Nr. 5 der ,, Gleichheit" gelangt am 7. März 1892 zur Ausgabe.
liche Gewandtheit sie schon damals besaß, aus dem Stegreif zu dichten, davon legen die Verse Zeugniß ab, mit welchen sie einem Lehrer antwortete, als dieser sie eine armselige Bänkelsängerin genannt hatte.
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Es brennt ein Feuer in der heißen Brust,
An ihm entflammt mein Denken und Empfinden; Nicht hehrer Künste mir bewußt,
Weiß ich den Klang der Worte doch zu finden. Dem Schmerze und der Freude dient mein Lied, Des eignen Elends Klagen mußt' es mildern, Dem Glücklichen, von Maienluft umblüht, Dient willig es, ihm seine Lust zu schildern. Mein einzig Gut in meiner Noth Entsetzen, Ich biet' es Euch zum heiteren Ergötzen." ( Schluß folgt.)
Kleine Nachrichten.
Thatsachen Anklagen. Nach dem„ Sozialpol. Zentralblatt" ist in dem industriellen Aachen jüngst durch Erhebungen eines unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters begründeten Hauptausschusses für soziale Wohlfahrtseinrichtungen festgestellt worden, daß in den Elementarschulen ein großer Theil der Kinder, ungefähr 1500, eines Frühstücks dringend bedürftig sind, weil sie es zu Hause nicht erhalten. Es sollen nun an die Kinder täglich je 1 Liter Vollmilch und ein Brötchen vertheilt werden. Damit ist offiziell und von gewiß unverdächtiger Seite her eingestanden, daß in Aachen bisher und seit wie lange schon? täglich 1500 Proletarierkinder mit knurrendem Magen zur Schule gingen, dem Unterricht mit gespannter Aufmerksamkeit folgen sollten, während der Hunger in ihren Eingeweiden wühlte, und hungrig, wie sie gekommen, wieder nach Hause wanderten. Ob und womit sie den übrigen Theil des Tages ihren Hunger stillten, darüber breiten die Erhebungen den Mantel der christlichen Liebe. In einer großen Anzahl anderer Städte, so Wien, Berlin 2c. 2c., ist bereits die nämliche Thatsache nachgewiesen worden, haben seitens der städtischen Behörden oder von Wohlthätigkeitsvereinen ähnliche Maßregeln wie in Aachen ergriffen werden müssen. Tausende und Abertausende proletarischer Eltern sind also nicht im Stande, ihren Kindern schulpflichtigen Alters auch nur ein Stück trockenen Brotes zum Frühstück zu verabreichen. Warum? Etwa, weil die Herren Schlotjunker die Mehrwerthschraube fester anziehen, die Löhne ihrer Arbeiter und Arbeiterinnen tiefer herabdrücken? Pfui, welche„ gewerbsmäßig verheßende" Auffassung der Dinge. Wenn Kinder des werkthätigen Volks hungrig zur Schule gehen, so einzig und allein, weil ihre Mütter, die„ nachlässigen, liederlichen, wirthschaftsunkundigen" Arbeiterfrauen, kein Frühstück zu bereiten wissen oder kein Frühstück bereiten wollen. Man führe nur in die Fortbildungsschulen für Mädchen den obligatorischen Unterricht in der Haushaltungskunde ein und das Wunder der Witwe zu Zarepta wird sich erneuern. In Küche und Kasten der Proletarier werden die Vorräthe kein Ende nehmen, und die Kapitalisten können das Ideal aller Jdeale verwirklichen anstatt Hungerlöhne gar keine Löhne überhaupt zu zahlen.
Die Handelsschule für Mädchen, welche vor anderthalb Jahren in Frankfurt a. M. gegründet wurde, hat in dem letzten Jahre eine solche Zunahme an Schülerinnen erfahren, daß die bisherigen Unterrichtsräume nicht mehr ausreichten und für die Zwecke der Schule ein Haus angekauft werden mußte. Der Mittelstand geht mit Riesenschritten seiner völligen Proletarisirung entgegen; immer kleiner wird die Zahl seiner weiblichen Angehörigen, welche auf Grund ihrer Thätigkeit im Hause leben können; immer mehr wächst das Heer derjenigen von ihnen, die zu einem Broterwerb gezwungen werden. Das Proletariat der Kopfarbeit schwillt durch die Einbeziehung der Frauen in seine Reihen mächtig an, seine Lebensbedingungen verschlimmern sich stetig, es muß zum Bewußtsein seiner Klassenlage erwachen und sich, ohne Unterschied des Geschlechts, an das Proletariat der Handarbeit zum gemeinsamen Befreiungskampfe anschließen.
Tiefer hängen. Die Berliner Studentenzeitung ,, Vivat Academia" brachte kürzlich eine Briefkastennotiz folgenden Inhalts:„ Junge Damen werden zu deutschen Hochschulen nicht zugelassen. Es ist dies. auch ganz unnöthig, denn junge und schöne Damen kommen hier immer fort, wenn sie nur die ars amandi fennen." Ars amandi heißt wörtlich: die Kunst zu lieben, und ist der Titel eines Ovidischen Gedichts, das unter der Kunst zu lieben die Kunst der Buhldirne versteht. Die nämlichen Elemente, welche mit dem Schlagworte von dem„ ewig
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Weiblichen" den Frauen den Zutritt zu den medizinischen Vorlesungen, den Universitätsstudien überhaupt verwehren möchten, verweisen die selben hier in zynischster Weise auf die ihnen jedenfalls als„ weiblicher" erscheinende Prostitution. Höchst bezeichnend, aber nicht überraschend für den, der die Moral unseres modernen Universitätspöbels kennt, der noch obendrein die Anmaßung hat, sich als die„ geistige und moralische Blüthe" der Nation aufzuspielen.
Auf der Station Bietigheim ( Württemberg ) und auf zwei Stationen der Enzthalbahn sind Frauen als Steinklopferinnen beschäftigt. Auf dem Gebiete der Industrie, der Handarbeit, bedarf es feiner frauenrechtlerischen Agitation zu Gunsten einer„ erweiterten Erwerbsthätigkeit" des weiblichen Geschlechts. Zwei Pioniere er schließen den Proletarierinnen ein Gebiet nach dem anderen: die Maschine, welche die gelernte, muskelstarke Arbeitskraft entbehrlich macht, und die Profitwuth der Kapitalisten, welche nach der denkbar billigsten Arbeitskraft förmlich lechzt. Vor ihr fallen alle die altersgrauen und darum Vielen heiligen„ vorurtheilsvollen" Begriffe von ,, weiblichen“ und„ unweiblichen" Thätigkeiten wie Kartenhäuser zu sammen, vor ihr halten nicht einmal Rücksichten auf Gesundheit und Kraft der weiblichen Arbeitskräfte Stand. Ihr gegenüber ist die Parole erweiterte Erwerbsthätigkeit der Frauen" überflüssig, dagegen die andere eine zwingende Nothwendigkeit:„ Schutz der weiblichen Arbeitskraft gegen die nimmersatte kapitalistische Ausbeutung."
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Weltausstellung in Chicago . Bekanntlich wird daselbst auch die Frauenarbeit vertreten sein. Der amerikanischen Zeitschrift „ Haus und Herd" entnehmen wir folgende Notiz: Der Frauenarbeit wird auf der Chicagoer Weltausstellung ein eigener Palast angewiesen sein, woselbst alle Zweige derselben dem Besucher vorgeführt werden sollen. Noch auf keiner der bisherigen Ausstellungen waren den Frauen solche Rechte eingeräumt, wie dies auf der 1893er Ausstellung der Fall sein wird, und ihre Ausstellung wird ohne Zweifel eine der interessantesten werden.... Der Palast für Frauenarbeit zeugt von dem Unternehmungsgeist der Frau. Fräulein Sophie G. Hayden ist die tüchtige Architektin des Baues. Nur Frauen durften Entwürfe zu diesem Palast einsenden, und einige derselben sind außer dem erst genannten, angenommenen, ebenfalls ausgezeichnet. Frl. Hayden ist ein technisch gebildeter Architekt und beaufsichtigte selbst die Errichtung des Gebäudes. Dasselbe befindet sich im nordwestlichen Theile des Ausstellungsparkes inmitten herrlicher Blumenbeete. Auf der Vorderseite breitet sich ein schöner Teich aus die Erweiterung der Lagune, die sich durch den ganzen Park hinzieht. Das Gebäude ist 400 Fuß lang, 200 Fuß breit und im italienischen Renaissancestil gehalten.
Die Baumwollspinnerei ist in Japan in bedeutendstem Fortschritt begriffen. In dem Zeitraum vom Juli 1888 bis Juli 1891 ist die Zahl der großen Spinnereien von 19 auf 30, die der Spindeln von 83360 auf 300499, die Quantität der monatlich verarbeiteten Wolle von 1152250 Pfd. auf 6156300 Pfd., des monatlich erzeugten Garns von 1008825 Pfd. auf 5221908 Pfd. gestiegen. Die sechs neuen, noch in der Anlage begriffenen Fabriken mit in Rücksicht gezogen, betrug die Zahl der Arbeiter am 30. Juni ds. Js. 17,248, der Spindeln 377970. Natürlich ist in Folge dessen weit weniger Baumwollengarn als früher in Japan eingeführt worden. Die Arbeiter und Arbeiterinnen der europäischen Baumwollenspinnereien werden den Umschwung in Gestalt von geringerer Nachfrage nach Arbeitskräften, niedrigerem Lohn, härteren Arbeitsbedingungen bemerken. Es giebt kaum einen Fortschritt, der sich in der kapitalistischen Gesellschaft für die Arbeiterklasse nicht in sein Gegentheil verkehrte, eine Verschlimmerung deren Lage mit sich brächte.
Das mittlere Lebensalter der Grubenarbeiter beträgt 31 Jahre, das der Setzer 39 Jahre. Berufsmusiker werden 40, Fabrifanten und Bankiers dagegen 43 Jahre alt. Während Geistliche und Richter ein Durchschnittsalter von 54 bezw. 65 Jahren erreichen, fällt die durchschnittliche Lebensgrenze für Glasbläser, Zimmermaler, Weber 2c. unter das 30. Jahr. Am niedrigsten stellt sich das durchschnittliche Lebensalter jedoch für die Näherinnen, sie werden im Mittel nur 23 Jahre alt. Die eine Zahl redet ganze Bände über die mörderischen Arbeits- und Lebensbedingungen der Näherinnen. Hungerlöhne und übermäßig ausgedehnte, aushungernde Arbeit thun ihr Werk so sicher und rasch, wie irgend welcher Schinderhannes, wie irgend eine Guillotine.
Bremen . Verein zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen. Mitglieder- Versammlung am Donnerstag, den 25. Februar 1892 im oberen Saale der Vereinshalle. Vor und nach der Versammlung Aufnahme neuer Mitglieder. Um zahlreiches Erscheinen ersucht Der Vorstand.
Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner) in Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Diez in Stuttgart .
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