Nr. 24 der ,, Gleichheit" gelangt am 30. November 1892 zur Ausgabe.
ihrer Kinder und fand volle Befriedigung in dieser Thätigkeit, bei welcher ihr die erworbenen Kenntnisse ungemein zu statten kamen. Ihr Sohn hatte ihre geistige Begabung ererbt, ihm übertrug sie auch ihr reiches Wissen, und mit Freude und Stolz erwartete sie die Erfüllung der Hoffnungen, die sie auf ihn gesetzt hatte. Doch das Schicksal erwies sich gegen Dorothea besonders hart und unerbittlich. Tiefer als alles Andere was sie hätte treffen können, traf sie der Tod ihrer geliebten ältesten Tochter und bald darauf der ihres einzigen Sohnes. Dieser hatte eben eine sichere Anstellung erhalten und starb, viele Hoffnungen mit ins Grab nehmend, im Alter von 24 Jahren. Dorothea konnte diese Schicksalsschläge nicht verwinden; sie erkrankte unter dem Uebermaß des Leides, das sie getroffen hatte. Rodde, der um die Gattin sehr besorgt war, setzte Alles daran, das Geld zu einer Reise nach dem südlichen Frankreich aufzubringen, zu welcher der Arzt dringend rieth. Auch die jüngste Tochter war leidend und machte der kranken Mutter viele Sorge. Ein länger dauernder Aufenthalt im Süden besserte das Befinden beider. Dorothea hatte noch die Freude, die Tochter in Kraft und Lebenslust erblüht zu sehen, als sie selber der Tod unerwartet auf der Rückreise, im Jahre 1825, ereilte.
Doktor Dorothea Schlözer hat sich nicht durch Werke der Wissenschaft unsterblich gemacht, allein das Vermächtniß ihres Lebens ist vielleicht ebenso werthvoll, wenn nicht werthvoller, wie mancher dickleibige Band voll zopfiger, todter Gelehrsamkeit. Sie hat durch ihr ganzes Leben dargethan, daß die wissenschaftliche Bildung und Bethätigung den weiblichen Geist wie den männlichen veredelt; sie tritt uns als ein Charakter stiller Größe, edler Lebensführung und treuer Pflichterfüllung entgegen. Verstandesthätigkeit mache das Herz der Frau arm, hört man oft sagen; sie macht es größer und reicher, das Beispiel Dorothea Schlözer's kann es uns lehren. L. W.-K.
Noth.
All' Euer girrendes Herzeleid Thut lange nicht so weh, Als Winterkälte im dünnen Kleid, Die bloßen Füße im Schnee.
All' Eure romantische Seelennoth Schafft nicht so herbe Pein, Wie ohne Dach und ohne Brot Sich betten auf einem Stein. Ada Christen .
Kleine Nachrichten.
Eine Berliner Pelzkonfektions- Firma zahlte einer Arbeiterin monatlich fünfzehn Mark Gehalt, sage und schreibe fünfzehn Mart. So werden Millionäre gezüchtet und Prostituirte.
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In Deutschland ist nach Vollmar's Ausspruch das Schnapsfaufen gemein, das Schnapsbrennen dagegen edel und aristokratisch. In England ist offenbar nach berühmten Mustern auch schon das Schnapstrinken geadelt und hoffähig geworden, denn die blaublütige Damenwelt, welche bei dem bloßen Wort„ Hose" von einer Gänsehaut sittlicher Entrüstung überlaufen wird, stellt eine nette Anzahl zu den Gewohnheitstrinkern. In einer der letzten Sizungen des Church Rongreß hielt Lady Frederik Cavendish einen Vortrag über die Trunksucht des weiblichen Geschlechts in den aristokratischen Klassen der englischen Gesellschaft. Die Rednerin führte aus, wie viele vornehme Damen durch die Gewohnheit, etwas Erwärmendes" zu sich zu nehmen, sowie durch die Sitte, zur„ Erregung des Appetits" vor dem Essen einen Liqueur zu trinken und endlich durch die Vermischung des Thees mit einigen Tropfen Rum" beim delirium tremens, dem Säuferwahnsinn, angekommen sind. Auch der Gebrauch von Opium, Morphium, Chlorat und anderer Reizmittel richtet unter den vornehmen und reichen Engländerinnen furchtbare Verheerungen an. Die Rednerin beantragte die Gründung besonderer Mäßigkeitsvereine für die Frauen und Töchter der besseren Stände. Ein netter Beleg zu der„ Gesittung und Kultur" der besitzenden Klassen an der Wende unseres Jahrhunderts und unserer Gesellschaftszustände.
Nach der„ Bourse du Travail"( Arbeitsbörse) sind in Italien von elf Millionen Frauen zwei Millionen in der Industrie und drei Millionen beim Ackerbau beschäftigt. In den Seidenspinnereien sind 117 000 Frauen und nur 17 000 Männer thätig. Daß die Löhne der Frauen miserable sind, versteht sich am Rande. Die Lohn- und Erwerbsverhältnisse der männlichen Proletarier Italiens sind ja derart jämmerliche, daß jährlich Hunderttausende dem Vaterland den Rücken kehren, um in Deutschland , Desterreich und Frankreich die Rolle von lohndrückenden Kulis zu spielen oder auch, um jenseits des Ozeans eine neue Heimath zu suchen. Die italienischen Schlotbarone und Großgrundbesitzer verstehen die Ausbeutung proletarischer Arbeitskraft ebenso aus dem ff, wie ihre Herren Vettern von Geldsacksgnaden in anderen Ländern. So verwenden sie die billige und verbilligende
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weibliche Arbeitskraft wo immer die maschinelle Entwicklung dies möglich macht, so löschen sie das Feuer des proletarischen Herdes und zertrümmern sie die gegenwärtige Form der Familie, um dann mit dem Brustton der satten Tugend und zahlungsfähigen Moral zu deklamiren über das gelockerte Familienleben der Arbeiter und die in Vernachlässigung und Verrohung heranwachsende proletarische Jugend.
In Paris funktioniren jetzt auf dem Boulevard Saint- Germain und dem Börsenplatz zwei automatische Warmbrunnen. Aeußerlich stellen sich dieselben als eiserne Ständer mit Ausflußrohr und einem fleinen Spalt dar. In diesen wird ein tupfernes Fünfcentimesstück geworfen, worauf binnen einer Minute ein Eimer 8 Liter 65 Grad warmes Wasser ausfließt. Das innere Triebwerk ist sehr sinnreich und wird durch das einfallende Geldstück in Bewegung gesetzt. Ein stets brennendes winziges Flämmchen entzündet eine Reihe Flammen, welche unmittelbar auf die gewundenen kupfernen Röhren wirken, in welchen sich das Wasser befindet. Dasselbe erwärmt sich schnell und fließt dann aus, worauf die Flammen erlöschen und das ganze Triebwerk stillsteht. Ist dasselbe durch wiederholtes Einwerfen der Geldstücke andauernd in Thätigkeit, dann erhöht sich, Dank der Ansammlung derselben, die Wärme des Wassers bis 70 Grad und darüber. Das Triebwerk ist von einer zweifachen Blechhülle umgeben, deren Zwischenraum mit Kohlenstaub gefüllt ist. Der Kohlenstaub, als schlechter Wärmeleiter, verhindert sowohl das Ausströmen der Wärme, als das Eindringen der Kälte. Zu jeder Stunde des Tages und der Nacht liefert daher der Warmbrunnen das gewünschte warme Wasser. Die beiden ersten Warmbrunnen haben großen, sich täglich mehrenden Zuspruch. Der Erfinder, Robin, will vor der Hand hundert dieser Warmbrunnen aufstellen, welche jetzt angefertigt werden. Die Halteplätze der Droschken und Omnibusse sollen besonders berücksichtigt werden. Ein Kutscher muß jetzt 15 Centimes für das Wasser der Wärmflasche seines Wagens bezahlen, während der Warmbrunnen ihm dessen im Ueberfluß für 5 Centimes liefern wird. Jetzt sind es, außer Hausfrauen, besonders Schankwirthe und gewisse kleine Gewerbtreibende, welche dem Warmbrunnen ihren Bedarf an warmem Wasser entnehmen. So wird durch neue Erfindungen die Haushaltungsarbeit mehr und mehr vereinfacht, so wird die Frau frei, ihre Arbeitskraft auf anderen Gebieten als in Küche und Haus zu bethätigen.
Die nationale Assoziation für Frauenstimmrecht in Amerika hielt am 21. September eine Konvention( Kongreß) zu Washington ab, die von 55 Delegirten aus den verschiedensten Staaten besucht war. Die Konvention ernannte als Kandidatin für die bevorstehende Präsidentschaftswahl Frau Victoria Woodhull Martin von New York , als Kandidatin für die Stelle eines Vizepräsidenten Frau Mary 2. Stow von Kalifornien . Die Konvention forderte, daß die Wahlbeamten jeden Wahlkreises der Vereinigten Staaten den Frauen bei den kommenden Wahlen Gelegenheit geben, ihre Stimmen für die obigen Kandidatinnen abzugeben. Die Mitglieder der Konvention verpflichteten sich dagegen, ihren Einfluß geltend zu machen zur Unterdrückung von Anarchie, Verbrechen, Jrrsinn und Trunkenheit. In dem Bericht, dem wir diese Nachricht entnehmen, fehlt jeder Anhaltspunkt darüber, was sich die Konvention unter" Anarchie" vorstellt. Ein großer Theil der amerikanischen Geldsackpresse bezeichnet mit dem Worte ,, Anarchie" den Sozialismus und alle freiheitlichen Bestrebungen der Arbeiterklasse. Es würde uns nicht überraschen, wenn die Mitglieder der Konvention die gleiche Auffassung des Wortes hätten, denn die Mehrzahl der amerikanischen Frauenrechtlerinnen sind eingefleischte, furzsichtige, engherzige Anhängerinnen und Anbeterinnen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Ueberhaupt ist das auf gestellte Programm so waschlappig und nichtssagend, daß es seine Verfasserinnen schärfer kritisirt, als lange Worte zu thun vermöchten.
Die Kammer von Neuseeland ( Australien ) hat einen Gesetzentwurf angenommen, welcher den Frauen das Wahlrecht zu den gesetzgebenden Körperschaften ertheilt. Zum dritten Male hat sich damit das Parlament des Landes zu Gunsten der politischen Rechte des weiblichen Geschlechtes entschieden. Zum ersten Male wurde ein diesbezüglicher Antrag von Sir J. Hall eingebracht und am 5. August 1890 auch angenommen. Der Legislativrath, eine Art Oberhaus oder Senat, dessen Mitglieder von der englischen Krone ernannt werden, weigerte sich jedoch, das Votum zu billigen. Der nämliche Antrag ward darauf 1891 mit dem nämlichen Schicksal eingebracht. Zum dritten Male gelangte er in der diesjährigen Session des Parlaments zur Abstimmung, ward von diesem angenommen und diesmal auch seitens des Legislativrathes gutgeheißen. Damit sind die Frauen des Landes, welche der besitzenden Klasse angehören, gesellschaftlich frei geworden, die große Mehrzahl der Frauen hat jedoch nur die Waffe erhalten, deren sie sich bedienen muß, um ihre Befreiung zu erkämpfen.
Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Eißner) in Stuttgart . Drud und Verlag von J. H. W. Dieg in Stuttgart .
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