Für unsere Kinder

Nr. 21 ooooooo Beilage zur Gleichheit ooooooo 1909

-

Inhaltsverzeichnis: Spruch. Von Marie Ebner­Eschenbach. Die Familie Langbein. Bon Robert Größsch. Frau Rösel. Von Gottfried Keller  . ( Gebicht.) Eine Floßfahrt auf dem Main  . IV. Auf dem Floß. Von Heinrich Wandt  . Wie schön ist die Welt. Von Emma Dölz.( Ge­dicht.) Vixen, eine Mutter. Bon Ernest Seton Thompson.  ( Fortsetzung.)

-

Spruch.

Don Marie Ebner- Eschenbach  .

O sag nicht: fremdes Leid. Ein Leid ift fremd dir nie! Die Trän' im Bruderang', du selbst vergießeft sie. Es schlägt ein einzig Herz in diesem großen A In deiner eignen Bruft ertönt sein Widerhall. Der andre bist du felbft; und ist ihm weh geschehn, Und sinkt verlegt er hin- du bleibst nicht aufrecht Behu.

000

Die Familie Langbein.

Herr Langbein, der Storch, und Frau Lang bein, die Störchin, standen aufrecht, aber un­säglich bekümmert im Neste. Den Schnabel tiefsinnig gesenkt, verharrte Herr Langbein auf der Dachschneide, so recht wie ein Mann, der den Kopf gehörig voll hat.

Es war aber auch zum Federnrausreißen! Seit acht Jahren logierten sich Herr Langbein und Frau in dem verquakten Dorfe Frosch­ hausen   ein. Es war so ruhig und wohnlich auf dem Dache beim Bauern Krautmichel, als Herr Langbein vor acht Jahren nach Frosch­ hausen   kam. Jm nächsten Jahre war's schon etwas lebendiger: ein Kleines Kindchen wurde auf dem Hofe herumgefahren. Den fleinen Schreihals sah Herr Langbein wachsen von Sommer zu Sommer.

Nun ging er bereits das zweite Jahr zur Schule, der Friß, und Herr Langbein mußte schändlichen Ärger an ihm erleben: gestern früh, als sich Friz Krautmichel zur Schule be quemte, hatte er sich lärmend vor der Giebel­seite seines Baterhauses herumgetrieben und hartnäckig zum Dach hinaufgeschrien: Herr Storch! Bring mir ein Brüderchen!"

Als ob ein Storch Menschen unter den Flügeln hervorschütteln könnte!- und heute

früh hatte der Lümmel einfach einen Stein gegen das Storchenneft geworfen, weil Langs bein auf das Gebrüll hin nicht zum Dache herabgeguckt hatte! Geschrien hatte Fritz dabei, als sollte bald noch mehr passieren.

Herr Langbein steckte den Schnabel wie eine rote Schlipsnadel durch den Federbusch der Bruft und blinzelte bekümmert in die Zukunft. Die ersten Steine waren also geflogen ges tommen! Langbein schaute fragend zur Störchin, die aus Angst vom Brüten aufgestanden war und ratlos die Flügel hängen ließ. Die Sonne aber spielte über drei niedliche, weiße Eier, in denen unter der Mutterwärme kleine Störche reifen sollten.

Und da Bater Langbein in schlechter Stim mung war, flapperte er nörgelnd gegen seine Frau los: Geh, set dich. Sollen zu all dem Arger auch noch unsere Kleinen im Ei erfrieren? Und wie das Nest aussieht!" Er zupfte mit dem Schnabel einige Nestreiser in Ordnung.

Die Störchin öffnete einigemal lautlos den Schnabel. Dann breitete fie behutsam die Schwingen, ließ sich umständlich nieder und brütete gebankenvoll weiter.

Die bangen Ahnungen des Ehepaares Lang­bein erfüllten sich leider. Jeden Tag kam früh ein Stein gegen das Neft geflogen und eine Kinderstimme rief dazu: Storch, bring mir ein Brüderchen!" Das ging dem Vogelpaar allmählich gegen die Gesundheit. Herrje, wenn Herr Langbein an andere Jahre zurückdachte! Wie er sich da gefreut hatte, wenn sein Weib auf den Eiern saß und kleine Langbeinchen lebendig brütete. Und dieses Jahr?

Gewiß, die kleinen Störche waren endlich aus dem Ei gefrochen. Eines Morgens fühlte die Störchin ein Picken unter den ausgebreiteten Flügeln. Und als sie nach der Ursache forschte, sah sie drei kleine vorwißige Gelbschnabel aus den zerpickten Eiern hervorstecken. Ach, die lieben Kinderchen," flapperte Water Storch und ließ den Schnabel liebevoll nach unten hängen.

Da tam der Stein geflogen, und dazu Frizens garstiges Gebrüll! Und so jeden Tag. Jeben Tag der Schreck, der auch bald die neuen Kleinen Langbeine packte, daß sie sich tief unter den schützenden Mutterleib duckten.

Das ist eine Stüpelei," Happerte Bater Langbein etliche Male entrüftet hinunter. Aber