geboten. Wo dies unmöglich sein sollte, ist auf eine selbständige Branchen organisation hinzuarbeiten.
In jedem Falle endlich sind die Forderungen der Frauen und Mädchen der arbeitenden Klassen keine anderen als diejenigen Programmforderungen, welche die deutsche und die internationale Sozialdemokratie auf das Banner geschrieben, welches das Proletariat der ganzen Welt zum Siege führen wird.
In Elberfeld fand am 11. Mai eine vom Bildungsverein für Frauen und Mädchen einberufene öffentliche Versammlung statt, in welcher Frau Rohrlack( Berlin ) über„ Voltsaberglauben" referirte. Nachdem die Rednerin das durch den religiösen Aberglauben besonders in den Frauenkreisen angerichtete Unheil gegeißelt, schloß sie mit dem Wunsche, daß alle wahrheits- und freiheitsliebenden Menschen für die Fortschritte der Kultur arbeiten mögen, welche den finsteren Aberglauben bannt. Die auch seitens der Frauen sehr gut besuchte Versammlung zollte ihren Ausführungen warmen Beifall.
-In München fand am 13. Mai im vollbesetzten KreuzbräuSaale die erste öffentliche Frauenversammlung statt. Frau Henrich Wilhelmi sollte über„ Die Frauenfrage" sprechen, mußte jedoch auf Verfügung der Polizei hin noch in letzter Stunde ihr Thema ändern und über„ Die Frau in Haus und Industrie" referiren. Die Rednerin ging davon aus, daß die Frau zur Zeit des Mutterrechts gleichberechtigt mit dem Manne, ja ihm übergeordnet gewesen sei. Mit veränderten Verhältnissen habe sich jedoch ihre Stellung verschlechtert. Durch die modernen wirthschaftlichen Verhältnisse sei die Frau auf das Gebiet der Industrie gedrängt und auf demselben zu einem sehr wichtigen Faktor gemacht worden, wie die Statistik beweise. Allein sie ist gleichzeitig der schlimmsten wirthschaftlichen Ausbeutung anheimgefallen und wurde in Folge ungleicher Entlohnung dem Manne gegenüber zur Konkurrentin desselben. Deshalb müsse die Forderung erhoben werden: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Unterschied des Geschlechts. Verwirklicht könne dieselbe nur werden durch Vereinigung der arbeitenden Frauen behufs Wahrung ihrer Interessen. Auch auf geistigem und wissenschaftlichem Gebiete habe die Frau ihre Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit bewiesen. Das New Yorker Patentamt allein habe z. B. schon 3000 Patente an Frauen ertheilt. Frauen und Männer müßten gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen. Nach Schluß des mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrags forderten verschiedene Redner und Rednerinnen die anwesenden Frauen
Bernard eilte nun zu Madame Lenoir und forschte sie über den jungen Mann aus. Doch diese wußte nichts von der ganzen Liebesaffaire, und Leon hatte sie nicht zur Vertrauten seiner Ge= finnungen gemacht. Heute früh sei er nach Bordeaur gereist, doch habe er versprochen, in sechs Wochen wieder zurückzukommen. Bernard nahm sich vor, den jungen Mann selbst bei dessen Rückfehr aufzufordern, ihm über seine Absichten Rede zu stehen. Es war sein Lieblingswunsch, daß sein Adoptivkind einst eines redlichen Mannes glückliche Frau werde. Er hatte in der Kunst reiterwelt zu viel des leichtsinnigen Elends gesehen, um nicht die kontrastirende bürgerliche Ehrlichkeit um so höher zu schätzen.
Das war ein ereignißvoller Tag für Violette. Des Morgens die Eröffnung eines ihr verheißenen Liebeshimmels, Abends- ein gräßlicher Unglücksschlag. Bernard stürzte von seinem Trapez herab und brach sich beide Beine. Sie trugen ihn in seine Wohnung und Violette wurde herbeigeholt. Ihr Schmerz war namenlos, doch dankte sie Gott, daß ihr wenigstens das Leben des Theuren erhalten blieb; und sie wich nun nicht mehr von seinem Krankenbette, ihn pflegend und wartend mit einer Standhaftigkeit und Ausdauer, die man dem blassen, schwächlichen, fleinen Mädchen gar nicht zugetraut hätte.
Violette siedelte nun ganz zu ihrem Pflegevater über, nahm zur Hilfe noch eine Wärterin auf und sorgte für das Herbeiholen der ersten Aerzte der Stadt. Bernard besaß eine kleine ersparte Summe, der Zirkusdirektor hatte auch eine Beisteuer gegeben, und so konnten die Kosten der Kur bestritten werden. Der Arme litt unfägliche Schmerzen; die Aerzte gaben zwar Hoffnung, ihn zu retten, doch würde er zeitlebens auf Krücken gehen müssen. Bei dieser Eröffnung brach Bernard in Thränen aus.
,, O Gott, mein armes Kind," so sprach er, nun fann ich nichts mehr für uns verdienen!"
,, Und bin ich nicht da, Papa- habe ich nicht, Dank Deiner Fürsorge, eine Kunst erlernt, die uns beide ernähren kann?"
Nach einem Monat, nachdem die Operateure bezahlt waren,
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auf, sich dem Schneider- und Schneiderinnenverband und dem Bildungsverein für Frauen und Mädchen anzuschließen.
Frau Farchim( Gera ) sprach am 15. Mai in einer gut besuchten Versammlung zu Kahla a. S. über das Thema:„ Die Organisationsbestrebungen der Arbeiter und die Sozialdemokratie." An der Hand der Geschichte schilderte die Referentin die Kämpfe des arbeitenden Volkes und die Bestrebungen der Besitzenden, dasselbe in seinem Siegeslauf zu hindern und schloß mit der Aufforderung, einzutreten in die Reihen der Sozialdemokratie, um mitzuarbeiten an der Befreiung der Arbeit vom Drucke des Kapitals. Die Versammlung ging mit einem begeisterten Hoch auf die Sozialdemokratie auseinander. -In Nürnberg fand am 16. Mai eine Versammlung für Arbeiter und Arbeiterinnen statt, welche sich eines sehr zahlreichen Besuchs auch seitens der Frauen erfreute. Frau Ihrer( Velten ) sprach über das Thema:„ Die Bestrebungen der Sozialdemokratie mit besonderer Berücksichtigung der Interessen der Arbeiterinnen." Die Referentin führte aus, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, welche für die Interessen der Frauen eintritt. Zwar heißt es, daß vor dem Gesetz Alle gleich sind, nichtsdestoweniger belaste man die Frau nur mit Pflichten, ohne ihr Rechte zu gewähren. In Folge ihrer Rechtlosigkeit wird die Frau auch wirthschaftlich mehr ausge beutet als der Mann. Die Sozialdemokratie will die Frau in jeder Beziehung mit diesem gleichstellen, da sie im Wirthschaftsleben das Gleiche leistet wie er. Die heutige Gesellschaft sträubt sich gegen diese Gleichberechtigung, die ihre Macht gefährdet. Mit allen Mitteln sucht sie die Sozialdemokratie zu bekämpfen. Für den Sieg derselben ist es von wesentlicher Bedeutung, daß die Arbeiterinnen in jeder Beziehung aufgeklärt, daß ihnen u. A. auch die mit den Mitteln des Volkes unterhaltenen Bildungsanstalten zugänglich gemacht werden. Der Partei, zu deren Fahne das weibliche Geschlecht schwört, müsse der Sieg werden. Reicher Beifall folgte den zündenden Ausführungen der Rednerin. Nachdem noch Frl. Fischer den anwesenden Frauen ans Herz gelegt hatte, die Schundliteratur zu verbannen und gute Schriften, besonders auch die Gleichheit" zu lesen, erklärte sich die Versammlung in einer Resolution mit Frau Ihrer's Ausführungen einverstanden und versprach, besonders in den Kreisen der Arbeiterinnen für sozialpolitische Aufklärung zu agitiren.
Am 25. April hielt der Fachverein der in Buchbindereien und verwandten Gewerben beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen war der fleine Geldvorrath erschöpft. Bernard war noch nicht außer Gefahr. Der Arzt fürchtete sogar, daß sich ein tödtlicher Brand in der Wunde einstellen könnte, doch theilte er diese Befürchtung dem jungen Mädchen nicht mit.
Von Madame Lenoir, welche, wenn sie nicht selbst nachsehen tam, sich sonst täglich nach des Kranken Befinden erkundigen schickte, war seit einigen Tagen nichts zu hören gewesen, und da entschloß fich Violette, zu ihr hinzugehen, um auch wieder Arbeit zu ver denn es war nothwendig, die versiegte Kasse neu zu langen füllen. Daß ihr möglicher Verdienst in keinem Verhältniß zu den laufenden Auslagen stand, davon machte sich Violette keinen rechten Begriff, denn es fehlte ihr in diesen Dingen an aller praktischen Erfahrung.
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Gegen Abend also, als Bernard ruhig eingeschlafen war, und die Wärterin an seinem Bette saß, trug Violette derselben auf, sorgfältig zu wachen, und begab sich auf den Weg zu Madame Lenoir.
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Vor deren Hause angelangt, war sie überrascht, den Laden gesperrt, den Aushängeschild entfernt zu finden; auch auf der Koffer und Möbel standen Stiege schien ihr Alles ungewohnt am Flur, und als sie in Madame Lenoirs Zimmer trat, sah sie dieselbe unter Kisten und Schachteln an einem Tische einzigen übrigen Möbel- fizend. Sie war in Hut und Mantille und mit Schreiben beschäftigt.
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„ Ah Du bist's, Violette," sagte die alte Frau aufblickend, ,, Du kommst gerade zurecht. Da brauche ich nicht erst bei Euch vorzufahren... ich reise in einer Stunde ab."
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Um Gotteswillen, Madame, was ist denn geschehen?"
„ Ach, mein Kind, auch über mich ist das Unglück hereinich mußte gebrochen. Mein Geschäft ist zu Grunde gegangen- Alles verkaufen und nun reise ich auf meine alten Tage noch nach Amerika , wo ich einen Schwager habe, der mich zu sich nehmen wird."
( Fortsetzung folgt.)