Das
1930 noch als Maßstab für richterliche Entscheidungen. Die Frank furter Beltung" kommentiert diesen Fall folgendermaßen: Rammergericht in Berlin hat in einer Eheanfechtungsflage ein Urteil gefällt, das dadurch von besonderem Interesse ist, daß es ziemlich unverhüllt eine verschiedene Moral für Mann und Frau tonftruiert. Ein Kaufmann flagte nach achtmonatlicher Ehe auf Richtigkeitser Märung, weil ihm seine Frau verschwiegen habe, daß sie vor der Eheschließung vier Liebhaber gehabt habe. Das Landgericht III in Berlin erklärte, nachdem die Beweiserhebung die Angaben des Ehemannes bestätigt hatte, die Ehe für nichtig. Die Frau legte Berufung ein, aber das Stammergericht bestätigte das Urteil mit folgender Begründung: Unerheblich ist, ob der Ehemann selbst vor feiner Ehe Liebesverhältnisse gehabt hat. Die geltenden fitt. lichen Anschauungen verwehren dein Manne den vorehe Hichen Berkehr nicht, fie gestatten ihm diesen vielmehr ohne Schmä- gefährten auch Licht in ihre Finsternis bringen. lerung feines fonftigen Anfehens, verübeln diesen aber der Frau und finden nur in einem ernsthaften Liebesverhältnis allenfalls eine Entschuldigung. Aber nicht die Tatsache allein, daß die beklagte Ehefrau vor ihrer Ehe Liebesbeziehungen unterhalten habe, rechtfertige die Anfechtung der Ehe, sondern vor allen Dingen die Häufigkeit und der Wechsel dieser Beziehungen sei ein schwerer fittlicher Fehler, denn man erkenne an ihm ihre mangelnde Beherrschung in geschlechtlicher Beziehung."
Besitz. Ihr Schifal machte sie den Zeitungen interessant. Aber die Redaktion tapitalistischer Blätter, die ihr zuerst Komplimente über Romplimente" gemacht hatten, änderten ihr Urteil, als Helens politische Einstellung bekannt wurde. Heute, nachdem ich Sozialistin geworden bin, erinnert( der Herausgeber des Brooklyner. ,, Eagle") mich und die übrige Welt daran, daß ich blind und taub bin und deshalb besonders leicht in Irrtümer verfalle."**)
Ihr tiefes soziales Empfinden führte sie auch zur sozialen Tat. Im Jahre 1916 gab sie ihrem deutschen Verleger den Auftrag, alle ihre Einfünfte aus der deutschen Ausgabe ihrer Schriften den deutschen Kriegsblinden zuzuweisen. Diese zeitlich begrenzte Stiftung erweiterte fie 1920 zu einer endgültigen und dehnte sie aus auf die Kriegstauben und Kriegsstummen. Sie, die die dunklen Mächte ewiger Nacht so schmerzvoll erlebte, fie möchte ihren Leidens
Helen Keller.
Zum 50. Geburtstag.
S.S.
An der amerikanischen Schriftstellerin und Sozialistin Helen Keller wird uns die Wahrheit des fozialpädagogischen Gedankens klar, daß der Mensch zum Menschen nur durch die Gemeinschaft wird. In dem taubstummblinden Kinde ruhten viele reiche Kräfte des Willens und der Intelligenz, und doch hätten sie der Berkümme= rung anheimfallen müssen, wenn nicht die verständnisvolle Blinden. lehrerin Anne Sullivan dem Kinde das Tor der Seele erschlossen hätte, wenn nicht die Lebensumstände" feiner Entwidlung günstig gewesen wären.
Helen Keller , am 27. Juni 1880 in Tuscumbia im nördlichen Alabama als gesundes und kräftiges Kind geboren, veríor mit anderthalb Jahren durch schwere Krankheit Geficht und Gehör, und ba fle mun nicht mehr imftande war, die menschlichen Laute threr Umgebung aufzunehmen, wurde fie auch ftumm. Mittels der ihr gebliebenen Sinne: Getaft, Geruch und Geschmack verfuchte fie, ihre Umwelt tennen zu lernen und sich den Menschen verständlich zu machen. Aber je mehr sie das Unzureichende diefer Hilfsmittel merkte, desto leidenschaftlicher wurden ihre Ausbrüche der Verzweißlung. Die Eltern fonnten ihr nicht helfen.
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Erst im Alter von sieben Jahren vollzog sich durch den Eintritt der A. Sullivan in ihr Elternhaus jene Umwandlung, die in der Geschichte der Erziehung einzig dasteht: das Erwachen des Gelftes aus tiefer Nacht und seine Entwicklung zu einer hohen Stufe der Menschlichkeit. Helen erlebte an sich jene Wahrheit, die heute durch die psycholog schen Forschungen eines Freud und Jung als Wissen fchaft anerkannt ist: daß nämlich die Bildung des Menschen sich wefentlich im Interbemußtsein vollzieht, und daß hinter der Grenze des individuell unbewußten noch das kollektiv Un. bewußte lebt, in dem die Kräfte und Borstellungen vergangener Generationen aufgespeichert liegen. Aus diefr Erinnerungsfraft Helen nennt sie ihren Seelenfinn“ leitet sie ihre Fähigkeit her, den Sinn der Worte, die A. Sullivan ihr zuerst mechanisch in die Hand buchstabiert, zu erfaffen und zu erkennen. Auf diese Weise wurde ihr die Zusammengehörigkeit von Wort und Sache flar und die Bedeutung des Wortzeichens für den Verkehr der Menschen untereinander. Nun fand sie aus dem Labyrinth geistiger Dumpfheit den ersehnten Ausgang. Ihr Lerneifer führte nicht nur zur erstaunlich schnellen Einprägung dieser Zeichensprache, sondern auch zum Schreiben mittels der Braille- Schrift) und schließlich zur Er lernung der Lautsprache. Durch die Hilfe ihrer Lehrerin wurde es Helen möglich, das Mädchengymnafium in Cambridge und nach glänzend bestandenen Examina die Universität zu befuchen. Sie studierte im wesentlichen Nationalökonomie, Literatur und Geschichte.
Helen Keller ist ihrer politischen leberzeugung nach Sozialistin. Ihr eigenes Leid machte sie von früh auf für das Leiden anderer Menschen empfänglich. Da sie selbst von vielen Freuden des Lebens ausgeschlossen war, fonnte sie die Entbehrungen der Armen nach fühlen. Aber sie wurde Sozialistin nicht nur mit dem Herzen, sondern auch mit dem Verstand. Bücher und Zeitschriften waren ihr Wegweiser. Sie hält sich eine deutsche sozialistische Zeitschrift, die für den Gebrauch der Blinden in Braille- Schrift gedruckt iſt Kautskys Distuffion über das Erfurter Programm ist in ihren
*) Die Braille- Schrift beruht auf einem System von sechs erhaben geschriebenen Punkten, die untereinander verschiedene Stellungen einnehmen und von den Blinden ertastet werden.
Heute ist Helen Keller eine geachtete Schriftstellerin. Aber was
mehr gilt: sie ist eine Kämpferin für Recht und Wahrheit. Ein ganzer Menich. Und ein glücklicher.
Henny Schumacher.
Von Helene Lange zu August Bebel .
Bor kurzem starb die Führerin der bürgerlichen Frauenbewegung Helene Cange im 82. Lebensjahr. Die nachfolgende Episode schildert den Weg, den eine ihrer Anhängerinnen von ihr hinweg zum Sozialismus gegangen ist.
Das behaglich eingerichtete Heim der badischen Lehre rinnen in Lichtental bei Baden- Baden war feftlich geschmückt. leber allen Türen und Eingängen hingen Girlanden und auf den Tischen im großen Speisesaal lagen blühende Blumen, standen Kirsch- und Apfelblüten. Blumen in allen Farbentönen, in allen Formen, wohin das Auge sah: der große Garten des Heims hatte fie in überreicher, verschwenderischer Fülle geliefert.
Festlich und erwartungsvoll war auch die Stimmung der Helmchen", der alten Pädagoginnen, die hier einen ruhigen Lebensabend verbrachten, und der Gäste, die aus allen Teilen Deutschlands herbeigeeilt waren, um über Berufsfragen zu beraten und gleichzeitig den 75. Geburtstag der gresen Borfämpferin Helene Lange zu feiern. Am erregtesten und erwartungsvollften aber waren die jungen Lehrerinnen, die vor kurzem das Se minar, die damallge Lehrerbildungsanstalt, verlassen hatten. Sie hatten noch niemals Fühlung mit einer großen Frauengemein fchaft genommen, und ihre Erwartungen, die sich an das Eintreffen ihrer berühmten Kollegin fnüpften, waren deshalb besonders groß und weit gespannt.
Lange über die vorgesehene Zeit hinaus dauerte es, bevor Helene Lange eintraf. Die Damen, die fte am Bahnhof empfingen, hatten fie, statt zur Straßenbahn oder einem Wagen, zur Lichten taler Allee geleitet, die in herrlicher Blüte stand, und die Greifin hatte gern eingewilligt, den Weg bis zum Heim zu Fuß zurückzus legen, um die einzigartige, südliche Landschaft kennenzulernen. Aber der nahezu einstündige Marsch war zuviel für fie gewefen. Als sie im Heim eintraf, war sie unendlich müde, und ihr Gesicht fah verfallen aus. Es belebte fich, als die Vertreterinnen des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen- Bereins, den sie selbst vor Jahrzehnten gegründet hatte, fie begrüßten und als die Jüngste in diesem Kreise ihr Blumen überreichte. Auch den Ausführungen, die Probleme und Wünsche der berufstätigen Frau behandelten, schien sie noch immer großes Interesse entgegenzubringen. Als sie sich aber dann felbst zu einer furzen Ansprache erhob, da flangen ihre Worte müde und refigniert. Sie wünsche nur noch, daß die Jugend nunmehr ihr Werk weiterführe, und sie bitte das Schicksal, ihr ein allzu langes Leben zu ersparen Eine Rednerin habe die Hoffnung ausgesprochen, daß sie den 80. und 85. Geburtstag in gleicher Rüftigfeit erleben möge sie bitte, diese Worte zurückzunehmen, denn sie entsprächen nicht ihrem eigenen tiefsten Wunsche.....
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da
War es eine Folge diefer Müdigkeit, oder hatte es tiefere Gründe, daß die Tagung gerade unter der Jugend nicht die ein stimmige Geschlossenheit und Begeisterung fand, die ihre Führerin und Vorfämpferin ersehnt hatte? Es war spät am Abend faß ein flelner Kreis junger Menschen in leidenschaftlicher Debatte über die Gründe dieser Spaltung noch zusammen. Es waren junge Mädchen, die größtenteils aus bürgerlichen Familien stammten, und niemals Gelegenheit gehabt hatten, proletarische Kämpfe und Sorgen fennen zu lernen. Und doch ließ sie irgend e was unbefriedigt in dieser Gemeinschaft, drängte sie unwiderstehlich hinaus aus diesem politisch angeblich neutralen, aber in Wahrheit. rechts eingestellten, mur die Interessen einer bestimmten bürgerlichen Schicht wahrnehmenden Berbande. Erst vor kurzem hatten feine Vertreterinnen eine junge Kollegin, die uneheliche Mutter ge