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Frauenstimme

Rr.24 47. Jabreana

Beilage zum Vorwärts

4. Desem er 1930

Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus

In jeder großen politischen und sozialen Bewegung gibt es Wendepunkte, wo die Besinnung auf die Vergangenheit, auf das bereits Erreichte, und der Ausblick in die Zukunft befruchtend wirken. Diesem Bedürfnis dient die wertvolle Schrift ,, Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus", die Anna Blos dieser Tage veröffentlicht hat unter Mitarbeit von Adele Schreiber , Louise Schröder und Anna Geyer ( Verlag Kaden u. Comy., Dresden ).

Sehr lebendig schildert Anna Blos die Geschichte der sozial demokratischen Frauenbewegung in Deutschland und die ersten Arbeiterinnenvereine. Sie läßt uns auch den geistigen Werdegang der tapferen und begeisterten Pionierinnen dieser Bewegung er Schauen. Aus der tiefsten Erniedrigung unter dem Druck des Früh tapitalismus und feiner gierigen Ausbeutung der Frauen und Kinder erwacht die Arbeiterin zum Kampf um die Erlösung des unterdrückten Geschlechts und der unterdrückten Klasje. Während der Einzug der Maschine die massenhafte Be­Schäftigung der Frauen in der Textilindustrie fördert, erwacht der Groll der Männer gegen die lohndrückende Konkurrenz der Frauen, gegen die Verdrängung gelernter männlicher durch ungelernte weib liche Arbeiter. haben wir nicht einen leisen Widerhall dieses Grolls erfebt während des stürmischen Siegeslaufes der Maschine in den legten Jahren? Ist es nicht die Tragit der weiblichen Arbeitnehmer, baß die fapitalistische Technisierung ihnen nicht nur den Fluch der leberausbeutung, sondern auch

die Feindseligkeit im Schoße der eigenen Klasse aufbürdet? Tief vereinsamt standen die Arbeiterinnen zu Beginn des Maschinen­zeitalters und der Großbetriebe. Während der Kapitalismus fie bereits massenhaft in den Produktionsprozeß und die Arbeitsfron einspann, wurden ihnen das Recht auf Arbeit, und erst recht die politischen Rechte als Seibstverständlichkeit abgesprochen.

Man begreift, welch geistigen Aufstieg die deutschen Arbeiter in wenigen Jahrzehnten unter Führung der Sozialdemokratie durch gemacht haben, wenn man bei Anna Blos lieft: Luise Otto Peters und ihre Freundinnen schrieben an den Arbeitertag in Gera ( im 3. 1865): Wenn es da und dort hat geschehen fönnen, daß die Fabritarbeiter alles aufgeboten haben, die Frauenarbeit in den Fabriken zu verhindern, so bitten wir sie, solchen Bestrebungen nicht beizutreten." Sie wiesen ferner darauf hin, daß der Hunger auch den Frauen weh tut, daß sie bei Arbeitslosigkeit leicht der Schande anheimfallen, und daß die Arbeiter, die gegen die Frauen­arbeit fämpften, gegen ihr eigenes Fleisch und Blut wüten, da es sich um ihre Mütter, Schwestern, Töchtern und Frauen handle. Die Forderung der Arbeiterverbrüderung"( so nannte sich eine Arbeiter organisation, gegründet im 3. 1848, J. G.), daß

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preußischen Vereinsgefeßes, der so schön lautete: Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, dürfen keine Frauenspersonen, Schüler oder Lehrlinge als Mit­glieder aufnehmen." Troß der schifanösen Auslegung dieses an sich schon bornierten Vereinsgesetzes haben von Freiheitsdrang und Idealismus beseelte Frauen eine sozialistische Frauenbewegung groß. gezogen! Es wäre zu wünschen, daß die heutige Frauengeneration, die die tostbaren politischen Rechte als Erbgut jener Kämpferinnen genießt, nur halbwegs soviel Opfermut im Kampfe gegen die Toten­gräber der Demokratie und der geistigen Freiheit aufbringen würde. Wer die instruktiven Beiträge der genannten Mitarbeiterinnen aufmerksam liest, wird sich davon überzeugen, wieviel positive wert­volle Arbeit von der sozialistischen Frauenbewegung auf allen Ge bieten geleistet wurde. Adele Schreiber schildert die Sozial­demokratin als Parlamentarierin, die Frauenarbeit im Reichstag, in Landtagen und Gemeinden. Die Verfasserin wirft die Frage auf: Hat sich die Frau im Parlament bewährt?" und bejaht sie mit Recht. Sie stellt aber fest, daß

,, die Gesamtheit der Frauenleistung in der Partei größer sein fönnte, wenn individuelle Fähigkeiten mehr ausgewertet würden. Einzelne sind durch Fähigkeiten wie durch glückliche Umstände zur vollen Auswirkung gelangt, aber noch liegt ein gut Tell Frauen­traft für die politische Arbeit brach". Letzteres wird wohl ganz besonders auf den weiblichen Nachwuchs zutreffen. Diese sehr aktuelle Frage der politischen Auswirkung der jungen Frauen­generation, die heute mit neuen schwierigen Problemen ringt, findet in der sonst so vielseitigen Schrift nicht genügend Beachtung. 3st doch der Generationenwechsel in unserer Zeit besonders scharf ausgeprägt, die Kluft zwischen Müttern und Töchtern besonders groß. Das Selbstbewußtsein dieser jungen Generation ist ganz enorm, sie fämpft nicht um Selbstbehauptung mit der alten Generation, sondern will von ihr umworben werden, sonst geht sie eigene Wege, die oft freilich sehr minderwertig und bedauerlich sind, wofür die politische Chronik der kommunistischen und nationalsozialistischen Jugendbewegung genug ermahnende Beispiele liefert. Die großen politischen Leistungen der älteren Generation sind gefährdet, wenn nicht ein breiter,

falfcäffiger Nachwuchs, der zur vollen Geltung gelangt, gewillf ist, sie mit Begeisterung zu schühen.

Die Jugend als Bannerträgerin der sozialen Demofratie, die weib­liche Jugend als Schrittmacherin der wirtschaftlichen Gleichstellung der Frau und der sozialen Neugestaltung, das ist die Forderung der Stunde. Die grauenhafte wirtschaftliche Not und der seelische Druck der mechanisierten Kultur lasten viel drückender auf den Frauen. Die junge Frauengeneration steht zwischen den Zeiten, ist innerlich zerrissen und stößt auf Lebensverhältnisse, aus denen sie bereits herausgewachsen ist. Soll sie nicht der politischen und

Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollten, wurde aber von den Arbeitern zunächst nicht als selbstverständlich hingenommen. Sie wurde sogar, wie das Schreiben Luise Ottos an ben Arbeitertag in Gera zeigt, von einer Reihe von Männern beferuellen Verwirrung zum Opfer fallen, muß fie zur politischen tämpft."

Es ist für die damalige Einstellung auch der fortschrittlich ge­finnten Männer zur Frauenfrage sehr bezeichnend, daß der demo­fratische Führer Robert Blum in den Vaterlandsblättern" im 1848 eine Rundfrage veröffentlichte: haben die Frauen das Recht, an den Interessen des Staats teilzunehmen?" Es erscheint demnach begreiflich, daß die kühne Antwort Luise Ottos: Die Frauen haben nicht nur das Recht, sie haben die Pflicht, an den Interessen des Baterlandes teilzunehmen", damals Aufsehen und Bewunderung erregte. Und dreißig Jahre später, im J. 1878, wurde

Geltung gelangen, um Hand in Hand mit der älteren Generation schöpferisch zu wirken, um neue soziale Zustände und neue Lebens­formen zu schaffen, in die sie organisch hineinwachsen kann.

Wie trägt die Parteipresse dieser politischen Erziehung der neuen Frauengeneration Rechnung? Adele Schreiber berichtet: 63 von 170 fozialdemokratischen Tageszeitungen haben Frauen­beilagen, doch

nur ausnahmsweije unter weiblicher Redaktion. Die Frauenbeilagen sind von führenden Genofsinnen scharf fritisiert worden, so sagte Marie Juchacz unter allgemeiner Zustimmung: ,, Die Frauenbeilagen dürfen nicht allgemeine Schuttabladeplätze der im 3. 1873 gegründet wurde, aufgelöst auf Grund des§ 8 des werden." Diefem bezeichnenden Ausspruch ist nichts hinzuzufügen.

der erfle Arbeiterfrauenverein,