154Für unsere Kindertaugst du unnützes Ding." Damit sprang derHase sort, und die Erdbeere schämte sich so.daß ihr die Tränen aus den Auglein rannen.Die Tropfen fielen aber nicht zu Boden, son dern blieben rings an der Erdbeere selbsthängen wie kleine, winzige Perlchen. JederGrashalm, und sogar das steife Farnkrautlachte sie aus, und überall höhnte und zischeltees:„Unnützes Ding! Du unnützes Ding!"So verging der Tag, und als der nächsteMorgen kam, beugte die Beere ihr Köpfchennoch tiefer als sonst zur Erde. Sie dachtejetzt nicht mehr an die Größe der Welt, son dern nur, weshalb sie wohl so unnütz wäre,und ob es gar kein anderes Geschöpf gäbe,das so wie sie nichts könne, als sich im Taubaden und am Sonnenschein erfreuen. Daßdas Eichhörnchen, die Maus und sogar dieSchmetterlinge es immer sehr eilig hatten,das wußte sie. Aber horch, was war das?Mit leisem Flügelschlag kam ein Fink, setztesich auf einen schwanken Birkenast, glättetesein Gefieder und schaute mit seinen klugen,schwarzen Perlenaugen lustig umher. Oho,dachte die Erdbeere, der scheint sich auch nurseines Lebens zu freuen, der wird mich nichtverachten, weil ich so unnütz bin. Währendsie aber noch überlegte, ob sie es wagen sollte,den Finken anzusprechen, wetzte der seinSchnäbelein und rief nach seiner Frau, undals die aus einem entfernten Busch antwortete,mahnte er sie einmal über das andere:„Bringes flink, bring es flink." Sein Weibchen aberkam nicht. Was es bringen sollte, mußte ihmwohl zu schwer werden, und so flog der Finkzu seiner Frau nach dem Busch. Er wolltegewiß Helsen.„Ach," seufzte die Erdbeere,„der hat alsoauch zu tun, und nur ich bin unnütz." Siewollte eigentlich traurig sei», aber die Sonneschien so lustig, daß sie es nicht recht fertigbekam.„Zirp, zirp," tönte es da dicht nebenihr. Eine Grasmücke hüpfte durch die Zweigedes benachbarten Brombeerstrauches. Nunblieb das Vöglein im vollen Sonnenscheinsitzen, putzte sein Gefieder, hob abwechselndein Bein ums andere hoch und sah aus,als wüßte es nicht recht, was es anfangensollte. Lange wagte die Erdbeere nichts zusagen und beobachtete die kleine Grasmückenur verstohlen. Aber als sie nichts tat, alshöchstens ein wenig nach rechts oder nachlinks hüpfen, nahm die Erdbeere all ihrenMut zusammen und sprach:„Höre, lieberVogel, freust du dich auch so an diesem schöne»Tag? Wenn dir's recht ist, so komm doch einwenig näher zu mir her: Hier ist solch schönessonniges Plätzchen, da können wir plaudern.Du hast doch gewiß nichts Wichtiges zu tun."Die Grasmücke erschrak nicht wenig, alssie das hörte, denn sie hatte wirklich im liebenSonnenschein ihre Arbeit vergessen. Nun nahmsie sich kaum noch Zeit, der Erdbeere zuzu rufen:„Muß unse Mutterns Jacke flicken, Jackeflicken, habe kein Zwirn, Zwirn, Zwirrrn!"Dann flog sie fort, jedenfalls um sich Zwirnzu holen. Die Grashalme aber riefen:„Nunhalte endlich deinen Mund, du unnützes Dingdu, und slöre nicht immer unsere Unterhal tung." Und dann zischelten sie untereinanderund zankten sich weiter.Die Erdbeere aber schämte sich so, daß sieganz rot wurde, und senkte ihr Köpfchen nochtiefer als sonst.„Ach, wenn ich doch nur nichtso unnütz wäre!" Das war ihr einziger Ge danke. Aber da wurde es laut im Walde.Lustiges Kinderlachen ertönte, und plauderndkamen ein Mädchen und ein etwas größererJunge dahergesprungen. Beide waren bar füßig und ärmlich gelleidet. Aus ihren Augenlachte ein unverwüstlicher Frohsinn. ZweiKörbe mit Beeren zeugten von ihrem Fleiße.Jetzt mußten sie wohl müde sein, denn siesetzten sich dicht neben der Erdbeere ins Gras.„Du," sagte das Mädel zu ihrem Bruder,„heute bekommen wir sicher jedes Ll) Pfennigfür unsere Beeren. Sieh nur, wie viel ichhabe, und wie schön sie aussehen."„Ja, gewiß." antwortete der Junge,„wirhaben ja auch lange genug gesucht, und ichglaube, der Händler bekommt viermal so vieldafür, als er uns gibt. Aber nun komm; jeeher wir zu ihm kommen, desto schneller könne»wir der Mutter das Geld bringen."Da rief plötzlich das kleine Mädel:„Wartemal! Hier hängt noch eine Beere. Sieh nur,wie groß und rot sie ist! Solch schöne Erd beere habe ich noch nicht gesunden. Weißtdu, ich glaube, es wäre gut, wenn ich dieobenauf legte."„Meinst du wirklich?" sagte der Junge;„dein Korb ist ganz voll, und mehr betommsrdu wegen der einen Beere doch nicht. Ichweiß aber, wo diese Erdbeere am besten ist."Dabei schob er die Beere dem kleinen Mäd chen zwischen die roten Lippen. Das ließ essich lachend gefallen.„Also bin ich doch zu etwas nütze," dachtedie Erdbeere und zerging vor Freude auf derZunge des lleuien Mädchens. ijmma Tot«.