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Für unsere Kinder
Lang haben wir uns in den wogenden Kornfeldern aufgehalten. Wie viele Geheimnisse des Pflanzenlebens haben wir beobachtet und belauscht! Ein Stück aus dem großen Kampf ums Dasein ist vor uns enthüllt, und wir tönnten noch stundenlang weiterlernen. Wie nährt sich die Pflanze, welche Aufgabe hat das Licht bei ihrem Wachstum zu erfüllen? Aus welchen Stoffen baut sie ihren grünen Zellenstaat, denn auch die Pflanze besteht aus Millionen winziger Zellen wie der menschliche und tierische Leib. Die Vermehrung dieser Zellen nennen wir Wachstum. Durch jahrtausendelange Anpassung an die gegebenen Lebensverhältnisse haben sich alle die verschiedenen, so überaus tunstvollen und zweckgemäßen Einrichtungen und Formen der einzelnen Pflanzen entwickelt. Im Kampfe mit anderen Pflanzen, mit Tieren, mit Wind und Wetter haben sie sich behauptet und verändert. Wohin wir blicken in der Natur: das große Gesetz fortwährender Entwicklung durch Anpassung und Kampf.
Auch sie ist gablig verzweigt, behaart und hat| Gift sie vor der Ausrottung durch die gefräßiauffallend schmale Blätter. Ihrem Bau nach gen Nagetiere. Heute bildet es eine Gefahr gehört die Blume zu den Nelken. Daß die für harmlose Brotesser. Kornrade aus einem trockenen Steppenklima stammt, beweist sie auch durch die Gewohnheit, weder bei Nacht noch bei Negen sich durch Schließen des großen Kelches vor eindringender Feuchtigkeit zu schützen. Nach jedem stärkeren Regenguß finden wir daher die Blume voll Wasser und die Pollen der eben erblühten Staubgefäße durchnäßt und verdorben. Doch weiß sich die Blume zu helfen. Sie behält einen Teil der Staubgefäße in Reserve und läßt sie sich erst entwickeln, wenn die anderen abgeblüht find. Die Kornrade ist trotzdem kein Fremdling wie ihre farbenprächtigen Ackergenossen. Wir finden sie nirgends wild. Wir haben es hier wahrscheinlich mit einer Pflanze zu tun, die vor ungezählten Jahrtausenden in Europa heimisch war, als der Boden, auf dem wir stehen, noch eine grenzenlose, mit hohem Gras bestandene Steppe war. Hier konnten nur Pflanzen gedeihen, die auf den Kampf mit starkem Wind, auf plögliche Wetterumschläge, brennend heiße Tage und bitterkalte Nächte eingerichtet waren. Allmählich änderte sich das Klima Europas , die Steppe verschwand, Nun gehen wir heim und tragen mit uns mächtige Wälder und fetter Wiesenboden die wichtige Erkenntnis, daß es dieselben traten an ihre Stelle. Aber an den warmen Steilabhängen, die die Ströme Mitteldeutschlands begleiten, fand die Kornrade einen Unterschlupf. Hier dauerte sie aus, bis acker bauende Menschen das Land besiedelten und in trockenen Getreidefeld sich ein neuer steppenähnlicher Wohnort der heimatlosen Blume bot. Freilich, nicht freiwillig hat der Landwirt der Kornrade Aufnahme im Kornfeld gewährt. Der Wind war es, der ihre Samen hierher trug. Alle Getreideblumen benüßen ja den Wind, um die in kunstvollen Kapseln eingeschlossenen Samen zu verstreuen. Auch die Hasen, Mäuse und sonstige Bewohner des Feldes müssen der Kornrade diesen Dienst leisten. Die kleinen Samen bleiben an ihren behaarten Behenballen hängen und werden so verschleppt. Besonders zustatten kommt den Getreideblumen, daß ihre Samenreise zur felben Zeit eintritt wie beim Korn, in dessen Mitte sie wachsen. Mit den Getreidetörnern erntet der Landwirt auch die Samen der Kornrade, und trotz aller Vorsicht kommt es vor, daß sie nachher mit der Aussaat wieder ins Feld gelangen. Die Samen der Kornrade enthalten aber ein starkes Gift. Als die Kornrade roch Bewohnerin der Steppe war, schütte das
Naturgesetze sind, die im Leben des Roggenhalmes draußen auf dem Acker und im Leben des denkenden Menschen wirksam sind. Alles Lebendige ist eine große Familie, nichts, auch der Mensch nicht, ist von Anfang an fertig und vollentwickelt auf die Welt gekommen. Alle die bestehenden Arten und Gattungen, Unterschiede und Gestalten sind nicht das Werk eines tunstvollen Schöpfers, sondern das Ergebnis millionenjähriger Entfaltung, sie sind nicht geschaffen, sie sind geworden.
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X.
( Schluß.)
So versloß eine Woche, und Mieze kam schmußig, ohne blaues Band, mit wunden Füßen und müde und matt an der Harlembrücke unweit der Stadt New York an. Ob: wohl die Brücke ganz von köstlichen Gerüchen umhüllt war, gefiel sie doch unserer Mieze nicht. Die halbe Nacht wanderte sie am User auf und nieder, fand aber keine andere Möglichteit, weiter nach Süden zu kommen, als vermittels dieser oder einer anderen Brücke, und sonst nichts Interessantes außer der Tat