Für unsere Kinder
Nr. 9 ooooooo Beilage zur Gleichheit ooooooo 1910
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Inhaltsverzeichnis: Lied der Freundschaft. Von| zu einer Locke über die Ladentafel hin und tat, Gottfried Herder. ( Gedicht.) Der Grobe und als sei er zu etwas Besserem geboren als so der Feine. Von Robert Größsch. Im Winter. ein Pinsel mit breitem Borstenschopf. Von Johann Geier. Jm Eismeer. Von Herm. Lingg.( Gedicht.) Die schwarze Rosie. Eine Warum wahre Geschichte von Hebe.( Forts.) die Blaumeise einmal im Jahre den Verstand verliert. Von Ernest Seton Thompson . Tage. Von Emma Dött.( Gedicht.)
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Lied der Freundschaft.
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Kurze
Aus Stimmen der Völker'. Don Gottfried herder . Der Mensch hat nichts so eigen So wohl steht nichts ihm an, Als daß er Treu ' erzeigen Und Freundschaft halten kann, Wann er mit seinesgleichen Soll treten in ein Band, Verspricht sich, nicht zu weichen, Mit Herzen, Mund und Hand. Die Red' ist uns gegeben, Damit wir nicht allein für uns nur selber leben Und fern von Menschen sein; Wir sollen uns befragen Und sehn auf guten Rat, Das Leid einander klagen, Das uns betreten hat.
Was kann die Freude machen, Die Einsamkeit verhehlt? Das gibt ein doppelt Lachen, Was freunden wird erzählt. Der kann sein Leid vergessen, Der es von Herzen sagt; Der muß sich täglich fressen, Der in geheim fich nagt.
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Der Grobe und der Feine.
Sie lagen beide auf der Ladentafel des Bürstenbinders: der grobe und der feine Pinsel. An dem langen, derben Stiel des Groben saß ein stämmiger, borstiger Schopf, während der Feine aus einem dünnen, eleganten Stiel mit feinem, langem Haarbusch bestand.
Aber so dicht die beiden Pinsel auch bei sammen lagen, so spinnefeind waren sie ein ander. Der Feine tämmte seine seidigen Haare
Dieser Hochmut ärgerte den Groben, der sich seiner Stärke rühmte und die Zierlichkeit des anderen verhöhnte.
" Du zimperlicher Einfaltspinsel," stichelte er oft zu dem Feinen hinüber, du wirst noch einmal an Größenwahn sterben."
Der wiederum schüttelte verächtlich seine lange Locke und höhnte zurück:„ Den Bogel erkennt man an den Federn und den Pinsel an den Borsten. Ich bin ein Kunstpinsel und du bist ein ganz gewöhnlicher Faustpinsel."
Manchmal erreichte das Gezänke eine solche Siedehize, daß die beiden Pinsel einander am liebsten in die Haare gefahren wären. Und wer weiß, welch böses Ende die Reiberei noch genommen, wenn nicht eines Tages ein fremder Mann die beiden Pinsel von der Ladentafel hinweggekauft hätte.
Finster wurde es um die Pinsel her; fie staten in einer Jackentasche und machten die erste große Reise in die Welt. Und als sie wieder ans Tageslicht gezogen wurden, deuchte ihnen die Welt ganz anders als ehedem im Laden des Bürstenbinders. Sie erblickten Farbenkübel, Lackflaschen, Wasserbüchsen, Staffeleien mit bunten Bildern, farbenbefleckste Töpfe und merkten, daß sie in eine Malerwerkstatt geraten waren. Eine Männerstimme aber sagte:„ Die beiden Pinsel nehmen wir gleich morgen mit auf den Neubau. Was werden die zwei Burschen sich wundern, wenn fie' s erstemal in die Farbe steigen."
Sie wunderten sich allerdings, die beiden feindlichen Pinselbrüder, als sie am nächsten Tage aus den Waffertübeln gezogen wurden. Ein Leben begann für die beiden, von dem sie im Bürstenbinderladen nichts gewußt hatten: mächtige Fäuste zwangen den groben Pinsel, von früh bis abends über die Wände und Decken dahinzuftreichen, bis die Wände grün oder blau oder gelb oder weiß aussahen.
Und eine mächtige Faust zwang auch den Feinen, mit weicher Locke an manchen Stellen der weißen oder blauen oder grünen Wände sanft dahinzuspielen. An den Stellen jedoch, wo der Feine seine anmutige Arbeit verrichtete, entstanden schöne Bilder: Burgen.