Nr. 4 der ,, Gleichheit" gelangt am 22. Februar 1892 zur Ausgabe.
besingen pflegt. Und doch ist die oft hausbacken erscheinende Alltagsarbeit jener namenlosen Menge, ihre Mitarbeiterschaft, die nicht von dem blendenden Schimmer des Außergewöhnlichen verklärt wird, unentbehrliche Vorbedingung für die Existenz und Entwicklung jeder sozialen Bewegung.
Kleine Nachrichten.
Im Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte. In Leipzig steht in nächster Zeit ein die Sittlichkeitszustände in den modernen Großstädten grell beleuchtender Prozeß bevor. Auf der Anklagebank werden eine Mutter, welche ihre eigene Tochter prostituirte, und 28 Frauen wegen Kuppelei erscheinen. Die kapitalistische Gesellschaft erkennt nur Dingen und Eigenschaften einen Werth zu, die auf den Markt gebracht und als Waare in Münze umgesetzt werden können. Sie schafft für Hunderttausende von Frauen und Mädchen Verhält nisse, welche es ihnen unmöglich machen, auf Grund des lohnenden Verkaufs ihrer Arbeitskraft zu leben. Und wenn diese, von der Noth getrieben, mit der einzig ihnen gebliebenen„ Waare," ihrem Körper, schachern, so windet sie sich in Krämpfen tugendhaft- heuchlerischer Entrüstung und ruft nach Polizei und Staatsanwalt. Halbheit und Inkonsequenz, dein Name ist kapitalistische Gesellschaft.
Die hessische Regierung hat auf das Gesuch des deutschen Frauenvereins, die Errichtung von Mädchengymnasien und die Zulassung des weiblichen Geschlechts zu den Universitätsstudien betreffend, geantwortet, daß diese Frage doch wohl von einem Staate von den Verhältnissen des Großherzogthums für sich allein nicht werde gelöst werden können; jedenfalls sei die Regierung zur Zeit nicht in der Lage, sich für Genehmigung des gestellten Ersuchens auszusprechen.
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Kapitalisten anerkennen die Nothwendigkeit des Achtstundentage für Pferde und nicht etwa für abgerackerte, schlecht genährte Proletarier und Proletarierinnen. Nach dem Organ der Mühlenbesitzer, „ Der Deutsche Müller", kann ein Pferd binnen 24 Stunden nicht mehr als acht thatsächliche Arbeit leisten, die übrige Zeit muß für Fütterung und Ruhe bleiben. Wo sind die glücklichen Arbeiterinnen, Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Dienstmädchen 2c., deren Leistungsvermögen gegenüber seitens der Arbeitgeber und Herrschaften die gleiche einſichtsvolle Rücksichtnahme gezeigt wird wie auf dasjenige der Pferde? Aber Pferde kosten nicht nur ihren Unterhalt, sie kosten bei ihrer Erwerbung auch Geld; für menschliche Arbeitskräfte dagegen brauchen die Besitzenden keinen Kaufpreis, sondern nur, so lange dieselben ausgenutzt werden, einen Lohn zu zahlen, der zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben beträgt. Daher die zarte Rücksicht auf das Leistungsvermögen der Pferde und die erbarmungsloseste, brutalste, bis zur wahnwißigen Vergeudung menschlicher Leben gesteigerte Ausnutzung der Kräfte von Proletariern und Proletarierinnen.
In Zürich ward Frau Dr. jur. E. Kempin das Recht auf Ausübung der Anwaltspraris nicht gewährt, da dasselbe nur Vollbürgern, d. h. den stimm- und wahlberechtigten Männern zu Theil werden fönne. Die von Frau Kempin infolgedessen verlangte Abänderung der betreffenden Gesetzesbestimmungen ward vom Kantonsrath mit 83 gegen 65 Stimmen abgelehnt. Der Beschluß steht im Widerspruch zu dem Frau Kempin zu Theil gewordenen Recht, an der Universität Zürich juristische Vorlesungen zu halten. Der alte Zopf und Logik vertragen sich nicht miteinander.
Daß die weißen Sflaven, alias Dienstboten, nachdem sie sich Tags über abgerackert, ihre Nächte oft in elenden Löchern verbringen müssen, welche manche Herrschaft ihrem Hunde nicht anweisen würde, gesteht in verschämter Weise das„ Blatt für das Armenwesen" ein, indem es u. A. schreibt:„ Daß man den Schlafräumen der Dienstboten in Stadt und Land viel zu wenig Beachtung schenkt, ist leider nur zu wahr; man meint eben häufig, wo und wie die Dienstboten wohnen, das sei ganz gleichgiltig, sie brächten ja nur die Nacht in ihren Kammern zu, deshalb komme es nicht darauf an, ob die Kammer hell und freundlich, luftig und wohnlich sei oder nicht. Das ist aber ganz unrichtig; einmal sind die Dienstboten auch am Tage, namentlich Sonntags, je und je auf ihre Rammern angewiesen, und für's Andere hat auch der Dienstbote ein Recht auf einen Raum im Hause, den er sein eigen nennen, den er sich nach seinem Geschmack behaglich einrichten darf, und endlich fordert es die Rücksicht auf die Gesundheit des Dienstboten, daß ihm das nöthige Maß von Luft und Licht verstattet werde. Aber in ländlichen wie in städtischen Verhältnissen wird hierin viel gesündigt; was sind es oft für elende Winkel, in denen solch' eine Rammer angebracht ist! Eine sanitätspolizeiliche Untersuchung der Schlafstätten der Dienstboten würde schreiende Mißstände zu Tage fördern."
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In Paris ward in letzter Zeit Frau Karoline Bertillon- Schulze, Doktorin der Medizin, zum Arzt für die Internen des Mädchengymnasiums Racine ernannt. Frau Bertillon ist die erste Frau, welche in Frankreich mit einem derartigen Amt betraut ward.
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Welch hohen idealen, geistigen Interessen der Sinn unserer ,, fein gebildeten" Damen der Bourgeoisie zugewendet ist, darüber belehren uns folgende Mittheilungen über die neuesten ausgeflügelten Moden für Hunde in Paris . Die Hunde natürlich nur solche, die den ,, besseren Ständen" und der„ feinen Welt" angehören- tragen: Des Morgens Flanellhemd, weiß oder blau; kein Halsband. Für den Spaziergang einen Ueberzieher aus englischer Cheviotte, gestreift oder mit weißen Pünktchen; darüber einen langen Mantel, der die Brust bequem bedeckt; der Koppelriemen aus Altfilber. Die Wagentoilette für das Bois de Boulogne ist aus Tuch oder Plüsch, blau, mausgrau oder gemsfarben; der Sammtfragen mit Schaumünzen verziert, oder auch ein Pelzkragen. Der Salonanzug besteht aus einem Deckchen von Kaschmir oder Sammt, mit Perlen bestickt und unter dem Krägchen eine Krone oder ein Wappen. Faullenzende Damen zermartern sich das Hirn, um den geliebten, verhätschelten Schooßhund vier Mal täglich in andere kostspielige Toilette hüllen zu können; proletarische Mütter fragen mit banger Sorge, woher Lumpen nehmen, um die Blöße ihrer Kleinen zu decken. Hunde gehen in Sammt und Seide einher, werden sorgfältig vor Wind, Regen und Kälte be hütet; Millionen Angehöriger des werkthätigen Volks besitzen nicht die nöthige Kleidung, um sich gegen die Unbilden der Witterung zu schützen. Wir aber leben in der besten und vernünftigsten aller Welten, und wer daran zu zweifeln wagt zahlt einen Thaler.
Im Liptauer Komitat in Ungarn verdienen nach dem„ Pester Lloyd," einer gewiß jedem Kapitalisten als unverdächtig erscheinenden Quelle, geschickte Spinnerinnen pro Tag 3-5 und höchstens 8 Kreuzer ( 16 Pfennig). Hängt Euch vor Verdruß, Ihr Herren Kapitalisten jeder Art, Ihr Fabrikanten, Handelsherren, Bazar- und Hotelbesitzer, die Ihr es in der Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft noch nicht bis zu dieser idealen Höhe der Profitpresserei gebracht habt und Guren Arbeiterinnen und Bediensteten wohl gar noch Prasserlöhne 17, 18 und 20 Pfennig pro Tag bezahlt.
von
Der erste weibliche. Steuermann, welcher von der nord amerikanischen Regierung die Erlaubniß zum Befahren eines Flusses erhielt, ist die Gattin des Kapitäns Richard Hulett. Nachdem die selbe mit ihrem Gemahl jahrelang als zweiter Steuermann auf dem Mississippi hinauf und hinabgesegelt, legte sie ihr Steuermanns examen ab, das sie in glänzender Weise bestand. An drei Kapitäns frauen sind bereits früher Steuermanns- Lizenzen ausgestellt worden, doch hatten diese Piloten nicht das Recht zur Befahrung eines Stromes.
Ein weibliches Geschworenengericht. Im Staate Wyo ming( Vereinigte Staaten ) besitzen die Frauen das Stimmrecht und können in Folge dessen auch als Geschworene gewählt werden. In dem Städtchen Douglas waren vor Kurzem zwei Dienstmädchen mit ihrer Herrin, einer Hotelbesitzerin, in Streit gerathen, worauf letztere auf deren weitere Dienstleistung verzichtete, sich aber weigerte, den Lohn auszubezahlen. Die Sache kam vor den Richter, wo die Hotelbesitzerin die Einsetzung einer Jury beantragte, welchem Verlangen der Richter nachkam und eine nur aus Männern bestehende Jury zusammenberief. Hiergegen protestirten die Dienstmädchen und ver langten die Einsetzung einer weiblichen Jury, da der Streitfall sich nur unter Frauen zugetragen habe. Der Richter willfahrte dem letzteren Antrage, eine weibliche Jury wurde zusammenberufen und diese verurtheilte die Hotelbesitzerin, den Dienstmädchen den ihnen zukommenden Lohn auszubezahlen. Der Spruch der Jury wurde von den zahlreich anwesenden Frauen mit großem Beifall aufgenommen.
Allgemeiner Frauen- u. Mädchenverein für Mainz u. Umgebung. Mittwoch, den 17. Februar 1892, Abends 8 Uhr
Mitglieder- Versammlung
im Lofale zur ,, Drothspik," kleine Köthergasse mit darauffolgender Arbeitsstunde. Aufnahme neuer Mitglieder vor der Versammlung. Der Vorstand.
Freie Vereinigung der Frauen und Mädchen. Nächste Versammlung am 15. Februar, von da ab regelmäßig alle 14 Tage. Der Vorstand.