Nr. 23 der ,, Gleichheit" gelangt am 16. November 1892 zur Ausgabe.

wich sie nicht von der Seite ihres Gatten. Sie theilte dann dessen Gefahren und Beschwerden auf dem schrecklichen Rückzuge, der im größten Sturm und unter tropischen Regengüssen vor sich ging. Ihr kaum drei Monate altes Söhnchen Menotti auf dem Arme tragend, schlug sie sich tapfer mit den Truppen durch den Urwald de las Antas, und ihr Beispiel ebenso wie ihr freundlicher, tröstlicher Zu­spruch flößte den Soldaten neuen Muth ein.

1848 machte auch Italien   heldenhafte Anstrengungen, die lastende Tyrannei abzuschütteln. Garibaldi   war überzeugt, daß das Vaterland seiner bedürfe, und so schiffte er sich mit Anita auf der " Speranza"( Hoffnung) ein und fehrte nach 14 jähriger Verbannung in die Heimath zurück. Raum angekommen organisirte er die be­rühmte Legion von Freischüßen, durch welche er in Tyrol und Ober­ italien   den Feldzug wirksam unterstützte, den Carl Albert von Sar­Trozz dinien behufs Vertreibung der Desterreicher unternommen. alles Heldenmuths und Opfersinns der Kämpfenden und der gesammten oberitalienischen Bevölkerung konnte die Lombardei   nicht dem öster­reichischen Adler aus den Klauen gerissen werden. Nach der Ueber­gabe von Mailand   mußte auch Garibaldi   die Waffen niederlegen.

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Anita war ihm auf seinen gefahrenreichen Kreuz- und Quer­zügen in Wälschtyrol und an den oberitalienischen Seen eine treue, energische Kampfesgenossin gewesen. Sie hatte in mancher stürmischen Nacht Wache gestanden, in manchem heißen Treffen tapfer gestritten. Nun begleitete sie ihren Gatten zu neuen Kämpfen in den Kirchen­ staat   und nach Rom  , wo der Papst geflohen und die Republik   erklärt worden war. Garibaldi   ward die schwierige, aber ehrenvolle Auf­gabe zu Theil, den jungen Freistaat gegen die vereinigten Angriffe neapolitanischer, päpstlicher und französischer Truppen zu vertheidigen. Er schlug sein Hauptquartier zunächst in Rieti   auf, wo Anita als Hauptmann fungirte und glänzende Beweise ihrer Tapferkeit und ihres Muthes ablegte. Auch in Rom  , auf dessen Vertheidigung bald alle Kräfte konzentrirt werden mußten, kämpfte die kühne Frau tapfer mit. Es erfüllte sie mit der höchsten Genugthuung, daß ihr Gatte im römischen Parlament mit aller Entschiedenheit für die Idee eintrat, welche ihr selbst über Alles theuer war, für die Idee einer ganz Italien   umfassenden demokratischen Republik  . Es machte sie stolz und glücklich, daß er es war, welcher Rom  , das jedes Widerstands unfähig erachtet wurde, dreißig Tage lang gegen die Uebermacht der feind­lichen Truppen vertheidigte. Im Juli 1849 war jeder weitere Wider­stand unmöglich geworden. Unter märchenhaft klingenden Abenteuern und Gefahren schlug sich Garibaldi   mit dem ihm noch gebliebenen Häuflein Freischärler durch die feindlichen Truppen durch, wobei seine Frau Adjutantendienste that. Das Ziel des Rückzugs, Venedig  , ward nicht erreicht, weil die Desterreicher bei der Punta Maestra den Weg verlegten. Die furchtbaren Aufregungen und Strapazen, welche Anita seit Jahren mit dem Gatten ausgesetzt gewesen, hatten allmälig die früher robuste Gesundheit der heldenhaften Frau untergraben, und eine zu frühe Niederkunft raubte ihr die letzte Kraft. Als Garibaldi  als Fischer verkleidet vor den österreichischen Verfolgern flüchtete und in dem Meierhofe des Marchese Guiccioli in der Pineta von Ravenna  eine Zufluchtsstätte fand, hielt er eine Sterbende im Arm. Keine Klage kam über die Lippen der Heldin, keine Verzweiflung bemächtigte sich ihres starken Geistes, sie war nur von einem Gedanken erfüllt: Garibaldi   gerettet und der Sache der Freiheit erhalten zu sehen. Indeß dieser von den größten Anstrengungen ermattet in tiefen Schlaf ge­funken war, umzingelten die Desterreicher unverhofft die Meierei und nur wie durch ein Wunder gelang es Garibaldi   aus der einen Thür zu entfliehen, während seine Verfolger durch eine andere ins Haus eindrangen. In dem nämlichen Augenblick that Anita ihren letzten Athemzug.

Der Pächter mußte aus seinem Heim einen nur zu laut redenden Beweis von Garibaldi's   Aufenthalt daselbst entfernen; ferner wollte er die noch nicht erkaltete Leiche vor den Beschimpfungen der rohen Soldateska bewahren. Er ließ deshalb die Verstorbene so eilig in den sandigen Boden des Pinienwaldes verscharren, daß später Nie­mand ihr Grab wieder finden konnte. Nur in Folge eines Zufalls ward dasselbe eines Tages dennoch entdeckt.

Mehrere Monate nach Garibaldi's Flucht durch die Pineta fiel es einem der Knechte der Meierei auf, wie ein Schwein in einiger Entfernung vom Pächterhause beharrlich den Sand aufwählte. Er begab sich an die Stelle und fand, daß das Thier bereits die Rechte der nicht tief genug begrabenen Anita abgefressen hatte und auf dem besten Wege war, die ganze Leiche aus dem Boden zu zerren. Man bestattete dieselbe nun provisorisch in einer einsamen Kapelle zwischen Ravenna   und Sant Alberto, von wo der Sarg bald darauf, Garibaldi's Wunsch entsprechend, nach Nizza   gebracht und auf der Anhöhe des " Château" beigesetzt wurde.

Was Anita Garibaldi   gewesen, welch tiefes Verständniß sie für all seine freiheitlichen Bestrebungen besessen, wie glücklich sie seine Natur ergänzte, wie begeistert ihr Herz für die höchsten Ideale der Menschheit schlug, wie unverzagt sie stets und unter allen Umständen für dieselben eintrat, unbekümmert um ihr eigenes Wohl und Glück, das erfährt man deutlich aus Garibaldi's   Memoiren, sowie aus seinem Roman Cantoni." In der Gestalt von Ida," welche in Männer­Kleidung den Kolonnen des Geliebten folgt und im Kampfe für die Freiheit Roms fällt, hat er der treuen Genossin seiner ersten glor­reichen Kämpfe für Italiens   Freiheit ein schönes Denkmal gesetzt.

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Anita war es nicht vergönnt zu erleben, wie Garibaldi   durch weitere glänzende Waffenthaten dazu beitrug, das Joch der Fremd­herrschaft zu zertrümmern, die Throne grausamer und blutsaugerischer Fürsten zu stürzen und Italien   zu einigen. Zu früh war sie dahin­gegangen, um Theil zu nehmen an den Siegen über die Desterreicher, an der sagenhaft kühnen Landung ihres Helden und seiner Tausend bei Marsala, an der Eroberung von Sizilien   und Neapel  . Sie war nicht Zeuge der an Raserei grenzenden Begeisterung, mit welcher die Voltsmassen Garibaldi   als Retter aus Knechtschaft und Noth feierten.

Dafür aber war sie auch vor der herben Enttäuschung bewahrt, welche das Schicksal dem Manne nicht ersparte, der Königreiche ver­schenkte und trotz der Vergötterung, welche er erfuhr, von sprichwört­licher Bescheidenheit, Einfachheit und Selbstlosigkeit blieb. Anita lernte nicht ein einiges, aber dennoch unfreies und versklavtes Italien  kennen, unfrei und versklavt durch neue Herren, welche an Stelle der alten Tyrannen getreten sind. Was diese neue Herrschaft, die Herr­schaft der Bourgeoisie, des Kapitals an Verknechtung und Verelendung der Masse zu leisten vermag, davon zeugen die Gestalten der halb­verhungerten, halbverthierten Bauern und Bäuerinnen von Apulien  und Calabrien  , die abgezehrten, siechen Arbeiter und Arbeiterinnen der Schwefelgruben, die bleichen, hohläugigen Lohnsklaven und Lohn­sflavinnen der großen Spinnereien und Webereien Norditaliens  , die abgerackerten Arbeiterinnen der großen Reisfelder. Wem nimmt es da Wunder, daß auch in Italien   die Getretenen und Ausgebeuteten eingetreten sind in den Kampf, der auf der ganzen Linie zwischen Bourgeoisie und Proletariat entbrannt ist? Wem nimmt es da Wunder, daß in dem Heer der Streiter für ein wirklich freies Italien  auch die Frauen nicht fehlen, welche der edlen Anita gleich zu jedem Opfer, zu jeder Heldenthat, aber auch zum Märtyrerthum bereit sind? Heute ist allerdings ihre Zahl noch klein, aber morgen schon wird sie sich auf Tausende und Zehntausende beziffern, dafür sorgen die unendlichen und unsäglichen Leiden, welche die Klassenlage des Prole­tariats mit sich bringt.

Kleine Nachrichten.

Ueberfluß und Elend. In Wien   stehen, wie es heißt, 8000 Wohnungen leer. Alle Möbelmagazine sind vollgepfropft, die Schuh­und Kleidermagazine desgleichen. Vor der Marrerlinie steht eine Elendsbaracke und in ihr wurden bei einer Revision gefunden: auf dem Dachboden 14 zerlumpte Männer, welche auf dem nackten Boden schliefen; in einer kleinen Kammer ohne Fenster, blos mit einer Dachlucke versehen, 9 Männer auf von Schmutz und Ungeziefer strozenden Holzpritschen; im Stalle, in Lumpen gehüllt, eine Familie. Wir leben in der besten und vernünftigsten aller Welten, und wer es nicht glaubt, zahlt einen Thaler.

In Paris   sind bereits in zwei Postbureaus Frauen als Be­amte angestellt. Demnächst soll in noch zwei weiteren Bureaus ein weiblicher Beamtenstab eingeführt werden. Daß die Frauen Männer aus ihren Plätzen verdrängen und schlechter bezahlt werden als diese, versteht sich am Rande. Die französische bürgerliche Republik   braucht solche Riesensummen für kulturfeindliche Militärzwecke, daß sie an den Gehältern der unteren Beamten beileibe nicht derjenigen der oberen sparen muß. Ganz wie bei uns.

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Nach einem Bericht des englischen Handelsministeriums beläuft sich der Arbeitsertrag der Arbeiter der drei vereinigten Königreiche ( England, Schottland  , Irland) auf 33 Milliarden 750 Millionen Franken. Von diesem Arbeitsertrag erhalten aber die Arbeitsbienen als Lohn nur die Summe von 8 Milliarden 750 Millionen Franken. Den Löwenantheil, 25 Milliarden, säckeln die Nichtarbeitenden, die gesellschaftlichen Drohnen ein. Wenn man nun auch von den 25 Milliarden weitere 8 abzieht, als Lohn der geistigen Arbeit( für Geschäftsführer, Ingenieure, Reisende, Erfinder 2c.), so bleiben doch noch 17 Milliarden für das Kapital, d. h. den bloßen Besitz der Pro­duktionsmittel. Die Arbeit mit der Kouponscheere ist die einträglichste aller Arbeiten, das Einstreichen des kapitalistischen Entbehrungslohns" das einzige wirklich rentable Geschäft.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart  . Druck und Verlag von J. H. W. Dieg in Stuttgart  .