Nr. 17 der ,, Gleichheit" gelangt am 24. August 1892 zur Ausgabe.
Es gelang ihr nicht, ihre Universitätsstudien zu beenden. 1873 erließ die russische Regierung, erschreckt von dem Umsichgreifen der sozialistischen Pest" unter der im Auslande, zumal in Zürich studirenden Jugend, einen blöden Ukas, der Russen und Russinnen das Studium an der Züricher Universität verbot. Ein Theil von Sophie Bardina's Freundinnen kehrte sofort nach Rußland zurück, während sie selbst im Auslande verblieb, um ihrer Ueberzeugung gemäß erst die Heimath aufzusuchen, wenn sie einen Beruf gründlich erlernt hätte. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, an der Pariser Universität weiter zu studiren, ging sie nach Genf , wo sie einen Kursus für Hebammen absolvirte.*) Mit der glücklich bestandenen Prüfung schließen ihre Lehrjahre ab, fängt die Zeit ihres praktischen Wirkens für ihre Ideale im Vaterlande an, in welches sie nun zurückkehrte.
1874 sammelten sich die Mitglieder des Zirkels, dem Sophie Bardina angehört hatte, in Moskau , vereinigten sich mit einem Zirkel von Studenten aus dem Kaukasus und bildeten zusammen mit diesem eine geheime Gesellschaft zum Zwecke der sozialistischen Propaganda unter dem Volk. Die ehemaligen Träumerinnen und Idealistinnen verwandelten sich in der schwülen Atmosphäre der Heimath schnell in standhafte und erfahrene Kämpferinnen. Sie waren es, welche im Vereine mit den erwähnten Studenten in Rußland den ersten Plan behufs Organisation einer sozialrevolutionären Aktionspartei ausarbeiteten. Auf ihre Anregung hin wurden binnen furzer Zeit in vier Industrieſtädten Arbeiterorganisationen geschaffen. Es ist nicht bekannt, welchen persönlichen Antheil Sophie Bardina an diesen ersten revolutionären Organisationsarbeiten gehabt hat, dafür wissen wir, daß sie mit ihrem praktischen Wirken als Propagandistin Erfolge erzielte, wie niemand anders von ihren Kameraden und Kameradinnen. Sie legte bei ihrer diesbezüglichen Thätigkeit ganz außerordentliche Fähigkeiten an den Tag.
Bekanntlich traten während der Periode der Propaganda viele junge Mädchen und Frauen als Arbeiterinnen in Fabriken ein, um hier das Evangelium des Sozialismus zu verkünden. Die Verhältnisse, unter denen sie ihre Ideen verbreiteten, waren ungemein schwierige und stellten die höchsten Anforderungen an die Opferfreudigkeit, den Entsagungsmuth der Propagandistinnen, welche der Mehrzahl nach aus wohlhadenden, ja reichen Familien entstammten und nun um der " Sache" willen auf liebgewordene Lebensgewohnheiten und die Befriedigung schier unentbehrlicher Bedürfnisse verzichteten. Mädchen, die seit ihrer Kindheit an ein bequemes, luxuriöses Leben gewöhnt waren, schafften täglich bis 15 Stunden und noch länger in der Fabrik, in der sie Wohnung und Kost erhielten. Und welche Wohnung und Kost! Die verabfolgte Nahrung bestand aus schlecht gebackenem Brot und einer Flüssigkeit, schönrednerisch Suppe genannt, die so widerlich war, daß sich manche Propagandistin wochenlang damit begnügte, trockene Brotrinden zu nagen. Der Kost entsprachen an Scheußlichkeit die Wohnungen oder richtiger die Schlafräume. Wie jeder Arbeiter und jede Arbeiterin einer Fabrik mußten die Propagandistinnen in den gemeinsamen Schlafsälen auf schmalen Holzpritschen liegen, die nur mit einem Strohsack und einem Strohtissen ausgestattet waren. Etwas wie Leintücher oder Decken war ein unbekannter Luxus, man warf sich in den Kleidern auf die kärgliche Lagerstatt. Die Pritschen waren in dichter Reihenfolge nicht nur längs der Wände, sondern in mehreren Reihen über einander angebracht, so daß in den mit Menschen überfüllten Schlafsälen die Luft derart dick und verpestet war, daß der an eine reine Atmosphäre Gewöhnte bei seinem Eintritt in die Räume von Schwindel und Uebelkeit ergriffen ward. Und damit nicht genug. Die Schlafsäle wimmelten im buchstäblichsten Sinne des Wortes von Ungeziefer der schlimmsten Art. In der Nacht schien es, als ob die Wände, die Decke, der Fußboden lebendig würden, schaarenweise kamen die widerlichen kleinen Unholde aus Rizen und Spalten hervor, fielen über die Schlafenden her und quälten sie in unerträglicher Weise. Die Propagandistinnen litten unter diesen Peinigern mehr, als unter allen anderen Unzuträglichkeiten ihres Aufenthaltes in der Fabrik. Obgleich sie von der ungewöhnten, harten Arbeit todmüde waren, konnten sie doch in den ersten Nächten vor Ekel vor dem Ungeziefer kein Auge schließen. Trotzdem hielten sie geduldig aus um der Möglichkeit willen, von Zeit zu Zeit mit den Arbeitern und Arbeiterinnen einige Worte über die Lage des Volfes, seine Leiden, seine Ausbeutung durch Unternehmer und Beamte wechseln zu können. Allein bei ihren Bemühungen, das Volt über seine wahren Interessen aufzuklären, mußten gerade die Propagandistinnen einen Uebelstand mit in den Kauf nehmen, der für sie den Schmerz der Schmerzen bedeutete. Die Arbeiter waren nicht gewöhnt, die Frauen als ebenbürtige menschliche
*) Die russischen Revolutionärinnen bildeten sich vielfach zu Hebammen aus, weil die Ausübung dieses Berufs sie in Berührung mit dem Volke brachte, die Propaganda unter diesem erleichterte.
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Wesen zu behandeln, und auf jede ernste Aussprache der jungen Mädchen antworteten sie mit rohem Gelächter, mit schlechten Witzen, ja oft mit 3oten. ( Schluß folgt.)
Kleine Nachrichten.
Tieferhängen. Im„ Krokodil" zu Nürnberg erhält eine Kellnerin bei 15 bis 18stündiger täglicher Arbeitszeit außer Kost und Logis pro Monat 15 Mark Gehalt; sie muß aber täglich 50 Pfennig einer Frau zahlen, welche Messer und Fenster putzt. Das Häkeln, Stricken, Flicken 2c. im Lokal ist ihr untersagt, ebenso das Zeitungslesen. Der Kellnerin bleibt also nicht nur kein Pfennig ihres Verdienstes, sie muß noch, wenn der Monat 31 Tage hat, 50 Pfennig aus ihrer Tasche für das Putzen der Restaurationsfenster und Messer zuzahlen. Ein Nebenverdienst durch Anfertigung weiblicher Handarbeiten ist ihr auf Grund der Geschäftsordnung verwehrt. Für Bestreitung aller Lebensbedürfnisse außer Kost und Wohnung ist das Mädchen auf die Trinkgelder, auf das Mitleid der Gäste und eventuell auf die Preisgabe ihres Körpers angewiesen. Der Weg zur Prostitution ist für Viele mit Hungerlöhnen gepflastert. Der Wirth zum Krokodil" ist aber sicher ein„ ehrenwerther Mann," ein Mann, der es versteht, wie es gemacht werden muß, um es zu dem bewußten„ Etwas" zu bringen, das heutzutage der gesellschaftliche Lebensnerv ist.
In Nievera( Rheinproving) mißhandelte in entsetzlicher Weise ein Dienstherr seine 16jährige Magd, welche sich gegen den Vorwurf des Diebstahls vertheidigte und eine Durchsuchung ihrer Habseligfeiten verlangte. Der Unhold warf die Unglückliche zu Boden, fniete auf sie nieder, schlug ihr die Zähne ein und fügte ihr so schwere Verlegungen zu, daß sie in Lebensgefahr schwebt. Und das Alles auf Grund des famosen„ väterlichen Züchtigungsrechts," das die weißen Sklaven und Sklavinnen der Brutalität ihrer Herren überantwortet.
Ein neuer Vers zur Idylle unserer patriarchalischen Gesindeverhältnisse wird durch die folgende Thatsache geliefert. Ein Mädchen, das in einer Mühle im Kreise Balkenhain( Schlesien ) diente, kam 9 Monate lang in kein Bett. So lange die Bedauernswerthe in der Mühle im Dienst stand, ward sie Abends in einem stallähnlichen Raume untergebracht, der nur durch einen Bretterverschlag vom Schweinestall getrennt war. Als Lager diente ihr ein Bund Stroh, und nachdem sie allnächtlich die Nachbarschaft von sechs Schweinen genossen, wurde sie Morgens aus ihrem Loch herausgelassen. Aus Furcht vor der Stiefmutter wagte das Mädchen nicht, zu Hause Mittheilung von den betreffenden scheußlichen Verhältnissen zu machen. Kerngesund war das junge Ding in den Dienst getreten, jetzt leidet die Unglückliche öfters an Krampfanfällen. Kommentar überflüssig.
Die Zahl der an der Universität Zürich studirenden Frauen betrug für das Wintersemester 1891/92 67, die der freien Hörerinnen 59. Staatswissenschaften studirten 3 Frauen, darunter eine Deutsche ; die Zahl der Studentinnen der Medizin belief sich zusammen auf der Philosophie waren 3 Deutsche . 43, unter denen sich 12 Deutsche befanden; von den 21 Studentinnen
Wie wir bereits früher meldeten, sind in Bosnien seitens der österreichischen Regierung weibliche Aerzte angestellt worden, da sich die Mohammedanerinnen, den religiösen Anschauungen entsprechend, weigern, sich von Männern behandeln zu lassen. Die englische Regierung ist mit Rücksicht auf die nämlichen Bedenken der Indierinnen noch einen Schritt weiter gegangen. Sie hat dreißig weibliche Aerzte auf Staatskosten studiren lassen und nach Indien geschickt. Die deutsche Regierung erachtet dagegen, daß das Schicklichkeits- und Zartgefühl der deutschen Frauen nicht die gleiche Rücksicht verdient, wie die religiösen Anschauungen der Mohammedanerinnen und Indierinnen, das deutsche Zunftgelehrtenthum freut sich, daß seine Kreise nicht durch die Konkurrenz der Frauen gestört werden, und das deutsche Spießbürgerthum ist, wie immer, mit Allem zufrieden.
Wie die„ Nowoje Wremja" berichtet, hat der russische Reichsrath das Projekt der Gründung eines Medizinischen Institute für Aerztinnen" in St. Petersburg bestätigt. Die Großkommune der genannten Stadt hat sich bereit erklärt, dem Institut eine Jahressubvention von 15000 Rubel zu zahlen, sie stellt diesem ferner bei dem größten städtischen Hospital ein eigenes Haus für Hörsäle zur Verfügung und ertheilt ihre Zustimmung zu der klinischen Beschäftigung der künftigen Studentinnen an diesem und an allen übrigen städtischen Hospitälern. Man vergleiche mit dieser Beschlußnahme die Haltung der deutschen gesetzgebenden Körperschaften, Fakultäten und des Bürgerthums der Frage des Frauenstudiums gegenüber, und man wird zu der Ueberzeugung gelangen, daß wir in Deutschland noch immer in China leben, im Reiche des himmlischen Zopfes.