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Für unsere Kinder

Geschichte des Javanen Saidjah. Jer schon von der Reise zurückläme, und er

Von Multatuli .

( Fortsetzung.)

Er lief viele Tage. Er ging an Rangkas Betung und Warong- Gunung vorbei, und am folgenden Tage sah er Pandeglang, das daliegt wie in einem Garten. Wieder einen Tag später kam er in Serang an und stand erstaunt über die Bracht eines so großen Ortes mit vielen Häusern, von Stein gebaut und ge­deckt mit roten Ziegeln. Saidjah hatte so etwas nie gesehen. Er blieb einen Tag da, weil er müde war, aber des Nachts in der Kühle ging er weiter und kam nach Tangerang , noch ehe die Sonne so hoch stand, daß der Schatten auf seine Lippen fiel,* obwohl er den großen schüsselförmigen Strohhut trug, den sein Vater für ihn gelassen hatte.

Zu Tangerang badete er in dem Flusse nahe bei der überfahrt, und er ruhte aus in dem Hause eines Bekannten feines Vaters, der ihm zeigte, wie man Strohhüte flicht, genau wie die, die aus Manila lommen. Er blieb einen Tag da, um das zu lernen, denn er meinte, damit vielleicht etwas verdienen zu können, wenn er in Batavia kein Glück hätte. Am folgenden Tage gegen Abend, da es kühl wurde, dankte er seinem Gastgeber sehr und ging weiter. Sobald es ganz dunkel war, daß niemand es sah, holte er das Blatt hervor, in dem er das wohlriechende Jasminblümchen aufbewahrte, das ihm Adinda gegeben hatte unter dem Ketapanbaum; denn er war trau­rig geworden, daß er sie so lange Zeit nicht sehen sollte. Den ersten Tag, und auch den zweiten hatte er weniger stark gefühlt, wie allein er war. Seine Gedanken hingen sich alle an die große Idee, Geld zu verdienen, um zwei Büffel zu kaufen; sein Vater hatte immer bloß einen gehabt. Und seine Gedanken waren zu sehr auf das Wiedersehen mit Adinda gerichtet, um der Trauer über die Trennung Raum zu geben. Er hatte den Abschied in hochgespannter Hoffnung genommen und ihn in seinen Gedanken fest verknüpft mit dem Wiedersehen unter dem Ketapan. Eine so große Rolle spielte die Aussicht auf das Wiedersehen in seinem Herzen, daß er beim Verlassen Ba­durs, als er an diesem Baum vorbeiging, eine gewisse Freude fühlte, als wären sie schon vorbei, die sechsunddreißig Monate, die ihn von jenem Augenblick trennten. Es kam ihm so vor, als hätte er bloß umzukehren, als ob

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würde dann Adinda erblicken, wie sie seiner wartete unter diesem Baum.

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Je mehr er sich jedoch von Badur entfernte, desto mehr achtete er auf die Länge eines ein­zigen Tages, und desto mehr begann er die sechsunddreißig Monate, die vor ihm lagen, lang zu finden. Es war etwas in seiner Seele, was ihn weniger schnell ausschreiten ließ, er fühlte Trauer in seinen Knien, und war es auch keine Mutlosigkeit, die ihn befiel, so war es doch Wehmut, und die ist nicht weit ab von Mutlosigkeit. Er dachte schon daran um­zukehren, aber was sollte Adinda denken von so wenig Mut?

Also lief er weiter, ging es auch weniger schnell als am ersten Tage. Er hatte den Jasmin in der Hand, und er drückte ihn oft­mals an die Brust. Er war seit drei Tagen viel älter geworden, und er wunderte sich, wie er früher so ruhig gelebt hatte, da doch Adinda ihm so nahe war und er sie sehen konnte, so oft er wollte. Denn jetzt würde er nicht ruhig sein, wenn er erwarten könnte, daß sie bald vor ihm stehen sollte. Und dar­über wunderte er sich auch, daß er nach dem Abschied nicht noch einmal umgekehrt war, um sie noch einmal zu sehen. Und selbst das fiel ihm ein, wie sie sich kurz vorher wegen der Schnur gestritten hatten, die sie spann für den Drachen ihrer Brüderchen, und die gerissen war, weil in dem Gespinst ein Fehler war; dadurch war eine Wette* gegen die Kinder von Tjipurut verloren gegangen. Wie konnte ich bloß," dachte er, deswegen Adinda böse werden? Wenn nun wirklich ein Fehler in ihrem Gespinst war und wenn dadurch die Wette zwischen Badur und Tjipurut verloren ging, und nicht durch die Glasscherbe, die der kleine Djamin aus seinem Versteck hinter dem Gebüsch warf, hätte ich selbst dann so hart gegen sie sein sollen und sie mit ungehörigen Namen nennen dürfen? Was soll werden, wenn ich in Batavia sterbe, ohne sie um Ver­gebung gebeten zu haben für so große Grob heit? Wird es nicht sein, als ob ich ein schlechter Mensch wäre, der mit Schimpfworten um sich wirft gegen ein Mädchen? Und wenn man hört, daß ich in einem fremden Lande gestorben bin, wird nicht jeder zu Badur sagen: es ist ganz gut, daß Saidjah gestorben ist; denn er hat gegen Adinda einen großen Mund gehabt!"

* Die Wette besteht darin, daß die eine der beiden Parteien mit der Schnur ihres Drachen die des Algemein indischer Brauch der Zeitberechnung. anderen zerschneiden oder zerreißen soll.