19-t Für unsere Kinder förmige Pflanze zum Vorschein mit drei großen, breit spießförmigen Blättern, die zwischen sich eine grüne, dreiteilige Kapsel tragen, den einstigen Fruchtknoten. Schon sicher haben viele von euch sich gewundert, was das für seltsame, dicke, düstere Pflanzen sind mitten im heiteren Schmuck der Frühlingswiesen. Das sind also die Blätter und die Samen kapsel der Herbzeitlose. Im Sommer springt die Kapsel dreiklappig auf und zeigt die großen braunen Samen. Sie bleiben an den Füßen vorbeikommender Weidetiere hasten und wer den verschleppt. Die grünen Blätter sind inzwischen auch nicht müßig gewesen. Sie haben in der schönen Sommersonne kräftig Kohlenstoff aus der Luft herausgeholt und in Stärke umgewandelt. Dieser Nährstoff wird in den Stengelgrund unter die Erde geleitet. Infolgedessen wird das unterste Stengelstück immer dicker und rundet sich zur neuen Knolle, aus der dann im Herbst die neuen Blumen hervorgehen. Spätestens im Juli sterben die Blätter ab. Um diese Zeit ist die alte Knollenzwiebel aus dem Vorjahr ganz verschwunden, sie hat alle ihre aufgespeicherten Nährstoffe zur Bildung der Blätter und der Frucht hergegeben. Die neue Knolle aber hält Sommerruhe, bis sie im Herbst den neuen Sproß treibt, aus dem dann wieder der blasse, schlanke Blütenkelch hervorgeht. Die Herbstzeitlose schützt sich ungemein sorg fältig vor eindringender Feuchtigkeit, damit die Staubbeutel nicht verderben und die Be fruchtung vereitelt wird. Schon etwa gegen ö Uhr abends schließt die Blume ihren Kelch, gegen 9 Uhr morgens erst hat sie ihn geöffnet. Bei bedecktem Himmel und bei Regenwetter bleibt sie geschlossen. Aber warum blüht sie dann überhaupt erst im Herbst, wenn die Luft schon viel feuchter ist, die Niederschläge sich mehren und die Tage kürzer sind? Warum blüht dann die Pflanze nicht im warme» trockenen Sommer? Wir finden doch sonst immer in der Natur, daß die Pflanzen sich den Lebensbedingungen so gut wie möglich anpassen. Überhaupt hätte sie es dann viel bequemer. Frucht und Blätter würden noch im selben Jahre entwickelt, und die Pflanze müßte nicht den aus der Lust durch die Blätter geholten Nährstoff erst umständlich in der Knolle aufspeichern, um ihn später wieder an die neue Pflanze abzugeben. Die Natur ist eben kein chemisches Labora torium   oder mechanische Werkstatt, in denen der Mensch mit seinem ordnenden und be rechnenden Verstand zweckmäßige Änderungen und Verwandlungen in ziemlich kurzer Zeit zustande bringen kann. Die Veränderung der Arten in der Natur durch Anpassung an die Lebensverhältnisse geht äußerst langsam vor sich, so langsam, daß uns Menschen die Pflanzen- und Tierarten zunächst vollkommen gleich bleibend erscheinen. Wir haben in der Natur eine Unmenge Beispiele, daß Pflanzen, die in einem trockenen Klima, in Steppenländern usw. entstanden sind, wie zum Beispiel unsere Ge treideblumen, noch Jahrtausende später die Eigenschafte» bewahren, die sie in ihrer Heimat entwickelten. Dasselbe gilt auch für die Herbst zeitlose. Auch sie ist von Haus aus keine Mittel europäerin, so vertraut ihr blaffes Lila auf den herbstlichen Wiesen uns auch sein mag. Noch heute erstreckt sich ihr Verbreitungsgebiet weit nach Südosten bis zu den Steppen Süd rußlands, und alle ihre Verwandten habe» ihre Heimat in Nordafrika   und Vorderasien. In diesen Ländern aber ist der Sommer dürr, ihm folgt die winterliche Regenzeit. Die Zeit des Pflanzenwuchses ist dort der Frühling und der Herbst. Die regste Zeit des Pflanzen lebens ist in diesen Ländern der Frühling, hier ist es denn auch, daß die Herbstzeitlose ihre Hauptarbeit leistet: sie versorgt sich mit Nah rungsstoff und bildet ihre Frucht. Dann folgt die Sommerruhe. Im Herbst, ehe die Regen zeit beginnt, erledigte sie ihr Blütengeschäft. Um beide Arbeiten gleich hintereinander zu erledigen, dazu wären sowohl der Frühling wie der Herbst in jenen warmen Ländern zu kurz. Die dort entwickelte Lebensweise hat die Blume auch in unserem ganz anders gearteten Klima beibehalten. Aller Wahrscheinlichkeit ist die Herbstzeitlose erst nach der Eiszeit zu uns gelangt. Wäh rend der Eiszeit nämlich war ganz Mittel europa   von mächtigen Eismassen überzogen. Als diese allmählich verschwanden, bildeten sich zunächst weite Steppen mit kümmerlichem Pflanzenwuchs. Große Herden von Antilopen und Züge von Nagetieren wanderten aus Asien  ein. An ihre Klauen hefteten sich die Samen der Herbstzeitlose und wurden so im Laufe der Zeit bis in unsere Heimat verschleppt. Auch die Einrichtung ihrer Fruchtkapseln be zeichnet die Herbstzeitlose als ursprüngliche Steppenpflanze: Die Kapseln haben sich beim Austrocknen blasig aufgetrieben, werden vom Wind, der über die dürren Flächen fährt, losgerissen und weit umhergerollt, wobei sie