Mundscliasls'Bchöide ist eine staatliche. Es ist auch»icht daran zu denken, daß die bureaukraliseh nolizeiliche Negelnng des Vor» »nindsedaslsivkseiis von de» der Selbstverwaltung der Gemeinde» feindlichen, mit absolutistischen Neigungen durchtränkten lnndesgesctz- lichen Körperschaften Preußens alsbald verlassen werden wird. Worauf es ankommt, ist, daß das Vormundschnstsgericht, unbekümmert, ob es eine Gemeinde behörde oder ob es eine staatliche Behörde ist, in keinem Falle ohne obligatorische Zuziehung von Laienrichtern über so wichtige Angelegenheiten, wie sie dem Vormundschaftsgericht zu- gewiesen sind, soll entscheiden dürfen. Dies zu erstrebe» ist um so nothwendiger, als§ 147 des Einführuugsgesetzes seinem Wortlaut nach, wenn auch nicht nach seiner Entstehungsgeschichte es gar zulassen würde, als Vormundschaftsbehörde eine polizeiliche oder eine militärische festzusetzen. Daß die preußische LandralhS- kammer solchem Vorschlage zustimme» und vielleicht den Gendarm als Oberaussichls- Instanz für Vormünder, Pfleger, Väter, Mütter und Ebeleute etablire» könnte, liegt nicht außer- halb aller Möglichkeit. Hinzu tritt, daß voraussichtlich auch über Entmündigungen das Amtsgericht als Vor- inundschaftsgericht auch nach der Zivilprozeßnovelle zu be- finden haben wird und daß auf dem Gebiete des Enlmündigungs- ivesens eine obligatorische Zuziehung von Laien immer dringlicher wird. Nicht unwesentlich wäre endlich»och eine weitere Folge einer reichsgesetzlichen Vorschrift, die die Zuziehung von Laie» obligatorisch vorschreiben würde. Solche Vorschrift würde dem Vielerlei auf dem Gebiete deutschrechtlicher Vormundschasts- organisation erheblich entgegenwirke». Zur Zeit herrscht aus diesem Gebiete ein kunterbunter Wirrwarr. Eine Blüthenlese aus Parlikularrechten mag dies veranschaulichen. In Württemberg wird die vorrnundschaftsgerichtliche Funktion von einem Ausschuß des Gemeinderaths, unter Aufsicht der Amtsgerichte ausgeübt. I» Mecklenburg fungiren als Vormnudschaftsbehörden theils Stadt- Magistrate, theilS Amtsgerichte, theils Waisengerichte. Für Lübeck sind das Stadt- und Landamt und das Amt Travemünde Vor- muudschaftsbehörden. In Hamburg fnngirt für die Stadt, die Vor- stadt St. Pauli und die LandeLherrschast der Geest- und Marschlande ein besonderes, aus Mitgliedern des Land- gerichls und aus nicht rechtsgelehrlen Mitgliedern zusammengesetztes Kollegium als Vormundsehastsbehörde, in Ritzedüttel tritt der Amtsverwalter, in Bergedorf der Amtsrichter an dessen Stelle. Für Bremen und Bremerhaven fnngirt eine ans rechts- gelehrten Richtern gebildete Behörde, zu der auch Nichtrichter hinzu- gezogen werde» dürfe». Das badische Recht kennt Waisenrichler unter amtsgerichllicher Obervormundschaft. In Starkeubnig und Oberhessen üben Gemeindebehörden vormundschaftsgerichtliche Thätig- keiten aus. Staatliche Behörden(theilweise unter bedeutungsloser Mitarbeit von Waisenrnthe» wie in Preuße») fungiren als Vor- uiundschastsbehörden in: Preußen, Bayern rechts des Rheins, Sachsen . Hesse », Weimar , Anhalt, Altenbnrg. in beiden Reuß, Braun- schweig, Lippe- Detmold, Schaumburg- Lippe . Eine eigenartige Organisation(Familienrath) kennt ferner Baden, das Gebiet des Code civil und theilweise auch das Bürgerliche Gesetzbuch. Eine Beseitigung dieser Vielseitigkeit erscheint im Interesse der Arbeiter- schaft, die bald in dies, bald in jenes der 26 Vaterländer geworfen wird, dringend erforderlich. Ein Kuriosum mag ans dem übrigens in auffallend klarem Deutsch geschriebenen Entwurf über die freiwillige Gerichtsbarkeit schließlich Anführung finden. Der Entwnrf hat aus Beschluß des Buudesraths in§6 die Vorschrift gestrichen, daß auch auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit die allgemeinen zivilprozessualen Be- stimmungen über Ablehnung oder Ausschließung von GerichtSpersonen Anwendung finden solle». Danach würde also ein Richter auch in den Sachen als Richter fungiren können, in denen seine Ehefrau gegen ihn wegen Mißbrauchs seiner eheliche» Gewalt klagt. Welche Erfahrungen haben die Buudesraths- Mitglieder mit Richterehe» gemacht? Ist wirklich dort die Aus- legung des„Er soll Dein Herr sein" in„Er soll Dein Herr und Richter sein" nothwendig? Welcher Frau darf zugemiithet werden, durch solche Bestimmungen sich„bändigen" zu lasse»? Würdiger für Ehemänner wäre die Zulassung von Frauen zur Mitentscheidung in den dem Vormundschafts-Gericht zugewiesenen Angelegenheiten. polikifchv Mvbevstchk» Berlin . 2. Dezember. Reichstagstvahl i» Nürnberg . Glänzeuder Sieg der Sozialdemokratie! Die Hoffuuugen der Gegner, uns das Mandat zu entreißen, sind nicht nur kläglich zu Schanden ge- worden, sondern unsere Partei hat einen Sieg erfochten, der größer noch ist als die früheren im Nürnberger Wahlkreis. Unser Genosse O e r t e l erhielt 20 009 Stimnien. Der Kandidat der Freisinnigen und Nationalliberale», Barbeck, er- zielte II 259, Dr. Hcigt(Demokr.) 991, Dr. Hain(Zentr.) 607, Deibel(Kons.) 622 Stimmen. Die Gesammtzahl der gegnerischen Stimmen ist fast genau die gleiche wie 1893. Unsere Partei hat 2000 Stimmen mehr auf sich vereinigt als 1893. Die Nürnberger Arbeiterschaft hat das Erbe unseres unvergeßlichen Grillenbcrger trefflich gewahrt.— Zun» Entwurf der Militär-Strafgerichts-Ordnuug. Wir haben den Entivilrf früher einer allgemeinen Besprechung unterzogen. Es erübrigt sich noch, auf mancherlei Einzelheiten zurückzukommen, welche den reaktionären Charakter derselben »wch deutlicher kennzeichnen. In erster Linie ist noch besonders aufmerksam zu machen auf die völlige Ueberlieferung der Militärrcchtsprechung an die Offiziere. DaS Element der Unteroffiziere und der gewöhn- lichen Soldaten ist gänzlich beseitigt. Wir ivaren auch stets der Meinung, daß die Hinzuziehung dieses Elements schädlich sei. Aber diese Schädlichkeit ergab sich nicht nur aus der Jugendlichkeit und juristischen Unkenntniß dieser Soldaten, sondern auch aus ihrer Stellung innerhalb des gesammten Systems der Geheim- justiz. Diese Unteroffiziere und Soldaten müssen völlig unter dem Banne der Autorität des Auditeurs und der mit richten- den Vorgesetzten stehen. Wollte man nun einmal das Laienelement in dem refor- mieten Militär-Strafprozeß beibehalten, so müßte man jenen Bann voi» den Soldaten und Unteroffizieren nehmen, man müßte ihnen durch die Oeffeutlichkeit des ganzen Verfahrens, durch die Gegenwirkung der Vertheidigung gegen die Anklage- behörde Freiheit des Urtheils geben. So könnte dies Laienelement allerdings doch sehr segensreich wirken. Denn schließlich können die Kameraden des Soldaten sich doch am ehesten in die Lage des angeklagten Kommilitonen versetzen und seine That an» rich- tigsten würdigen— vorausgesetzt immer, daß sie wirklich frei in ihrem Urtheil sind. Der Regierungsentwurs jedoch beseitigt die Mann- schaften-Richter, behält aber das L a i e n g e r i ch t völlig bei. Nur andere Laien werden auserkoren als bisher. Nur der Offizier soll richten. Gegen seine Fähigkeit, objektiv zu urtheilen, spricht aber nicht nur ebenso wie bei den Mannschaften und Unteroffizieren das jugendliche Alter und die juristische Nichtbildnng, sondern dazu kommt noch der S t and es ge gensatz, der zugleich Klassen- gegensatz ist. Fast alle Vergehen und Verbrechen, die der gewöhnliche Soldat begeht, soivohl militärische ivie bürgerliche, sind in der Sphäre des Offiziers unverständlich und darllin jeder milderen Auffassung entrückt. Der Offizier, dem zudem auch noch die juristische Bildung fehlt, erscheint daher als das denkbar ungeeignetste Element für die Rechtsprechung. Und er gerade soll sie jetzt ganz in seine Hand bekommen. Der juristisch gebildete Militärbeamte tritt ganz hinter ihm zurück. Tie„Vossische Zeitung" macht mit recht darauf aufmerksam, wie selbst das oberste Gericht, das Reichs-Militärgericht, obschon es nicht über Thatfragen, sondern nur über reine Rechtsfragen zu befinden hat, doch voriviegeud aus Laien zusammengesetzt werden soll. Schon sein Präsident ist nicht Jurist, sondern ein General, den der Kaiser ernennt und abberuft. In den einzelneu Senaten dieses Reichs-Militärgerichts aber soll eben- falls nicht ein Jurist, sondern der rangälteste Offizier den Vorsitz führen. Ferner sollen imnier die militärischen Mit- glieder die Mehrheit der Richter bilden, auf 4 Offiziere sollen 3 Juristen kommen. Die Offiziere dieses Gerichts aber gehören demselben nicht einmal für die Daner an, sie sind auch nicht unabsetzbar, sie werden auf zwei Jahre kommaudirt. Es fehlen also alle Bürgschaften für die Unabhängigkeit, die im bürgerlichen Gerichts- verrfahren als selbstverständlich gilt. Und noch schlimmer steht's mit den unteren Instanzen. Bei den Standgerichten sollen n u r Offiziere mitwirken, von den fünf Richtern des Kriegsgerichts sollen vier Offiziere, von den sieben Richtern der Ober- Kriegsgerichte solle» fünf Offiziere sein.— Wie es um die O e f f e n t l i ch k e i t de? Verfahrens be- stellt sein wird»ach dem Regierungsentwurf, haben wir schon geschildert. Wir wollen nur noch auf die§§ 274 und 275 hinweisen. Nicht nur daß die Oeffeutlichkeit bei„Gefährdung militärdienstlicher Interessen" beliebig ausgeschlossen werden kann, auch bei Verhandlungen, die öffentlich abgehalten werden, dürfen iveder Frauen, noch solche Personen theil- nehmen,„welche sich nicht im Besitze der biirgerlicheu Ehren- rechte befinden oder welche in einer der Würde des Gerichls nicht entsprechenden Weise erscheinen". Daß mit solcher Kautschnckbeslimmnng alles gemacht werden kann, ist klar. Aber auch Militärpersonen haben zu öffentlichen Vcrhand- luugen nur insoweit Zutritt, als sie nicht unter dein Range der Angeklagten und, wenn mehrere Personen verschiedenen militärischen Ranges angeklagt sind, nicht unter dem Range des höchstgestellten Mitangeklagten stehen.— Ferner ist auf den ß 330 aufmerksam zu machen, der jedem ordentlichen Rechtsverfahren Hohn spricht. Der Para- graph sagt: „Hut das Bernfungsgericht»ach dem Ergebnisse der Ver- Handlung die Ueberzeuguug, daß der Angeklagle die Berufung lediglich zur Verschleppung der Sache oder aus Mulhwillen ein- gelegt hat. so kau» es neben der erkannten Strafe gegen Personen des Soldalenstandes Arrest in der im Disziplinarwege zulässige» Art und Dauer, gegen andere Angeklagte Haft bis zu vierzehn Tagen als Ordnungsstrafe verhängen." Wozu will mau erst eine Berufung einführen, um dann die Angeklagten durch solche Bestimmungen einzuschüchtern und von Durchführung ihres Rechts abzuhalten? Auf derselben Stufe steht die Anweisung an die Gerichtsosfiziere, daß sie Gelegenheit nehmen dürfen, dem Angeklagten„von einer gäuz- lich aussichtslose» Berufung" abzurathen ls So ist die ganze Vorlage voll der bedenklichsten Bestim- münzen. Je mehr man sich in das Studium derselben ver- tieft, um so unberührter erscheint sie von„modernen Rechts- anschanungen"!— Das Vercinsrccht in Sachsen . Wie vorausgesagt wurde, benutzen die Konservativen im sächsischen Landtage den Gesetzentwurf der Regierung, durch den das Verbot des In- verbindungtretens politischer Vereine aufgehoben werden soll, zur Förderung ihrer dunklen Reaktionspläne. Sie ivollen den Entwurf der Regierung nicht annehmen, wenn nicht zugleich der Ausschluß von Frauen und Minder- jährigen aus sozialdemokratischen Vereinen und Ver- sammlungen durchgeführt würde. Die sächsische Regierung hat bisher noch keine klare Aus- kunft gegebe», wie sie sich zu diesen Wünschen ihrer konser- vativeu Trabanten stellen will. Sie weiß sehr wohl, daß sie der bekannten Zusage des Reichskanzlers nur dadurch nach- kommen kann, wenn sie jene Mehrheit schlechthin beseitigt. Sie sieht auch selbst keine Nothwendigkeil der konservativen Pläne. Sie möchte auch die Nationalliberalen nicht ärgern, ivelche eine Ausnahmebestimmung gegen die sozial- demokratischen Organisationen nach konservativem Wunsche nicht billigen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß die Nationalliberalen für eine derartige Bestimmung, die gemeinrechtlich auf alle Parteien zutreffen sollte, wohl zu haben sind. Es ist daher noch nicht abzusehen, wie diese neueste Schufterei der sächsischen Konservativen ausgehen wird. Erst hat man dem Volke das Landtags- Wahlrecht ent- rissen. Nun will der auf griind des elendesten mammonistischen Wahlsystems gewählte Landtag die winzigen noch gebliebenen politischen Rechts-Ueberbleibsel beseitigen Gewaltthätig schreitet man über Recht und Moral hinweg. Schamlos will man die Regierung zum Bruch der auch in ihrem Namen dem Reichstag gegebenen Versprechungen des Reichskanzlers treiben. Aber im sächsische» Volke gährt es gewaltig. In großen Protestversammlungen wird gegen die geplante Verschlechterung des Vereins gesetzes, gegen die völlige politische Entrechtung der Frauen und jungen Arbeiter zu Felde gezogen. Scyon hört man in der sächsischen Kammer das Wort:„Es werde Zeit, daß das Volk in Sachsen der Reaktion einmal„wienerisch" komme! Nun, die Verhältnisse in Sachsen sind andere als in Oesterreich . Das sächsische Volk wird über alle in den letzten Jahren an ihm verübten Uebelthaten quittiren, indem es bei der Reichs- tagswahl die Kandidaten der Regierung und der Kartellparteien zu Paaren jagt. So wird die sächsische Reaktion ihren Lohn dahin haben. Ein schweres Grubenunglück ereignete sich gestern Nachmittag in der Sleinkohlen-Grube Franken holz in der Hinterpfalz. In 450 Meter Tiefe, wo 120 Bergleute arbeiteten, traten schlagende Wetter ein. Hilfe war schnell zur Stelle; aus Zweibrücken wurde eine Sanitätskolonne durch Sonderzug zur Stätte des Unglücksfalles befördert. Um 8 Uhr abends waren die Bergungsarbeiten beendet. 37 Bergleute sind getödtet und 41 verwundet; mehrere werden noch vermißt. Au der Unglücksstelle spielten sich ergreifende Szenen ab, eine Mutter hat drei Söhne verloren; die Ver- nilglückten sind meist Familienväter. Ueber die Ursache des Unglücks ist bestimmtes bisher nicht bekannt geworden; man vermuthet, daß die schlagenden Wetter infolge falschen Schusses entstanden sind. Auf dem Schlachtfelde der Arbeit drei Dutzend fleißiger Arbeitsniänner dahingerafft und noch mehr zeitlebens ver- stüminelt und der Arbeitsfähigkeit beraubt! Möge dieses furchtbare Unglück wenigstens ein Memento sein, daß auf dem Wege der Gesetzgebung die Sicherheit des Grubenbetriebes in höherem Maße als bisher leider geschehen, gewährleistet und die Arbeitskraft der jede Stunde ihr Leben auf das Spiel setzenden Grnbenleute geschützt werde. Das bayerische Bergwerksgesetz vom Jahre 1869 ist voll- ständig ungenügend und entspricht in keiner Weise den An- sprüchen, die auch nur vom Standpunkte der heute herrschenden überaus bescheidenen Sozialpolitik gestellt werden müssen. Es wird endlich Zeit, daß hier Wandel geschaffen werde. Es ist ein merkwürdiges Zeichen der Zeit, daß an demselben Tage, als das schwere Grubenunglück bei Zweibrücken sich »itrug, die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages ihren Antrag ans Schaffung eines einheitlichen Reichs- Berggesetzes eingebracht hat.--»» Die Lage in Oesterreich wird trotz des Sturzes des Grafen Badem nicht geklärter; immer schwieriger wird es dem neuen Kabinet, die schwere Aufgabe, die es übernommen, zu erledigen. Nachdem durch den Sturz des Grafen Badem die hochgesteigerte Aufregung in Wien , Graz, Brünn sich gelegt hat, haben sich in Prag Ereignisse vollzogen, die zur Verhängung des Belagerungszustandes geführt haben. Während die Straßenszeuen in Wie» und Graz ihre volle innere, von zahlreichen allem revolutionären Treiben abholden Per- sonen anerkannte Berechtigung hatten, ist die Bewegung in Prag durch keinerlei Handlung oder Unterlassung der Regierung ver- anlaßt und auch sonst fehlt jeder vernünftige Grund. Für die ezcchische Bourgeoisie und ihre Nachläufer mag es ja uu- bequem sein, daß Graf Badeni dem Volkszorne weichen mußte, aber das rechtfertigt nicht die in Prag in den letzten Tagen verüblen Thaten. Der nationale Chau- vinismus, der Mangel an jeder Disziplin der sich an Straßen- krawallen begeisternden Demonstranten hat das„goldene Prag " verwüstet. Plünderung von Läden und Branntwein- schänken, Zerstörungen in Schulen und wissenschaftlichen Instituten, Brandlegungen, Bewerfe» harmloser Deutscher. Große Mengen Militärs zu Fuß und zu Pferde waren aufgeboten. Tie Zahl der Tobten ist noch nicht bekannt, schwer verwundet sind nach der niedrigsten Schätzung 150 Per- sonen. Aehnliche Szenen gegen Deutsche und Inden spielten sich in Pilsen ab. Die Verkündigung des Standrechts in Prag infolge dieser Ereignisse komplizirt die Schwierigkeiten des Ministeriums Gantsch. Die©zechen werden in die schärfste Opposition gegen das neue Kabinet trete». Wahrscheinlich wird zwar hierdurch die Solidarität der bisher fest zusammenhaltenden Rechte» gelockert werden und die Polen werden die Gelegen- heil benutzen, sich wie bisher stets seit dem Bestände konstitu- tioneller Zustände in Oesterreich zu der Regierung zu schlagen, was zur Wiederherstellung der polnisch- deutschen Parlaments- Mehrheit, welche seit 1879 nicht mehr existirte, führen würde. Die Gefahr für das Ministerium liegt nun darin, daß die »ngezechen die von ihnen früher schon erprobten Mittel der bstrnktion anwenden und so die Wiederherstellung geordneter parlamentarischer Zustände, der Bewilligung des Budgets und des Rekrutenkontingents unmöglich machen. Wir sind begierig, wie das Ministerium Gantsch ver« suchen wird, diesen Schwierigkeiten Herr zu werden. » �» Deutsches Reich . — Die marineverzückte„Köln . Ztg." ist zur höheren Ehre des Tirpitz-Desetzes glücklich bei einem deutscheu Dichter au- gelaugt, a» de» sonst ein wahrhast patriotischer Man» nur mit Schauder» denkt. Das Organ der Großbourgeoisie am Rhein zitirl in einem Leitartikel ein H e r>v e g h' s ch e s G e d i ch t, das vor gut 50 Jahren geschrieben ist und dessen Strophen Ivie folgt lauten: Erwach', mein Volk, mit neuen Sinnen! Blick' in des Schicksals goldues Buch, Lies aus den Slerueu dir den Spruch: Du sollst die Well gewinnen! Erwach', mein Volk, heiß' deine Töchter spinnen! Wir brauchen wieder einmal deutsches Linnen Zu deutschem Segeltuch. Hinweg die feige Kuechtsgeberde: erbrich der Heimalh Schneckenhaus, ieh muthig in die Welt hinaus, Daß sie dein eigen werde! Du bist der Hirt der großen Völkerherde, Du bist das große Hoffuuugsvolk der Erde, Drum wirf den Anker aus! War Hellas einst von besserem Stamme Als du? von bessrem Stamme Rom? Daß Hermann, dein gepries'ner Ohm, Mein Volk, dich nicht verdamme: tiuaus ins Meer mit Kreuz und Oriflamme! ei mündig und entlaufe deiner Amme, Wie seinem Quell dein Strom! In der Form macht es sich sehr hübsch, was Herwegh da im dunkeln Drange gedichtet hat. Es muß nur dazu bemerkt werden, daß die Eiserne Lerche gar bald von ihren jugendliche» Schwärmereien bekehrt wurde und später in nur zu deutlichen Versen ihrer Meinung über den Militarismus poetischen Ausdruck gegeben hat. Was sagt die„Köln . Ztg." etwa zu folgendem Be- teuutuiß, das der Dichter unter dem Eindruck der„ruhmvollen" Siege von 1870/71 niedergelegt hat: Thöricht zwar ins Herz geschlossen Halt' ich einst ein Ideal, Das zerfetzt nun und zerschossen Liegt im preußischen Spital. Doch was kümmern uns die Wunden, Die der Ruhm der Freiheit schlug, Mag sie, wie sie kau» gesunden, Wir sind groß, das ist genug. Da nun einmal in der„Kölnischen Zeitung " die nüchtern argumentirende» Politiker durch die schwärmenden Politiker erseht worden sind, so sei ihr empfohlen, auch von diesen und einigen noch deutlicheren Versen Herwegh's aus späterer Periode einige Proben au die Spitze ihrer Blätter wiederzugeben. — Marine-Agitation. Die marinebegeisterten Kom- merzienräthe und Großkaufherren beabsichligeu Kundgebungen für die Flolteuvorlage zu veranstalten. Hierzu soll eine Vorberalhung am 8. d. M in Berlin stallfinden. Das wird an dem Schicksal deS Tirpitz- Entwurfes nichts ändern.— — Ueber die Aussichten deS Flottengesetzes schreibt die„Deutsche Tages-Zeitung", die dieser Vorlage gegenüber aus agrarischen Motiven eine kühle Haltung einnimmt: „Daß die Vorlage vom Reichslage in allen ihren Theilen an- genommen werde, daran denkt wohl kein Mensch. Es kommt nur darauf an, ob man sich über einen Mittelweg verständige», oder ob die Mehrheil zur schlanken Ablehnung sich entschließen werde. Dann wird es sich fragen, ob die Regierung mit dem Gebotenen zufrieden sein werde. Nach früheren Erfahrungen dürfte man das annehme». Ob daß aber nach den jetzigen Vorgängen möglich ist. ist mindestens zweifelhaft. So muß denn mit der Auflösung des Reichstages im Anfange des nächsten Jahres tust als mit einer Wahrscheinlichkeit gerechnet werden, und unsere Freunde werden gut daran thun, diese Möglichkeit mit in Rechuuug zu ziehen. Daß die Regierung durch eine Auslösung ihre Stellung jetzt nicht bessert, liegt auf der Hand. "—
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