sie gingen zu Thätlichkeiten über, die außerhalb des Rahmens geschlechtlicher Vertraulichkeiten liegen und jede Spur von Selbst­achtung bei den Arbeiterinnen vernichten müssen." Troßdem erklärte der Staatsanwalt, auf Mittheilung dieser Erhebungen hin keinen Grund zum Einschreiten zu haben." Und dies obgleich es unter diesen Umständen nicht zu verwundern ist, daß die geführten poli­zeilichen Untersuchungen ein Verhalten auch einzelner Arbeiterinnen untereinander ergaben, wie es sich nur auf der untersten Stufe moralischer Verkommenheit zeigte."

Der Glaube an die unbefleckte Unparteilichkeit und Unbeugsam keit des deutschen   Richterstandes gehört zu den unanfechtbaren Dogmen eines guten deutschen   Reichsangehörigen, und so weisen wir energisch zurück, uns bezüglich der Haltung des badischen Staatsanwalts eine Kritik unterstellen zu lassen, deren fürwißige Aeußerung eine unliebsame Bekanntschaft mit den Strafbestimmt ungen gewisser Gesezesparagraphen vermittelt. Wir dürfen gewiß überzeugt sein, daß der betreffende Beamte seine Pflicht gethan, daß er, wie so oft, wenn es die Rettung der Moral und Ord­nung galt, den Thatbestand" siebenfach gesiebt hat, um ein grobes Körnchen in der Geseze Maschen   zurückzuhalten, die gerade in Fällen wie der vorliegende so unglückselig weit gewebt sind, daß ganze Felsblöcke mit Eleganz und Anmuth hindurchgleiten können. Sicher­lich hat sich der Brave blutenden Herzens die Gelegenheit ent­schlüpfen sehen, für die Moral eine Lanze zu brechen, und ihm, wie anderen, glücklicheren Kollegen, widmen wir gern das Wort, mit welchem Antonius dem Brutus und seinen Freunden ein öffentliches Tugendzeugniß ausstellt: Er ist ein ehrenwerther Mann, sind sie Alle, Alle ehrenwerthe Männer!"

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Im Uebrigen muß ihn, wie uns, der Gedanke trösten, daß behörolicherseits nach dem Wahlspruch Wenig mit Liebe" geschehen ist, was unter den Umständen geschehen konnte. Es blieb nur übrig, auf Grund des§ 120 Absatz 1 der Gewerbeordnung vor­zugehen und getrennte Arbeitsräume für die Arbeiterinnen unter 18 Jahren zu verlangen." Die Arbeiterinnen unter 18 Jahren sind nun während der Arbeitsstunden dagegen sichergestellt, von ihren ungebildeten" Kameraden ähnlich wie von den Aufseherinnen und dem Geschäftsinhaber in roher, das weibliche Schamgefühl verletzender, jede Spur der Selbstachtung tödtender Weise behandelt zu werden. Sie vor der nämlichen Behandlungsweise seitens der " gebildeteren" Aufseherinnen und des hochgebildeten" Prinzipals zu schützen, sind die Geseze ohnmächtig. Ohnmächtig sind diese auch zu verhindern, daß eine schändliche, schmachvolle Behandlung Arbeiterinnen zu Theil wird, welche ohne Rücksicht auf ihre dann vogelfreie Moral so unvorsichtig gewesen, über 18 Jahre alt zu werden. Die freie Arbeiterin" geht eben einen freien Arbeits­vertrag" ein, und wenn sie auf Grund desselben seitens des Ar­beitsherrn" Rohheiten und Vertraulichkeiten, welche verlegender sind als nackte Brutalität, mit in den Kauf nehmen muß, so handelt sie natürlich aus eigener freier Entschließung" und hat nicht auf den Schutz des Gesetzes zu rechnen. Die heutige Gesellschafts­ordnung hat ihr ja die Wahl gelassen zwischen ihrer Freiheit," sich dem Kapitalisten als Lastthier und damit vielfach auch als Lustthier zu verkaufen, und ihrem unbestrittenen Recht," eventuell wegen Arbeitslosigkeit Hungers zu sterben.

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Thatsachen wie die, welche Wörrishofer in seinem Berichte bringt, könnten bändeweis aus allen Gegenden und Ländern zu­sammengetragen werden, in denen mit der kapitalistischen   Wirth­schaftsweise die schrankenlose Ausbeutung und Unterdrückung der wirthschaftlich Abhängigen, der Proletarier, von den wirthschaftlich Starken und Herrschenden anzutreffen ist. Und nebenbei sei es bemerkt wir würden noch öfter von ihnen hören, wenn neben den Fabrifinspektoren auch Inspektorinnen angestellt wären. Das Schamgefühl hält gar manche Arbeiterin zurück, einem Manne die Schmach zu enthüllen, die ihr seitens eines Fabrikpaschas, dessen Stellvertreter oder auch der Kameraden wie der Herr, so der Knecht" angethan worden ist.

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Die bestehenden Geseze geben, wie Figura zeigt, den Behörden kein Mittel in die Hand, den diesbezüglichen schreienden Mißständen ivirksam entgegenzutreten. Die Thatsache ist an und für sich belastend genug für die heutige Gesellschaftsordnung mit sammt ihren Geſetzen

und ihrer Moral. Ihre volle anklagende Wucht erhält sie jedoch erst, wenn man den von Wörrishofer berichteten Fall den Eingangs angeführten Beispielen von dem thatenfreudigen, moralretterischen Vorgehen der Behörden gegenüberstellt. Hier wird auf Grund der Gesetze im Namen der Moral jede Aeußerung freier Selbstbethätigung des Einzelnen, jedes Streben nach Freiheit unterdrückt und geahndet. Dort läßt man auf Grund der Gesetze im Namen der Freiheit die Moral, die Menschenwürde in schnödester Weise mit Füßen treten. Wir leben eben in einem Klassenstaat, der auf der Herr schaft des wirthschaftlich Starken und der Versklavung des wirth­schaftlich Schwachen beruht. In einem Klassenstaat muß aber Dame Justitia   zweierlei Maß und Gewicht in ihrem Sack haben. Die bürgerliche Gesetzgebung, der wir unterstehen, ist eine Klassen­gefezgebung, welche die vorgeblichen Rechte der Besitzenden und Herrschenden nach unten hin findig und schneidig, mit Salomo's Wiz und Göz von Berlichingen's eiserner Faust vertheidigt, welche dagegen die einfachsten und natürlichsten Rechte der beherrschten Habenichtse nach oben hin erbarmungslos preisgiebt. Der Um­stand erklärt besser, als Graf Derindur" je vermöchte, den Zwie­spalt der Natur" bezüglich so vieler behördlicher Entscheidungen. Die Arbeiterinnen werden gut thun, sich die betreffende Lehre, die ihnen nicht nur durch den von Wörrishofer berichteten Fall, die ihnen durch Hunderte von Erfahrungen ihres täglichen Lebens gepredigt wird, hinter die Ohren zu schreiben. Die flare Er­fenntniß ihrer Klassenlage mit all ihren Folgen ist der erste Schritt zur Beseitigung der Klassengegensäße, die sich ihnen auf Schritt und Tritt fühlbar machen.

Arbeiterinnen- Bewegung.

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In Flensburg   fand am 11. April eine sehr gut besuchte öffentliche Versammlung für Männer und Frauen statt, in welcher Reichstagsabgeordneter Molkenbuhr in flarer, packender Weise unter reichem Beifall über Die Thätigkeit des Reichstags" referirte und nachwies, daß nur allein die sozialdemokratische Fraktion die wahren Interessen des Proletariats daselbst vertreten habe.

Eine Volksversammlung, welche zahlreichen Zuspruch auch seitens der Frauen gefunden, fand am 15. April in Bremen   statt. Frau Bosse sprach in einem längeren, beifällig aufgenommenen Vortrag führte aus, wie sich mit der fortschreitenden Industrie die wirthschaft­über Die Stellung der Frau zur Sozialdemokratie." Die Rednerin liche Rolle der Frau verändert habe. Der Vortheil des vollzogenen Umschwungs komme jedoch heutzutage lediglich dem Kapitaliſten zu gute, der die weibliche Arbeitskraft als minder bezahlte und den Männern Schmutzkonkurrenz machende, also verbilligende Arbeitskraft gern anwende. Eine gründliche Besserung der mit den geschaffenen diesbezüglichen Verhältnissen zusammenhängenden Mißstände könne nur mit Beseitigung der kapitalistischen   Wirthschaftsweise erfolgen, wie die Sozialdemokratie dieselbe anstrebe. An verschiedenen Punkten die Sozialdemokratie für die volle Befreiung des weiblichen Geschlechts des sozialdemokratischen Programms erläuterte Frau Bosse, daß allein eintrete, und sie schloß ihren Vortrag mit der an die Frauen gerichteten Aufforderung, an dem Befreiungskampfe des Proletariats regen An­theil zu nehmen. Die Versammlung erklärte sich mit den Ausführ ungen der Referentin einverstanden und versprach, dahin wirken zu wollen, daß die Befreiung des Proletariats ohne Unterschied des Geschlechts zur Thatsache werde.

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Herr Stahl( Berlin  ) sprach in Verden   am 18. April in einer öffentlichen Versammlung der Tabakarbeiter und Arbeiterinnen über Die Einführung einer Kontrol- Schuhmarke für die Tabak­industrie." Die Versammlung nahm ohne Debatte die von der Berliner  Kommission ausgearbeitete Resolution an, welche sich zu Gunsten der Rontrolmarke ausspricht.

In Kellinghusen   sprach Reichstagsabgeordneter Molken­buhr am 18. April in einer von Frauen und Männern gut besuchten Volksversammlung über Die Thätigkeit des Reichstags." Der Referent beleuchtete u. A. besonders die finanzielle Lage Deutschlands  , die Ent­stehung und Folgen der Schutzzölle und indirekten Steuern und das Wesen des Militarismus. Er erbrachte den Beweis, daß mit Aus­nahme der Sozialdemokratie sämmtliche Parteien die Klinke der Gesetz­

gebung nur zu Gunsten der Herrschenden und Besitzenden handhaben.

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Eine gut besuchte Versammlung für Frauen und Männer, welche am 18. April in Alveslve stattfand, hörte einen Vortrag von Frau Steinbach( Hamburg  ) über Das sozialdemokratische Programm