Nr. 8.

Die Gleichheit

2. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Herausgegeben von Emma Ihrer   in Velten  ( Mark).

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage emmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr 2564 a) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.

Stuttgart  

Mittwoch, den 20. April 1892.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner  ), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, IV. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

3ur gefälligen Beachtung.

Alle neueintretenden Abonnenten der ,, Gleich heit" erhalten sämmtliche bis jetzt erschienenen Nummern nachgeliefert.

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Die regelmäßigen Sigungen der Frauenvereine werden gratis inserirt. Die Vereinsvorstände werden um diesbezügliche Mit­theilung ersucht. Alle Reklamationen und berechtigte Beschwerden bitten wir an die Verlagsbuchhandlung von J. H. W. Diez in Stuttgart   zu richten, worauf sofort Abhilfe geschaffen wird. Redaktion und Berlag der ,, Gleichheit."

Stuttgart  .

Bur Maifeier.

Die elementare Gewalt der wirthschaftlichen Entwicklung, welche durch die Geschichte der Völker braust, überlebte gesellschaftliche Einrichtungen und Formen wie dürre Zweige knickt, wie welkes Laub fortwirbelt, altersgraue und zum Vorurtheile gewordene An­schauungen wie Märzschnee vor der Sonne schmelzen macht, läßt auch die Keime neuen gesellschaftlichen Lebens emporsprossen, sich entwickeln, zu neuen Gesellschaftsgebilden auswachsen und aus­reifen. Sie zeitigt nicht nur die materiellen Vorbedingungen neuen gesellschaftlichen Werdens und Seins, sie schafft und erzieht auch die gesellschaftliche Macht, welche eine durchgreifende soziale Um­gestaltung vollziehen muß, sie macht breite Schichten der Bevölker­ung, welche bisher sozusagen nur Kulturdünger waren, zu Kultur­trägern.

Mit der Arbeiterwelt und wie sie unter dem Druck unerträg= lich, unhaltbar gewordener wirthschaftlicher Verhältnisse erwacht auch die Frauenwelt allmälig zum Bewußtsein, daß eine neue Zeit für sie herandämmert, eine Zeit, in welcher auch sie zu unmittel­barer Mitarbeit an den Kulturaufgaben der Gesellschaft berufen ist, eine Zeit, in welcher ihr mit neuen Rechten neue, verantwortungs­schwere Pflichten zufallen. Wie Märchenglaube aus entschwundenen Tagen, der vor der Wirklichkeit nicht Stand hält, klingt nach und nach die Anschauung aus, daß sich das Nathen und Thaten des weiblichen Geschlechts auf das Haus, auf die Familie beschränken müsse, daß die Frau nur mittelbar, nur durch das, was sie dem Manne, was sie dem Kinde sei, an der Gestaltung des geschicht­lichen Lebens mitzuarbeiten habe. Vorbei, vorbei mit jener Ueber­zeugung, die unter anderen wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen geschichtlich gerechtfertigt war, die aber Angesichts unserer modernen Zustände in eitel Vorurtheil umschlägt. allen Schichten der Frauenwelt regt sich das Streben, mit Ge­danken und Thaten herauszutreten aus den engen häuslichen Schranken, theilzunehmen an dem Geistesleben der Völker, mit zuarbeiten an der Lösung der gewaltigen Fragen, welche unsere Zeit bewegen. In den bürgerlichen Kreisen zeichnet sich eine frauenrechtlerische Bewegung, die, wenn sie auch in ihrem Endziel nun und nimmer die gesellschaftliche Befreiung des gesammten weiblichen Geschlechts, vielmehr nur die Emanzipation der weib­lichen Angehörigen der besißenden und mithin wirthschaftlich freien Klassen bringt, doch ein bedeutungsreiches Anzeichen ist für das neue Leben, das in der Frauenwelt pulsirt.

In

Gar mächtig regt es sich in den breiten Schichten der Prole­tarierinnen, welche durch ihre Arbeits- und Lebensbedingungen, mit einem Wort durch ihre Klassenlage mitten hinein geschleudert worden sind in den brodelnden Herenkessel der modernen wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Die von der proletarischen Klassenlage bestimmten Lebensbedingungen dieser Streise bringen es mit sich, daß sich das Erwachen der proletarischen Frauenwelt durch ihre Antheilnahme an dem Kampf der Arbeiterklasse äußern muß, daß in ihr an Stelle des Kriegs gegen die Vorrechte des männlichen Geschlechts das Ringen gegen die kapitalistische Ueber­macht mit ihren Nücken und Tücken, der Kampf gegen die kapita­listische Gesellschaftsordnung überhaupt treten muß. Durch die unüberbrückbare Kluft der Klassengegensäße von ihren bürgerlichen Geschlechtsgenossinnen losgelöst, durch ihre Lebensinteressen dagegen mit ihren männlichen Klassengenossen zu einer einheitlichen, festen Masse zusammengeschweißt, müssen die Proletarierinnen in anderen Bahnen ihrer Befreiung zuwandeln wie die weiblichen Angehörigen der Bourgeoisie. Ueberall wo die moderne Industrie festen Fuß faßt, wo die kapitalistische Ordnung ihre Kreise zieht, kommt als Ausdruck des neuen Kulturlebens, das sich der Masse der Frauen erschließt, eine Arbeiterinnenbewegung in Fluß, die, wo dies noch nicht von Anfang an der Fall ist, in ihrer Entwicklung immer unauflöslicher mit der sozialistischen   Arbeiterbewegung verschmilzt, in ihr aufgeht.

In England macht die Organisation der Arbeiterinnen gute Fortschritte und schüttelt mehr und mehr den Einfluß der bürger­lichen Elemente ab, welche bisher zumal in den nur Frauen gruppirenden Gewerkschaften eine bestimmende Rolle spielten. In Frankreich   wenden die Arbeiterinnen den gewerkschaftlichen und politischen Kämpfen ihrer Klasse regste Theilnahme zu und beweisen bei den verschiedensten Gelegenheiten, daß sich ihr Klasseninstinkt allmälig zum klaren Klassenbewußtsein entwickelt. Die Frauen von Lille   und Fourmies haben bekanntlich einen geradezu aus= schlaggebenden Einfluß darauf ausgeübt, daß der Sozialist Lafargue in Lille   zum Abgeordneten gewählt ward. Fast zusehends wächst in Deutschland   die Zahl der Proletarierinnen, welche dem öffent­lichen Leben, den sozialen Kämpfen klassen- und zielbewußtes In­teresse entgegenbringen, welche sich gewerkschaftlich organisirt, poli­tisch aufgeklärt in den Dienst der großen Sache ihrer Klasse, der Sache der Menschheit stellen. Wohl ist es in Deutschland   den Arbeiterinnen unmöglich, unmittelbar in die politischen Kämpfe ein­zugreifen, wohl wird ihnen durch die Vereinsgesetze der einzelnen deutschen Staaten sogar die Antheilnahme an der gewerkschaftlichen Bewegung bedeutend erschwert. Ihre Klassenlage treibt sie trop alledem mit unwiderstehlicher Gewalt, sich zu organisiren, politische Aufklärung zu suchen; ihre Lebensverhältnisse verwandeln sie trot alledem aus Hindernissen des proletarischen Befreiungskampfes in treibende Kräfte desselben. Wie viel verräth uns nicht in der Beziehung die ganz besondere Schärfe, welche die Behörden des Klassenstaates dem Vereins- und Versammlungsleben der Arbeiter­innen gegenüber an den Tag legen! In Desterreich ist eine Ar­beiterinnenbewegung in Fluß gekommen, die von Anfang an in strenger Fühlung mit der allgemeinen sozialistischen   Arbeiterbewegung vorgeht und sich durch eine Zielklarheit auszeichnet, welche jeden