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Für unsere Kinder

Alles, was ihr an diesem Gebäude seht, ist| wohl bedacht und schön. Es ist ein stattliches Haus, wie es im Mittelalter die alteingesessenen und in der Gemeinde herrschenden Reichen sich bauten: dreistockig, mit einem hohen Giebel­dach. Die Vorderseite ziert ein schöner höl­zerner Erfer, der auf steinernen Konsolen ruht, und dessen Flächen mit zierlich durchbrochenen hölzernen Mauerverkleidungen geschmückt sind. Die Seite, wo der Treppenaufgang ist, hat einen fleineren hübschen Erker, der vom ersten Stock bis zum Ansatz des hohen, ziegelgedeckten Giebeldaches hinaufreicht. Mit großer Kunst durchgearbeitete Menschenfiguren, aus Holz geschnigt, tragen ihn auf ihren Schultern. Die Natur tut das Ihre, zu verschönern, was Menschenhände geschaffen haben: reiches Wein­laub verhüllt, einem Schleier gleich, den Unter­stock des Hauses. Wundersam altertümlich mutet auch die kleine Häusergruppe gegenüber dem Haus Miltenberg   an. Alles durchweg präch tige Holzbauten, hochaufgerichtet, mit schlanken Giebeldächern und zierlichem Sparrenwerk zwischen den Stodwerken und einzelnen Fen stern. Besonders stattlich und doch traulich blickt an dem mittleren Hause der zweistockige sechseckige Erter herunter, der dicht mit ur­altem Efeu überwuchert ist. Wenn hinter seinen tleinen Buzenscheiben plötzlich eine blonde Mädchengestalt in der Tracht des vierzehnten Jahrhunderts erscheinen würde, die Spindel in der Hand, es fäme mir im Angesicht dieser Ecke Mittelalters ganz natürlich vor.

Zu dem Marktplatz paßt der zierliche Brunnen, der in seiner Mitte steht. Auch er ist nicht mehr jung, ein kunstfertiger Brunnen­meister hat ihn errichtet, den der Miltenberger Rat im Jahre 1588 aus der großen freien Reichsstadt Nürnberg   herbeiholen ließ. Der Mann hat seine Kunst bewährt. Aus dem schön verzierten steinernen Brunnenstock fließt das sprudelnde Quellwasser in das achteckige Becken. An diesem Brunnen haben schon seit mehr als 300 Jahren die Miltenberger Mäd­chen ihr Wasser geholt und dabei geplaudert und gelacht. In alten Zeiten hat freilich der Martiplay nicht bloß fröhliches Geplauder gehört oder auch ernste Gespräche, wenn die ehrsamen Bürger von den Sizungen des hoch. wohllöblichen Rates oder den Beratungen der Zünfte tamen. Zu mancher Zeit hat er von flirrendem Waffengetös und Kriegslärm wider geschallt. Die Stadt Miltenberg   hat eine be­wegte Vergangenheit hinter sich, die bis in die älteste Beit zurückreicht.

Schon die eroberungslustigen Römer besaßen an dieser Stelle eine starke Festung, die erst im vierten Jahrhundert nach Christi von den Ger­manen zerstört wurde. Später siedelten sich friedliche Fischer an der Stätte an, aber der aufblühende Ort wurde im Jahre 910 durch die wilden Scharen der Hunnen in Asche gelegt, die ihre Wohnfige im heutigen Ungarn   vers lassen hatten und brandschazend über Deutsch­ land   hereinbrachen. Noch nicht hundert Jahre später kam das wieder aufgebaute Milten berg   mitsamt seinem starten Bergschloß als Geschenk der frommen Witwe Kaiser Ottos II. zum Kurfürstentum Mainz  , das von einem Erzbischof regiert wurde. Damit war Milten­ berg   eine Art Grenzfestung dieses kleinen Reiches geworden. Es wurde deshalb immer mehr befestigt, mit starken Mauern und Türmen umgeben, und das feste Bergschloß über der Stadt, die Mildenburg, erhielt als Besagung eine friegstüchtige Söldnerschar unter dem Befehl eines Burggrafen. Miltenberg   wuchs im Laufe der Zeit unter dem Schuge seiner starken Stadtmauer zu einem reichen Handels­plaze heran. Seine Lage begünstigte das: un­mittelbar an einer großen Verkehrsstraße zwischen dem Spessart und dem Odenwald  , an der Ausmündung mehrerer Täler, durch die vielbenutte Fahrstraßen führten, und, was die Hauptsache war, an dem Ufer des schiff baren Mains. Täglich brachte der in jenen. Beiten reichbeladene Schiffe aus allen Gegenden nach Miltenberg  . Die Stadt wurde im Mittel­alter bald einer der Hauptpläge des deutschen  Binnenhandels und hatte so viel Ansehen, daß der mainzische Kurfürst und Erzbischof Gerlach am 22. Januar 1354 daselbst durch seinen Münzmeister Henselin die Münze ers richten ließ, die bis 1643 bestand. Aber die Zeiten änderten sich. Wegen seiner Zugehörig. feit zum Erzbistum Mainz wurde Wilten­berg in viele Kriege verwickelt, die es mehr­mals an den Rand des Ruins brachten und mit gänzlicher Zerstörung bedrohten. Dann ging der Bauerntrieg nicht spurlos an der Stadt vorüber. Das Heer, das sich im Süd­westen Deutschlands   aus geplagten, geschunde nen Bauern gebildet hatte, nahm unter seinen Hauptleuten Göz von Berlichingen und Megler von Ballenberg eine Zeitlang hier Quartier. Das geschah nicht, ohne daß die Prachthäuser der reichen Handelsherren, die den ärmeren Bürgern verhaßt waren, schwer gebrandschatt wurden. Aber noch viel mehr wurde die Stadt später mitgenommen. Schweden  , Spas