Für unsere Kinder

Nr. 17ooooooo Beilage zur Gleichheit ooooooo 1915

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Inhaltsverzeichnis: Der Mond. Von Heinrich| viele Jahre sind, war sie doch, als sie da ihre v. Reder.( Gedicht.) Die Welle. Von Helene dämmernde Straße zog, eine junge, unerfahrene Scheu- Nieß. Der Schornsteinfegerjunge. Von Welle, die noch all ihr Sinnen und Trachten H. C. Andersen. Wie wohl die Welt entstanden darauf gerichtet hielt, sich in dieser Welt zu­Santt sein kann. Von Felix Linke.( Schluß.) rechtzufinden. Peter und das Bäuerlein. Ein Märchen von Chr. Fr. Daniel Schubart  .( Gedicht.)- Die Tiere und der Mensch. Ein arabisches Märchen.( Schluß.) Frühling auf Besuch. Von Hammersdorff.( Gedicht.)

Der Mond.

Der Mond steht in der blauen Luft mit vollen gelben Backen Und malt aus Langerweil mit Gold Der dunklen Wolken 3acken.

Er schaut herab zum Erdenkloß mit bleicher Schadenfreude Und kragt sich an dem Ringgebirg, Sieht drunten er die Leute.

Er lächelt, weil er ausgebrannt, muß kein Geschlecht mehr tragen, Das immer nur das eine sinnt: Einander totzuschlagen.

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Die Welle.

Zum vollen Bewußtsein ihres Ich erwachte fie eigentlich erst in dem Augenblick, als eine andere Welle von irgendwo herankam und mit ihr zusammenstieß. So eine Unverschämt­heit," sagte die fremde, rein, als ob diese fleine Person allein auf der Welt wäre! Mach' doch die Augen auf!" Und unwillig gluckste fie vorüber.

Tüchtig weh hatte es getan, so zur Seite geschleudert zu werden, und die kleine Per­son" zitterte vor Schreck und Angst. Wo sollte fie ihren Weg suchen? Oder wenigstens ein schützendes Versteck? Was sollte sie anfangen, ganz allein in diesem endlosen Raum, wo jetzt auf allen Seiten große Wasserberge aufstiegen, um langsam und schwer wieder zu sinken, daß das ganze Wellenvoll im Umkreis heftig er­schüttert das Haupt beugte. Es war sehr un­

Heinrich v. Reder. heimlich.

über der schlummernden See lag der licht­lose Morgenhimmel vor Sonnenaufgang. In eine dämmergraue Farbe floß das Oben mit dem Unten und ein dumpfes Murmeln drang aus der ruhenden Fläche empor, so, als riefen die Geister der Tiefe, sehnsüchtiger Erwartung voll, dem kommenden Tag ihre Grüße entgegen. Weit draußen aber in der großen Wasser­wüste wurde eine kleine Welle geboren.

Wie es gekommen war, daß sie sich aus der Masse löste und ihren einsamen Lebensweg antrat, ahnte sie nicht. Die ersten Sekunden ihres erwachenden Daseins waren ihrer Er­innerung entrückt; die setzte erst irgendwo ein, wo die kleine Welle bereits tüchtig im Rollen war so schien es ihr wenigstens-, und sie war geneigt zu glauben, daß es nie anders gewesen sein konnte. Freilich, das waren in diesem Stadium noch recht dunkle Gefühls­zustände, nicht etwa Gedanken oder philo­sophische Überlegungen; denn wiewohl für Wel­len eine Sekunde dasselbe bedeutet, was für uns

Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit und Ver­lorenheit fam über sie. Warum war sie wohl in die Welt gesetzt worden und wozu? Vor ihr und hinter ihr lag das große Dunkel, und sie fürchtete sich so sehr. Alles schien fast feind­lich und drohend, nirgends war ein Ruhepunkt, und sie wußte nicht einmal, wohin sie ging.

Ein alter Schiffsbalken schwamm vorüber. Er sah so gelehrt aus, daß die kleine Welle sich ein Herz faßte. Darf ich dich ein wenig tragen?" fragte sie demütig. Und gnädig er­laubte er es. Da fragte sie denn mancherlei: woher er komme, wohin er gehen solle, und der Balten war ein weiser, vielerfahrener Mann und wußte alles. Er erzählte ihr von dem fernen Ziel aller lebenden Wellen, dem Ufer, von wo die großen, pustenden Schiffe kamen und die kleinen Boote; viele märchen­hafte Dinge gebe es dort, blanke, luftig klap­pernde Kiesel und trockenen Sand, der tue seine Arme auf und wolle die Wasserwellen gar nicht mehr von sich lassen. Und allerlei merkwürdiges Getier könne man dort zuweilen sehen; das Merkwürdigste von allem aber, ganz unbefchreiblich sonderbar von Aussehen und Gehaben, das seien die Menschen, die allein