Für unsere Kinder

71

Die Spechtmeisen und andere Verwandte der Blaumeisen nahmen sich die Warnung zu Herzen und suchten Weg und Stunde des Süd­flugs zu erfunden. Tomtit aber, wie man die Blaumeise nach dem Klange ihres Lied­chens nannte, der Führer seiner Brüder, lachte nur und schlug ein Dugend Räder um einen 3weig, der ihm als Trapez diente.

Nach dem Süden gehen?" sagte er. Ich nicht; mir gefällt's hier sehr gut; und was Frost und Schnee betrifft, die hab' ich nie gesehen und glaube nicht daran."

sie spottete. Als sie trotzdem einen zweiten denn arger Schnee und Frost kämen in ihr Versuch machte, sich den anderen zu nähern, Gebiet und in ihrem Gefolge Hunger und zauste ein großes Mädchen sie an ihrem krausen Elend. Haar und rief:" Gib uns von deiner Wolle, Schwarzes Schaf!" und eine andere warf ein Steinchen nach ihr. Von diesem bösen Bei­spiel angestachelt, stürzte sich nun die ganze Schar auf Rosie und riß und stieß und schlug fie, bis sie voll Entsetzen die Flucht ergriff. Berzauft und blutend kam sie heim und weinte, als solle ihr fleines Herze brechen. Entrüstet begab sich Tante Sally zur Schulvorsteherin, und diese bat für ihre ungezogenen Zöglinge um Verzeihung und versprach, die Schuldigen zu bestrafen. Aber Rosie wurde trotzdem weiter beschimpft, und als sie das schließlich nicht mehr aushalten konnte, beschloß Tante Sally , sie nicht mehr zur Schule zu schicken. Da die Tante zum Glück eine wohlhabende Frau und fest entschlossen war, Rosie eine gute Erziehung angedeihen zu lassen, ließ sie ihr Privatunterricht daheim erteilen, wo ihr niemand etwas zuleide tun konnte. Das flüge fleine Mädchen lernte schnell und machte große Fortschritte, aber das stillte nicht ihre Sehnsucht nach Spielgefährten und kindlichem Bergnügen. Wohl hatte sie ein prächtiges Heim, eine liebevolle Pflegemutter und viele schöne Spielsachen; aber sie war allein, und sie sehnte sich nach Kameraden und lustigen Spielen im Freien, wie ein gefangener Vogel sich nach der Freiheit sehnt( Schluß folgt.)

000

Warum die Blaumeise einmal im Jahre den Verstand verliert.*

Vor langer, langer Zeit, als es noch keinen Winter im Norden gab, lebten die Blaumeisen mit ihrer ganzen Sippe lustig in den Wäldern und dachten an nichts, als sich ihr tägliches Leben im dichten Gebüsch so angenehm wie möglich zu machen. Aber am Ende sandte ihnen allen Mutter Sorge die warnende Botschaft, sie müßten nach dem Süden ziehen,

* Aus Prärietiere und ihre Schicksale". Stuttgart , Verlag Kosmos. Die wundervoll leben digen Schilderungen dieses Buches wecken Verständ nis und Liebe für die Tierwelt und regen zur Beob­achtung der Natur an. Sie erweitern die Kenntnisse und erziehen, und das in der fesselndsten Weise, ohne trodene Schulmeisterei. Das sehr schön illustrierte und ausgestattete Buch sollte in teiner Jugend­bibliothek fehlen

Aber die Spechtmeisen und die Goldhähn­chen waren so geschäftig, daß schließlich auch die Blaumeisen von der Unruhe etwas an­gesteckt wurden, und oft unterbrachen sie ihr Spiel eine Weile, um ihre Freunde zu be fragen. Was sie aber erfuhren, gefiel ihnen nicht, denn es schien, sie sollten alle eine Reise machen, die sollte viele Tage dauern, und die kleinen Goldhähnchen seien gar schon auf dem Wege bis hin zum Meerbusen von Mexiko ge­tommen. Dazu sollten sie, um ihren Feinden, den Habichten, zu entgehen, zur Nachtzeit fliegen, und das Wetter war zu dieser Jahreszeit sicher stürmisch. So sagten die Blaumeisen, das sei. alles Unsinn, und flogen allesamt davon mit lustigem Singfang und einander munter durch die Wälder jagend.

Aber ihren Vettern war es ernst. Geschäftig rüsteten sie sich zu Reise und suchten fürs erste das Notwendigste zu erfahren, das sie vom Wege wissen mußten. Der große weite Strom, der südwärts läuft, der Mond da oben und das Trompetengeschrei der Gänse sollten sie führen, und sie sollten auf ihrem Fluge in der Dunkelheit fingen, um nicht voneinander­zukommen.

Die schwazhaften, übermütigen Blaumeisen wurden immer lärmender, je weiter die Vor­bereitungen für die Reise gediehen, und machten fich luftig über ihre Verwandten, die sich jetzt in großen Scharen in den Wäldern am Strome sammelten; schließlich, als die rechte Zeit des Mondwandels gekommen war, erhoben sich die Vettern in einem einzigen Geschwader und flogen davon in dem gleißenden Dunkel, Die Blaumeisen sagten, ihre Bettern seien sämtlich verrückt, machten ein paar schlechte Wiße über den Meerbusen von Merito, und dann ging's wieder in munterem Jagen hinter­einander her durch die Wälder, die übrigens