204 Für unsere Kinder volle Stunde später als gewöhnlich die Anker lösen und weilerfahren. Jeder Flößer hatte seinen Wettermantel mitgenommen, um gegen das drohend« Unwetter gewappnet zu sein. Aber es regnete vorerst noch nicht, und ohne naß zu werden bekamen wir gegen acht Uhr die bayerische   Stadt Aschaffenburg   am rechten Mainufer in Eicht. Sie hat ihren Namen nach dem kleinen FlüßchenAschaff", das hier in den Main   einmündet, und der festen Burg, die auf der Anhöhe von den Römern erbaut wurde und ihren Legionen als Standquartier diente. Auch im Mittelalter, als die Stadt zum Kurfürstentum Mainz   gehörte, war ihre Feste ansehnlich und berühmt. An der Stelle, wo der Main   als natürliche Verkehrsstraße aus dem waldigen Bergland des Spessarts und OdenwaldeS   in die mittelrheinische Tief ebene hinaustritt, auf steilem Uferrande er baut, schützte und beherrschte sie zugleich weit hin dai Land. Mächtig erhebt sich am Ufer das groß« Schloß von Aschaffenburg  , die .Johannisburg  ". Es wurde in den Jahren 1605 bis 1614 ganz aus dem roten, leuch tenden Sandstein erstellt, den die großen Brüche im nahen Spessart   boten. Das Schloß ist ein stattlicher, großartiger Bau, der Herr- lich über dem breiten Strom aufragt. Er hat die Form eines riesigen Quadrats, von dem jede Seite 92 Meter mißt. An den vier Ecken hält«in starker Turm, der öS Meter hoch ist, trotzig Schildwache. Fenster reiht sich an Fenster. Bei schönem Wetter, wenn sich die leuchtenden Sonnenstrahlen in den Hunderten von glitzernden Glasscheiben brechen, muß der hochragende Prachtbau wie ein wundervoller Feenpalast anmuten. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert be herbergten seine prunkenden Säle oft die Kur- fürsten-Erzbischöf» von Mainz  , namentlich wenn diese ihre großen Jagden im wildreichen Spessartwalde abhielten. Auch dem Schweden   könig Gustav Adolf, den seine Kriegszüge nach Aschaffenburg   führten, gefiel daS prächtige Schloß sehr gut. Er meinte, es habe nur den einen Fehler, daß man es nicht auf zwei Walzen setzen und nach Schweden   rollen könne. Die Flößer und auch ich hatten Briefe an das Gasthaus.Zum wilden Mann" in Aschaffen burg adressieren lassen. ES wurde also aus gemacht, daß der Koch und ich hinüberrudern sollten, um die«Post" zu holen. Mancher er wartete mit Schmerzen einen Brief von zu Hause, der erzählen sollte, wie es der Frau und den Kindern ging. Denn die abgehärteten Flößer, die jahraus jahrein viel Zeit von der trauten Heimat weg auf dem Wasser sin�, werden oft genug vom Heimweh über fallen. Sie sehnen sich zurück in die heimischen Tannenwälder des Fichtelgebirges, zurück in ihre ärmliche Hütte und in den Kreis ihrer Lieben. Wie glänzen dann die Gesichter, wenn die großen starken Hände den Bogen ausein anderfalten, auf dem von der Heimat ge schrieben steht! So stiegen wir beide denn in den Nachen, und derDicke" legte sich fest an die Ruder, um, wie er sagte, noch vor dem Regen wieder aufs Floß zurückzukommen. Das Ufer war bald erreicht und der Kahn ange bunden. DerWilde Mann" lag nahe der Mainbrücke, und der behäbige Wirt händigte uns«in ganzes Paket Briefe ein. Nachdem wir noch einen frischen Morgenttunk einge nommen hatten, gingen wir weiter. Der Koch wollte noch einiges einkaufen, und ich schlen derte die alte, bergan führende, holprig ge pflasterte Gasse zur Stadtkirche hinauf, um mir diese in der Zwischenzeit anzusehen. Es ist ein uraltes, hübsches Kirchlein, das in seinen Anfängen bis zum Jahre SSO zurück reicht und dem heiligen Peter und Alexander geweiht ist. Weiter draußen am Mainufer beschaut« ich dasPompejanum", eine misch« Villa, die König Ludwig von Bayern  in den Jahren 1S42 bis 1849 erbauen ließ. Ihr Vorbild ist ein Bau, der in Pompeji ausgegraben wurde und das Landhaus des Castor und Pollur genannt wird. Orangen- und Zipressenbäume beschatten das zierliche Pompejanum, dessen Inneres ein getreues Bild davon gibt, wie die häuslichen Ein richtungen der reichen und gebildeten Römer waren. Der Himmel hatte sich unterdessen immer bedrohlicher verdüstert, und kaum hatten der Koch und ich den Nachen bestiegen, um zu unseren Kameraden zurückzurudern, so setzte auch schon ein häßlicher Regen ein, der uns bald bis auf die Haut durchnäßt«. Wir waren wirklich froh, als wir nach beinahe einstün- diger Kahnfahrt unser.Hüttenfloß" mit seinem schützenden Dache erreichten. UnserDicker", der sich pustend seiner durchnäßten Oberkleider entledigte, hatte bald im Herde ein gewaltiges Feuer angefacht, an dem wir uns trocknen und erwärmen konnten. Unsere Gefährten hatten es lange nicht so gut wie wir zwei, sie mußten bei Sturm und Regenwetter auf ihrem Posten aushalten. Kalt und rauh peitschte ihnen der