fängnissen schmachtete, seine Freiheit zurückerhielt. Um zu verstehen, welch' hohe Summe von Furchtlosigkeit und Willenskraft ihr Handeln erforderte, muß man wenigstens wissen, daß die Bastille in den Augen der Franzosen jener Zeit mit Recht für die Verkörperung der schrankenlosen, grausamen Willkürherrschaft des selbstherrlichen Königthums galt. In der Bastille konnte auf Grund eines einfachen, vom Könige unterzeichneten Haftbefehls ohne Anklage, ohne Untersuchung, ohne Prozeß und auch ohne Hoffnung auf Befreiung Jedweder eingeschlossen werden. Unter dem in Folge seiner Kriege, Unter dem in Folge seiner Kriege, seiner Brachtliebe, seiner Geliebten geldbedürftigen Ludwig XIV , unter der Regierung Ludwigs XV., wo die Maitressenwirthschaft die ungeheuerlichsten Summen verschlang, gehörte der Handel mit derartigen Haftbefehlen zu den einträglichsten Geldquellen der Herrscher und ihrer Diener. Wer sich an einem Feind rächen, wer sich eine unbequeme Persönlichkeit vom Halse schaffen wollte, der kaufte einen Haftbefehl, in den der Name des Betreffenden eingefügt ward, der dann ohne Weiteres in die Bastille kam und in einer der scheußlichsten Zellen sein Leben beschließen mußte, falls nicht ein glücklicher Zufall ihn rettete. Haßte das französische Volk in der Bastille die schändlichste Tyrannei, so liebten die französischen Könige in derselben das Sinnbild ihrer unumschränkten Macht, so berehrten in ihr die Hofschranzen, das Beamtenthum, kurz Alle, die zum Königthum hielten, von ihm und mit ihm auf Kosten des Bolts zehrten, eine der wichtigsten Staatseinrichtungen, ein Werkzeug zum Herrschen und Unterdrücken. Nachweisen, daß in der Bastille Menschen lebendig begraben waren, die feines oder höchstens eines nichtssagenden Vergehens beschuldigt wurden, fordern, daß die entsetzlichen unterirdischen Kerker der Festung eines ihrer Opfer herausgeben sollten, das hieß die ganze Ungerechtigkeit und Willfür des damals bestehenden Regierungssystems an den Branger stellen, das hieß verlangen, daß seine Träger selbst ein verdammendes Urtheil über dasselbe sprächen. Wer kühn genug war, den Schritt zu wagen, der mußte auf unübersteigliche Hindernisse, auf Haß, Verfolgungen der schlimmsten Art seitens der Machthaber und ihrer hohen und niedrigen Lakaien, auf Fruchtlosigkeit des Unternehmens gefaßt sein. Madame Legros konnte sich das alles nicht verhehlen, sie besaß dennoch den Muth, für Latube zu handeln.
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Latube war vor langen Jahren warum, ist nicht ganz aufgeklärt auf Befehl von Madame de Pompadour , der berüchtigten Maitresse Ludwigs XV., in die Bastille geworfen und dann nach anderen Gefängnissen geschleppt worden. Zweimal war es ihm gelungen, zu entfliehen das letzte Mal war er bis in das Vorzimmer des Königs gekommen, um vor diesem seine Sache zu vertheidigen aber beide Male ward er auf Befehl der Pompadour wieder eingefangen und eingeferfert. Bergebens hatte er sich an fast alle damals bekannten Minister, Staatsbeamte, Gelehrte und hohe Herren gewendet. Sein Unglück entlockte Diesen Klagen, ja Einzelnen von ihnen heiße Thränen, doch keiner von Allen wagte, sich des Unglücklichen anzunehmen. Wer die Bastille und die mit ihr in Zusammenhang stel enden Verhältnisse angriff, der griff das Königthum selbst an. So blieb Latube in seiner unterirdischen Sterkerzelle, wo er, auf verfaultem Stroh liegend, vom Ungeziefer buchstäblich verzehrt ward und oft vor Hunger laut schrie und tobte. Troz aller Mißerfolge und der Schrecknisse seiner Lage hoffte er noch. In einer Denkschrift wendete er sich hilfesuchend an einen bekannten Menschenfreund. Der Beschließer des Gefängnisses verlor in betrunkenem Zustande das Schriftstück, das zu befördern er versprochen. Es war zu Latude's Glück. Es war zu Latude's Glück. Madame Legros fand die Denkschrift, las sie und, von Entseßen über die in ihr geschilderten Einzelheiten überwältigt, verlor sie teine Zeit mit Jammern und Thränen, sondern sie ging sofort thatkräftig ans Werk, dem Unglücklichen zur Freiheit zu verhelfen.
Madame Legros war eine Frau aus dem Volke, die einen fleinen Weißwaarenfram hielt, sie selbst nähte in ihrem Laden die Waaren, die sie verkaufte. Drei Jahre lang verfolgte sie mit unerhörter Ausdauer und Aufopferung ihr Vorhaben. Alles Unglück, das sie während dieser Zeit persönlich betraf, alle Mühen, alle Enttäuschungen vermochten nicht, sie einen Augenblick aufzuhalten oder schwankend zu machen. Sie verliert Vater und Mutter, ihr Geschäft, das sie vernachlässigt, geht zu Grunde, sie kommt
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hart an den Rand der Armuth, ihre Verwandten tadeln sie scharf, man beschimpft und beleidigt sie in gemeinster Weise wegen ihres Interesses für den Gefangenen, sie wird höhnisch gefragt, ob sie die Geliebte des Mannes sei, dessen sie sich so warm annehme, Latube überhäufte sie in gelegentlichen Briefen mit Vorwürfen und Klagen über ihre Lauheit im Handeln. Kränklich, schlecht gekleidet geht sie von Thür zu Thür, um Latude einflußreiche Beschützer zu suchen. Die Polizei wird auf ihre Person und ihr Thun aufmerksam und fürchtet ihre Offenbarungen; Madame Legros muß jede Minute gewärtig sein, ihrerseits verhaftet und für immer eingekerfert zu werden; ihre Verwandten und Freunde flehen sie inter Thränen an, von ihrem Vorhaben abzustehen, den Zorn der Mächtigen nicht herauszufordern. Mächtigen nicht herauszufordern. Der Chef der Pariser Polizei läßt sie vor sich kommen und droht ihr mit Einferkerung, sie bleibt unbeugsam und anstatt zu zittern, macht sie den gefürchteten Mann erbeben.
Jemand giebt ihr eine Empfehlung an Madame Duchesne, eine Kammerfrau der Prinzessinnen des königlichen Hauses. Trov einer Schwangerschaft von sieben Monaten wandert Madame Legros mitten im Winter zu Fuß von Paris nach Versailles , um den Beistand der Genannten zu gewinnen. In Versailles angekommen, findet sie die erhoffte Beschüßerin nicht vor, sie eilt ihr nach, verrenkt sich den Fuß und seßt trot unerträglicher Schmerzen ihren Weg weiter fort. Madame Duchesne wird von der Schilderung von Latude's Leiden tief ergriffen und verspricht zu handeln, ab.r was vermag sie, eine Kammerfrau, gegen etliche fast allmächtige Minister? Zwar wird durch ihre Vermittlung die Königin MarieAntoinette einen Augenblick lang für Latude interessirt, sobald dieser aber versichert wird, daß dieser ein elender, gefährlicher Mensch sei, erfaltet ihr Mitgefühl. Madame Legros gewinnt endlich den Beistand anderer hochstehender Persönlichkeiten, welche sich bei Ludwig XVI. für Latude verwenden. Der König war jedoch naiv genug, sich über diesen Fall aus den Aften der Polizei zu unterrichten, das heißt den Rath der Leute einzuholen, die alles Interesse daran hatten, ihr Opfer bis zu seinem Tode in den Händen zu behalten. In der Folge antwortete der König, daß Latude ein staatsgefährlicher Mensch sei, der nun und nimmer in Freiheit gesetzt werden könne.
Madame Legros ließ sich auch durch das Nun und Nimmer des Königs nicht entmuthigen. Sie wandte sich nun hilfesuchend an die Opposition des Hofes, an die Familie der Condé, den Herzog von Orleans und seine Gemahlin, sie suchte den Beistand der großen Philosophen der Zeit. Sie gab durch ihre unablässigen Bemühungen, durch ihre nicht verstummenden Offenbarungen über die Greuel der Bastille den Anstoß, daß sich der allgemeine Haß des Bürgerthums und Volks gegen diese Zwingburg der königlichen Selbstherrschaft immer vernehmlicher, immer rückhaltsloser äußerte. Die Akademie ertheilte ihr 1783 in Anerkennung ihres täglich und stündlich bewiesenen Opfermuthes den Tugendpreis. Allerdings setzten die Behörden durch, daß die Verleihung der Auszeichnung nicht begründet werden durfte, aber diese blieb nichtsdestoweniger eine Ohrfeige in das Gesicht des unumschränkten Königthums.
Ein Jahr später vermochte Ludwig XVI . nicht mehr, dem Druck der allgemeinen Stimmung zu widerstehen und unterzeichnete einen Befehl, Kraft dessen Latube in Freiheit gesezt ward. Einige Wochen später verordnete er, daß Niemand mehr auf Ansuchen der Familie, ohne wohl motivirten Grund und auf unbestimmt lange Zeit eingekerfert werden dürfe, diese Verordnung war ein Eingeständniß der bis dahin bestandenen Greuel. Madame Legros hatte Ludwig XVI. , sie hatte der selbstherrlichen Monarchie einen glänzenden Sieg abgerungen.
Die furchtlose, energische Frau erlebte den Fall der Bastille am 14. Juli 1789 nicht mehr. Sie starb kurze Zeit vorher in Zurückgezogenheit, wie sie gelebt und in die sie zurückgetreten, sobald ihr Werk erfüllt war. War es ihr auch nicht vergönnt, thatsächlich mit Hand an die Niederreißung der monarchischen 3wingburg zu legen, so hat sie doch moralisch deren Fundament in
wirksamſter Weise untergraben helfen. Sie hat wie faum Jemand Geist und Gemüth des Bolts mit Haß und Abschen gegen das Gefängniß der Willkürherrschaft erfüllt, so daß Michelet von