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daß es sich bei den gekennzeichneten, mit ihr verbundenen Uebeln um unabänderliche Verhältnisse" handelt. War die Sorge froß War die Sorge trotz aller Versicherung nicht schwer genug, den Verfasser der Aus­lassungen zu veranlassen, nach der Ursache der platonisch be= jammerten Erscheinung zu forschen, nachzuspüren, ob die schädigenden Einwirkungen und Einflüsse auf Mütter, Kinder und das Familien­leben Folgen der industriellen Frauenarbeit überhaupt sind oder nur als deren Konsequenzen erscheinen unter der Herrschaft der kapitalistischen   Wirthschaftsweise mit ihrer schonungslosen Aus­beutung proletarischer Arbeitskraft? Und hat er diese Frage gestellt und beantwortet, wie kann er dann von unabänderlichen Ver­hältnissen" sprechen, warum tritt er nicht den Ergebnissen der medizinischen und hygienischen Wissenschaft entsprechend für einen kräftigen Arbeiterschuß ein, welcher die betreffenden Mißstände in etwas zu mildern vermag? Es ist freilich leicht und bequemt, meist auch einträglich, unter dem Vorwand, daß es sich um unab­änderliche Verhältnisse" handelt, den kapitalistischen   Leviathan unangetastet zu lassen und im Harnisch sittlichster Bedenken gegen eine handvoll strebsamer Frauen zu friegen. Wollte übrigens der sich als Wortführer der deutschen   Aerzte gebärdende Artikelschreiber Umschau halten, so würde er, zumal unter seinen jüngeren Kollegen, Manchen finden, der nicht wie er dem kapitalistischen   Moloch gegen­über die Miene eines unschuldsvoll ergebenen Lammes und der Frage des Frauenstudiums gegenüber die Haltung eines Bramarbas annimmt.

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Doch kommen wir auf unsern Hammel, auf die ernsten Be­denken" des Zentralanzeigers" gegen das Frauenstudium zurück. Betreffs desselben handelt es sich natürlich nicht um unabänder liche Verhältnisse," sondern um eine Idee, die so abnorm ist, wie das Frauengehirn, das zum ersten Mal auf den Gedanken der Emanzipation verfiel." Wir wollen nicht auf die so viel Geschmack und tiefen Ernst verrathende Schimpferei über das abnorme Frauen­gehirn 2c. durch eine gleich geschmackvolle Schimpferei über das verkrüppelte und verbohrte Männergehirn antworten, das weder Ursachen noch Bedeutung des Heraustretens der Frauen aus dem Bannkreis des Kochtopfs und Strickstrumpfs zu begreifen vermag. Schimpfen heißt keineswegs beweisen, viel öfter dagegen die Un­möglichkeit des Beweises eingestehen.

Aber, so fragen wir, hat denn der Mann mit den ernsten Bedenken" als moderner Rip van Winkle   vom Duft wundersamer Tränklein berauscht Jahrzehnt auf Jahrzehnt geschlafen, sind ihm die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse so weltfremd geworden, daß er die Ursache des Andrängens der Frauen zu den Universi täten lediglich in einer tollen Phantasterei eines tollen Frauen: gehirns sucht? Wem die Entwicklung unseres Bolts" am Herzen liegt, wer tiefgründig eine auf dieselbe zurückwirkende Frage sich ,, in all ihren Konsequenzen vergegenwärtigt," der muß mit dem Leben unserer Zeit doch so weit vertraut sein, daß er den gewaltigen wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Zersetzungs- und Umgestaltungs­prozeß wahrnimmt, auf Grund dessen das Frauenstudium ebenso unabänderlich geworden, wie die industrielle Frauenarbeit.

Jeder Tag bringt die Beweise, daß der Mittelstand, von der Großbourgeoisie wirthschaftlich zu Grunde gerichtet, unrettbar ver­fällt. Die mittel- und fleinbürgerliche Familie zerbröckelt, sie ist nicht länger im Stande, den Unterhalt ihrer weiblichen Glieder auf Grund der früheren häuslichen Thätigkeit zu sichern. Der wirthschaftlichen Nothlage entsprechend nimmt die Zahl der Ehe­schließungen gerade in feiner Bevölkerungsklasse in so starkem Ver­hältnisse ab, wie in dem sogenannten Mittelstande. Aus Frank­ reich  , Deutschland  , England, Oesterreich, Ungarn  , kurz von überall, wo sich der Kapitalismus entwickelt, wird die gleiche Erscheinung berichtet und ziffernmäßig nachgewiesen. Was bedeutet dies anders, als daß für Tausende bürgerlicher Mädchen nicht mehr die Mög­lichkeit vorhanden ist, in einer Ehe, in der Familie eine Ver­sorgung zu finden? Aber damit nicht genug. Auch Diejenigen, welche in dem Hafen der Ehe" einlaufen, find in vielen Fällen gezwungen, nach einem Broterwerb auszuschauen, weil der Gehalt oder Verdienst des Mannes für den Unterhalt der Familie nicht ausreicht. Da wird für die bürgerliche Frauenwelt die sorgen volle Berufsarbeit," gegen welche der Zentralanzeiger" liebreich

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warnend melancholische Unkenrufe ertönen läßt, zu, unabänderlicher" Nothwendigkeit, um die noch sorgenvollere Frage abzuwehren: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns fleiden? In diesen bestimmt nachweisbaren, wirthschaftlichen Thatsachen, welche eine ganz neue Auffassung von Rechten und Pflichten der Frau nach sich ziehen, liegt die Ursache, die treibende Kraft der Bewegung zu Gunsten des Frauenstudiums, liegt aber auch die sichere Bürgschaft ihres Sieges, der weder durch verächtliche Bemerkungen über ein abnormes Frauengehirn," noch durch sich spreizende Klopffechterei im angeblichen Dienst der Wissen­An Stelle schaft und Volksentwicklung vereitelt werden kann. dieser Thatsachen die abnorme Idee eines abnormen Frauen­gehirns" stellen, das heißt entweder eine Unwissenheit und Ein­sichtslosigkeit oder aber eine Verlogenheit an den Tag legen, welche das Maß des polizeilich zulässigen weit überschreitet. Mag der Herr Verfasser zu seinen schweren Sorgen" bezüglich der Frage noch die legen, mit sich selbst auszumachen, welche dieser Eigen­schaften er für sich in Anspruch nimmt, oder ob er eine gut dosirte Mischung beider vorzieht.

Daß die auf einen Beruf angewiesenen bürgerlichen Frauen sich den liberalen Karrièren zuwenden, erklärt sich von selbst aus den Milieu, in dem sie aufgewachsen, aus ihrer Erziehung, ihren Begriffen über geachtete und standesgemäße Thätigkeit, Stellung 2c. Und wenn sie sich vorzugsweise für den Beruf einer Aerztin ent­scheiden, so ist dies wahrlich naheliegend und begreiflich genug und trägt nur dem weiblichen Scham- und Anstandsgefühl Rechnung, das oft Siechthum und Tod der Behandlung durch einen Arzt vorziehen läßt. Nun scheint es uns aber, als ob es gerade dieser Umstand, die Wahl dieses Berufes wäre, welche die empfindsame Seele des Verfassers mit ernsten Bedenken" und schweren Sorgen" belastet. Wollten die betreffenden Frauen und Mädchen, anstatt sich der Medizin zuzuwenden, auf dem Gebiete der industriellen und kommerziellen Frauenarbeit einen Brot- oder Nebenerwerb suchen, durch ihre Konkurrenz die hier üblichen Löhne noch tiefer drücken, zu einer Verschlimmerung der Lebenshaltung armer Näherinnen, Stickerinnen, Kopistinnen beitragen, wir sind überzeugt, die Sorgen des Herrn würden bedeutend leichtere sein, ja er würde sich ihrer in christlicher Ergebung mit der Versicherung entledigen, daß es sich um unabänderliche Verhältnisse" handle, gegen welche man nicht anfämpfen fönne. Hier jedoch, wo sich die Frage darum dreht, die Konkurrenz der Frauenarbeit in seine eigene Berufs­sphäre hineinzutragen, da spielt er sich im Namen der bedrohten Boltsentwicklung, im Namen der eigensten Interessen der Frauen­welt als getreuer Eckart auf; da erhebt er seine warnende Stimme, um zu verhüten, daß

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, das zersetzende Agens eines unruhvollen Strebens nach wissenschaftlicher Bildung auch in diejenigen Frauenkreise hineingeworfen werde, welche wir zum Heil der nachkommenden Generationen noch vor solchen Schädigungen frei sehen."

Wir wollen nicht untersuchen, inwieweit das Streben nach wissenschaftlicher Bildung unbedingt unruhvoll" sein und zu einem zerseßenden Agens" werden muß, und inwieweit es sich vielmehr ruhig und befriedigend gestalten und zu einem moralisch fräftigenden und festigenden Moment werden tann. Aber Eins steht fest. Unruhvoller und zerseßender kann es auf die Frauen feinesfalls einwirken, als der fortwährende Kampf mit drückenden Nahrungssorgen; als das Streben, den herrschenden Mangel durch Wahrung des äußeren Scheins zu ver­tuschen, als das ängstliche Bemühen, sich stets und unter allen Umständen den Launen eines eigenthümlich gearteten, obendrein vielleicht ungeliebten Gatten anzupassen, der Willkür wohlhabender Verwandten zu unterwerfen; als die sorgenvolle, lärmende und tief demüthigende Jagd nach einem Mann, einem Erhalter! Aber freilich, mit den Scheuledern seiner ernsten Bedenken" und seiner schweren Sorgen" bewehrt, geht unser Sozialpolitiker vom " Zentralanzeiger" durch das Leben, ohne derartige Erscheinungen wahrzunehmen. Er kennt nicht jene Gestalten abgehärmter, bis tief in die Nacht hinein bei fümmerlich gelohnter Hand- oder Kopf­arbeit schaffender Frauen und Mädchen, welche nach dem Zu­sammenbruch einer bürgerlichen Eristenz für ihren und der Ihrigen