178
Für unsere Kinder
die Erde immer, dich nur von Zeit zu Zeit. Arm und öde ist es, wohin mein Schein nicht dringt, grau und finster, wo du dich lagerst. Nutzen spendest auch du, aber— keine Schön heil. Mein Glanz ist ein Quell des Entzückens für alles, was lebt und gedeiht. Er erfreut das winzige Mücklein, das lustig sich tummelnde Fischlein im Bache , vor allem aber das Herz der Menschen. Mein Anblick weckt in ihnen herrliche Gedanken und begeistert sie zu edlen Taten. Weil ich Schönheit spende, besingen sie mich in unsterblichen Liedern," schloß die Sonne mit ihrem stolzesten Lächeln.„Tie Menschen?' rollte es ihr höhnisch aus den Wolken ent gegen.„Da sieht man doch gleich, daß du fern von ihnen thronst. Wenn du auch eben sehr hochfahrend von mir gesprochen hast, so wäre ich doch die letzte, die Macht deiner Schönheit zu schmähen. Aber was zuviel ist, ist zuviel. In deiner eitlen Selbstverblendung siehst du nicht, daß die Menschen deine Schönheit am wenigsten brauchen. Weiß der Bauer von ihr, wenn du ihm beim Ackern, Pflügen, Säen oder Mähen die Stirne heiß glühst, daß die hellen Tropfen herabfallen? Er liebt dich, solange er dich braucht, für dein Geflimmer hat er ebensowenig Zeit wie die Schnitterin, der du Nacken und Arme braun küssest. Sie verwünscht nur deine Glut." „Aber die vielen anderen?" fragte die Sonne etwas kleinlaut geworden.„Die anderen?" grollte die Wolke ingrimmig.„Willst du mich vielleicht an jene Millionen Menschen, Männer und Frauen, erinnern, die tagaus tagein in geschlossenen Räumen, an Maschinen und Werk stühlen oder an Hochöfen schassen? Sie denken an allerhand Sorgen, an ihre Kinder, die sie ohne Obhut und Pflege daheim gelassen haben, an dich aber zuallerletzt." „So lieben sie mich also gar nicht?" fragte die Sonne schmerzlich. ,O doch," entgegnete die Wolke düster.„Wenn sie abends mit müden Gliedern heimkehren und nur noch den Saum deines roten Abendgewandes erblicken, dann freuen sich die Toren und bilden sich ein, du habest es— ha— ha— ha— ihnen zu Ehren an gelegt...."„Das tat ich auch," sagte die etwas bleich gewordene Sonne mit einem schwachen Lächeln. Tie Wolke schwieg. Sie schien in Nach sinnen verloren.„Es gibt wohl Menschen," nahm sie nach einer Weile das Gespräch wieder auf, „die, wie man sagt, sich nach dir halb zu Tode sehnen. Das sind jene, die noch vor Sonnen aufgang an die Arbeit gehen und tief unter der Erde beim Schein eines ärmlichen Lämp-
chens ihren Hammer in Erz oder Kohle schlagen. Das sind die Bergleute, zu denen auch nicht der schmälste Streifen deines Lichtes dringt." Das Gesicht der Sonne umwölkte sich immer mehr.„Aber es gibt doch Menschen," ver suchte sie einzuwenden...„Die nichts tun und darum Zeit genug hätten, sich für dich zu be geistern, das weiß ich wohl," wurde sie von der Wolke unterbrochen.„Das sind die Nichts tuer und Müßiggänger, die jenen Millionen die Zeit stehlen. Reich und faul tun manche von ihnen den ganzen Tag nichts als auf dem Rücken liegen und Rauchwolken zum Himmel blasen. Aus dir machen sie sich nichts. Eine kleine weiße Wolke hat mir erzählt, wie sie sich hinler herabgelassenen Vorhängen und geschlossenen Fensterläden vor dir flüchten, gerade, wenn du meinst, am schönsten zu glänzen." Nun machte die Sonne noch einen letzten Versuch, die Wolke zu überzeugen:„Die Dich ter," begann sie mit einem flüchtigen Lächeln. „Pah," meinte diese wegwerfend,„auf dies kleme Häuslein Schwärmer brauchst du dir wahrhastig nichts einzubilden." Nun sagte die Sonne nichts mehr. Schmerz und Zorn er griff sie bei dem Gedanken, daß die Wolke recht hatte. Dann aber war der Stolz auf ihre Schönheit eigentlich doch unberechtigt. Nur für die Menschen hatte sie ja die Erde so bunt gefärbt und mit leuchtendem Glänze Übergossen. Für diese Undankbaren hatte sie sich geschmückt und ihnen hatte sie zugelächelt. Keine Zeit hatten sie, sich an all dem zu freuen, so hatte die Wolke gesagt. Keine Zeit! Ja warum schafften die Menschen denn so viel? Warum quälten sie sich ab, wenn sie dabei arm und freudlos blieben, ohne Sonne und ohne Schönheit? Und weshalb gaben die Vielen es zu, daß ein kleiner Teil von ihnen nichts tat? Ach, die Menschen waren Toren, und es verlohnte sich nicht, daß sie selbst um ihretwillen weiter mit den andrängenden Wolken kämpfte. Mochte es donnern und blitzen, die Sonne leistete keinen Widerstand mehr. Sie wollte sich der Erde nicht mehr zeigen, sagte sie verärgert und voll Trotz. Aber Mutter Sannes Zorn dauerte nicht lange, er verwandelte sich in einen tiefen Schmerz, und als die ersten großen Tropfen auf die Erde fielen, meint« sie, das müßten Tränen sein. Voll Trauer verbarg sie sich hinter die Wolken. So verging ein Tag nach dem andern. Die Sonne ging auf, ging wieder unter, aber nur ein blasser, durch die Wolken