206Für unsere KinderGegen Mittag hatten wir die gefährlicheStelle erreicht. Ungeschwächt raste der Sturmund peitschte die wilden Wellen zu Gischt, derhochaufspritzend den heldenmütigen Flößernins Gesicht geworfen ward. Wie kleine Sturz bäche troff es von ihren Wettermänteln. UnserFloß war das erste, das die Feuerprobe amscharfen Eck bestehen mußte. Die nötigen Vor bereitungen zum Passieren waren getroffen.Die hinter uns schwimmenden Flöße hattendie Schnelligkeit ihrer Fahrt ganz bedeutendverlangsamt, um einander den nötigen Vor sprung zu geben und nicht von der Strömungaufeinander geworfen zu werden. Unser„Dicker", in dessen festen Armen eine erstaun liche Kraft lag, hatte die größte und stärksteStange ergriffen und war dem jungen Rudolfam Hinteren Ende des Floßes zur Hilfe geeilt.Trotz seines jugendlichen Alters stand derschweigend und ernst im grimmen Unwetterauf seinem Posten und führte mit aller Kraftden Kampf gegen das reißende Element. DerFloßführer drehte den„Steuerbaum", daß eseine Art hatte, und vorn stand der„langeSchorsch" und stemmte mit ganzer Wuchtseine Stange in den Grund. Der Sturm rastestärker, und die Wellen schäumten, schlugenhöher, immer höher. Ha— li— hal— lo! DieStrömung! Ein gewaltiger Ruck—, blitzschnell wurdeunser Floß von der Strömung dahingetragen.Von allen Seiten stürzten Wassermassen über dieStämme. Schleunigst flüchtete ich Unkundigeraus das Hüttendach. Ich kam mir erbärmlichhilflos und so überflüssig vor wie ein Faul pelz inmitten fleißiger Leute. Klatschend schlugder Regen von Windstößen geschleudert her nieder, und heulend fuhr der Sturm daher.Wilde Strudel brausten gegen das Floß,schwirrend und zischend flog der schneeweißeGischt an ihm empor. Rauschend, wogend undtosend, in wilder Wut, mit gurgelndem Lautheischte die beutegierige Flut das zerbrechlicheFahrzeug als Opfer, um es am Ufer in tau send Stücke zu zerschellen! Aber trotzig-kühn,die Zähne aufeinandergepreßt, im stummenKampfe gegen das Element mit den sehnigenArmen weit ausholend, um die langen Stangenin den Grund zu stoßen und wieder herauf zureißen, standen die wackeren Flößer wieMauern so fest. Ha— li— hal— lo!— Auf gepaßt! Waren das nicht auch Helden? GrößereHelden als viele Fürsten und Generäle, vondenen ich in der Schule gehört hatte? Setztensie nicht ihr Leben für ihre Pflicht ein, unddas ohne zu töten, ohne zu zerstören? AmEnde des scharfen Eckes kam die reißende Flutmit verdoppelter Macht gegen das Fahrzeugherangerast. Zischend und brausend, vomSturme getrieben, wirft sie sich gegen dasgefährdete Floß. In toller Wut jagt sie immerwieder heran. Die grauen Stadtmauern vonGroßsteinheim steigen im Regendunst finsterund drohend am User auf, gegen sie will dieFlut im rasenden Zorn unser Fahrzeug schleu dern.„Den toten Baum raus!" Gellend hat desFloßführers Ruf das Heulen des Sturmesübertönt. Ein Klirren— der Koch hat seineStange beiseite geworfen und in mächtigenSätzen springt der gemütliche„Dicke" nunvom unteren Floßende herbei. Flink löst erdas Tau und springt rückwärts, es in denHänden haltend. Er zieht mit aller Kraft daran,er spreizt die Beine, dunkelrot wird sein rundesGesicht vor Anstrengung. Er zerrt und zerrt,ein paar gewaltige Rucke und der„toteBaum" schwimmt quer neben dem Floße imWasser. Der„Dicke" zieht und hält und stehtfest, als wäre er eingewurzelt. Wütend fallendie Fluten über den quertreibenden Stammher. Unser wackerer Küchenmeister hält ihremwilden Reißen tapfer stand und meistert mitseiner Kraft ihre zerstörende Wut. Aber auchdie anderen auf dem Floße müssen sich mitganzer Wucht gegen die stürmenden Wogenstemmen. Gewaltig, daß es knirscht und knarrtzwischen den Stammreihen, drückt der Floß-sührer den Sleuerbaum nach dem Großstein-heimer Ufer. Vom stürmischen Regen gepeitschtsteht am oberen Ende des Fahrzeugs der„langeSchorsch", am unteren der junge Rudolf. Blitz schnell stoßen sie ihre langen Stangen in denGrund, holen sie wieder herauf und schnellenmit ihnen hoch vom Boden empor, wenn esgilt, sich der reißenden Flut entgegenzusteinmen.Dazu gehört groß», geübte Geschicklichkeit, undnur gute Flößer bringen das ferttg. Bei demschnellen Auf- und Abspringen an der senk recht eingestoßenen Stange bekommt man leichtdas Übergewicht und wird in die Flut hinaus-geschleudert. Nicht jeder, dem das geschieht,kehrt auf das Floß zurück!Wir hatten bald das Schwerste überstanden.Das scharfe Eck war glücklich passiert, und derSturm begann ein wenig nachzulassen. DerFloßführer und der Koch sprangen nun in denNachen und ruderten eiligst rückwärts, umden anderen Flößen beim Passieren des ge-