Getränke. Die Luftigkeit, die sich dann nach jedem hinuntergegoffenen Glase lärmender und ungezügelter gestaltet, hat wahrlich mit dem Anlaß und der ernsten Feierstunde gar feinen Zusammenhang mehr. Wie oft geht folche Feier zu gemeinen Zoten über, und wie oft endet fic mit rohen Beschimpfungen und gar Gewalttätigkeiten! Soll das die weihevolle Erinnerung sein, die wir unseren Kindern, wenn jie vielleicht vom Elternhause scheiden, mit auf den Lebensweg geben?

Aber

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Bas foil man machen?" fragte vorhin die Frau. Und doch ist es so einfach, die rechte Antwort selbst zu finden. Gewiß foll die Hausfrau ihre Gäfte nicht auf dem Trodenen figen laffen. aber mit rechten Mitteln! Wie wird die Festesfreude erhöht, die Fröhlichkeit erreicht ihren Gipfel, wenn je nach der Jahreszeit im Sommer die Bowle, im Winter der Bunsch aufgetragen wird aber frei von Altohol!

Und welche föftlichen Getränke tönnen wir heute herstellen, in benen noch der volle Duft, der liebliche Reiz der frischen Frucht vor handen ist und in denen fein heimlicher Feind und Bersucher lauert. Weiß doch jeder, der sich nicht mit den derben Reizen des Altohols den Geschmack verdorben hat, wieviel feinere und dabei unschädliche Genüffe sich uns in den mannigfachen Abtönungen und Mischungen unserer edien, undergorenen Fruchtsäfte bieten. Wenn die Hausfrau folche Rezepte verwendet, lo wird sie die Freude erleben, daß feiner über den Durft trinkt, daß Alte und Junge teinen Schaden nehmen, Spiele und Beluftigungen werden dann nicht zur Hemmungslosigkeit ausarten. Schöne Boltslieder und Weisen werden ertönen, deren unsere Jugend heute so viel bei den Kinderfreunden und der Arbeiterjugend fennen lernt. Einer zaubert vielleicht luftige Schattenbilder an die Wand. Rätselspiele und harmloser Scherz ver. treiben die Seit. Hat gar ein befreundeter Burfch eine Geige oder Klampfe mitgebracht, so wird trop des engen Raumes ein Tänzchen gewagt. Zum Schluß aber find alle noch ihrer Sinne vollmächtig. Dann erflingt vor dem Auseinandergehen noch eines unserer ftolzen Weihe und Kampflieder und zeigt dem jungen Menschen, daß in feinem Heim die Ideale des proletarischen Befreiungsstrebens ge pflegt werden. Denn es ist wahrlich an der Zeit, die öde Nach ahmung geistlofer fleinbürgerlicher Feftunfitten zu erlegen durch eine bewußte, echt profetarische Feierweise. Ift dann der Abend würdig und froh verlaufen, gehen alle befriedigt davon.

Und der Erfolg? Klare Köpfe und ungetrübtes Erinnern bei groß und flein. Dem jungen Menschen aber, der im Mittelpunkt dieses Feftes geftanden hat, bleibt der Tag feiner Jugendweihe ein holder Stern der Erinnerung an Jugend und Elternhaus.

Jeztka Katzenstein,