"

-

Kempin der Frau die produktive Thätigkeit abspricht, und ob der nicht weniger verblüffenden Kühnheit, mit welcher sie unterstellt, daß die Frau öffentlich- rechtlich entmündigt sei, weil sie keine produktive Thätigkeit leiste. Wo bist du Land so wunderschön," fragen wir mit dem Dichter, wo eine produktive Thätigkeit unbedingt den Besitz und vor Allem den freien, vollen Gebrauch der öffentlichen Rechte sichert, und umgekehrt, wo dem Nichtproduktiven der Besitz der öffentlichen Rechte vorenthalten bleibt? In Frankreich , Deutsch­Yand 2c. besitzt die Klasse der Kapitalisten alle öffentlichen Rechte, sie vermag dieselben in ausgiebigſter Weise auszunüßen. Und doch ist die Zahl der Kapitalisten beträchtlich, deren einzige Be­schäftigung darin besteht, die Kouponscheere zu handhaben und die nicht selbst erarbeiteten Reichthümer zu verlottern. Der Klasse der Proletarier jener Länder ist dagegen wohl auf dem Papier der Besitz der öffentlichen Rechte zuerkannt, in Wirklichkeit vermögen sie diese Rechte oft nicht zu bethätigen. Und doch sind die Proletarier produttiv thätig. Noch klarer sind die Verhältnisse z. B. in Desterreich. Der reiche Troddel, dessen Thun sich darauf beschränkt, das Menschen­thum durch das Gigerinthum zur Karrikatur zu machen, er ist im Vollgenuß aller öffentlichen Rechte. Dem österreichischen Arbeiter dagegen, der sich mit produktiver Arbeit zu Tode schindet, ist sogar der papierne Besitz der politischen Rechte versagt.

Im Gegensatz zu Frau Kempin können wir also sagen, ob= gleich die große Masse der Frauen produktiv thätig ist, ist das weibliche Geschlecht doch in öffentlich- rechtlicher Beziehung entmündigt. Sie befindet sich in der Hinsicht in der nämlichen Lage, in der sich der deutsche und französische Prole­tarier befunden hat, ehe er der Bourgeoisie das allgemeine Wahl­recht abtroßte; sie befindet sich in der nämlichen Lage wie das Proletariat in Belgien , Desterreich 2c. Die politische Rechtlosigkeit bes weiblichen Geschlechts hat übrigens den nämlichen Grund, wie die der Proletarier jener Länder: die wirthschaftliche Abhängigkeit, welche aus den herrschenden Eigenthumsverhältnissen folgt.

Wollten

Die Konsequenz, mit welcher Frau Kempin der Erörterung der wahren Ursachen der Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts aus dem Wege gegangen, ist charakteristisch für die Mehrzahl der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen überhaupt. Diese suchen den Hasen nie in dem Pfeffer, in dem er begraben liegt. sie dies thun, fie müßten die Ursache der rechtlosen Stellung der Frau in den Eigenthumsverhältnissen und den auf diesen gegründeten wirthschaftlich sozialen Zuständen finden. Damit müßten sie logischer Weise zu der Schlußfolgerung gelangen, daß nur mit Beseitigung der heutigen Eigenthums- und Wirthschaftsverhältnisse die Be­freiung des weiblichen Geschlechts erfolgen fönne; sie müßten die innige Verquickung von sozialer Frage und sogenannter Frauen­frage erkennen und einsehen, daß die Befreiung der großen Masse der Frauen mit der Befreiung des Proletariats zusammenfällt. Aber gegen diese Erkenntniß und Schlußfolgerung fträubt sich ihr Klasseninteresse, ihr Klasseninstinkt, ihre Befangenheit in bürger­lichen Anschauungen. Seitens der deutschen Frauenrechtlerinnen sträubt sich noch dagegen der finderfromme, reichstreue Unter­thanenverstand. Unsere Lina Morgenstern und Comp. entfalten die energischste Thätigkeit, wenn es sich darum handelt, die aller­höchste Protektion" einer allerhöchsten" Persönlichkeit zu erbetteln.

In einem folgenden Artikel werden wir zeigen, daß Frau Kembin in Betreff der Mittel zur Emanzipation des weiblichen Geschlechts die nämliche Schiefheit und Halbheit der Auffassung zeigt, welche sie im Betreff der Ursachen von dessen sozialer Ent­mündigung bekundet. Halbheit, dein Name ist bürgerliche Frauen­rechtelei!

Arbeiterinnen- Bewegung.

Zur Kenntnißnahme unserer Leserinnen.

"

Mit der heutigen Nummer der Gleichheit" führen wir eine Veränderung in der Berichterstattung über die Arbeiterinnen­bewegung" ein.

In dem Maße, als auch die Frau des Proletariats Schulter an Schulter mit dem Manne für die Befreiung ihrer Klasse kämpft damit auch für ihre eigene Befreiung mehrt sich die Zahl der öffentlichen und Vereinsversammlungen, an denen Frauen theilnehmen,

203

wächst die Zahl der Organisationen, denen Frauen sich anschließen oder die aus Frauen bestehen.

Die Gleichheit" erachtet es für ihre Pflicht, möglichst einen Ueberblick über die Gesammtheit der deutschen Arbeiterinnenbewegung zu geben, um zu zeigen, wie auf der ganzen Linie gestritten wird, um durch das Beispiel der entfalteten Thätigkeit zu neuem Schaffen, frischem Muth, größerer Energie anzuspornen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, faßte sie schon bisher die einzelnen Berichte so kurz als möglich, beschränkte sie sich auf eine mehr als summarische Wiedergabe des Inhalts der gehaltenen Referate. Trotz alledem füllte die ,, Arbeiterinnenbewegung" Spalte auf Spalte. Bei dem 14tägigen Erscheinen und dem knapp bemessenen Umfang der Gleichheit" konnte der ausgedehnten Arbeiterinnenbewegung" halber mancher Artikel nicht erscheinen, als er gerade zeitgemäß war, mußte manche Arbeit, manche Mittheilung auf den St. Nimmerlein zurückgestellt worden. Es erscheint deshalb geradezu nothwendig, den Bericht über die Arbeiterinnenbewegung" noch mehr als bisher zu kürzen, ihn sozu­sagen zu einem bloßen statistischen Ueberblick über dieselbe zu ge­stalten, mit Angabe des Orts einer Versammlung, des behandelten Themas und des Namens des Referenten. Unserer Ansicht nach werden die Leserinnen dadurch nichts verlieren, vielmehr nur gewinnen.

"

Die bisherige Wiedergabe des Inhalts der Referate mußte so gedrängt sein, daß sie wohl Anregung, nicht aber Klarheit über die behandelten Fragen geben konnte. Dazu kam, daß die nämlichen Fragen oft in einer ganzen Reihe von Versammlungen erörtert wurden, so daß eine eintönige Wiederholung ein und der nämlichen Dar­legungen eintrat.

In Zukunft werden im Vereins- und Versammlungsleben neu auftauchende oder besonders wichtige Fragen offenbar mit mehr Nutzen für die Leserinnen- in Artikeln behandelt werden. Referenten, welche solche Fragen in Anregung gebracht haben, mögen also ihre Arbeiten an die Redaktion der Gleichheit" einsenden. Sobald diese sie inhaltlich geeignet findet, wird sie sich ihre Veröffentlichung an= gelegen sein lassen.

-

Die üblichen uns übermittelten Berichte können sofern nichts Besonderes vorliegtso kurz gefaßt sein, daß sie bequem auf einer Postkarte Platz finden. Erwünscht wäre, wenn die Arbeiterinnen­und Frauenvereine alle 3-6 Monate Bericht einsenden wollten über Stand und Entwicklung der betreffenden Organisation, mit Angaben darüber, ob die Mitgliederzahl zu- oder abgenommen, ob die Ver­sammlungen gut besucht, die Beiträge pünktlich entrichtet werden, über die Zahl der vom Verein veranstalteten öffentlichen und Mitglieder­versammlungen, über die in Angriff genommenen und gelösten prak­tischen Aufgaben, Erhebungen über Fabrikordnungen, Arbeits- und Lebensverhältnisse der Arbeiterinnen 2c. 2c.

Die Organisationen sollten in einem ganz anderen Umfange, als es bisher geschehen, ihre Thätigkeit auch derartigen Aufgaben zu­wenden und mit dem gewonnenen thatsächlichen Material die Gleich­heit" unterstützen. Sie würden dadurch die Agitation durch Wort

und Schrift kräftig fördern.

Der durch die Neuerung gewonnene Raum wird dazu benutzt werden, mehr als bisher über Streiks und Lohnbewegungen zc. der Arbeiterinnen zu berichten; ferner um ab und zu politische Vorgänge zu erörtern, welche von besonderem Interesse für die proletarische Frauenwelt sind; auch Artikel vermischten Inhalts können in Zukunft öfter als bisher Aufnahme finden. Wir hoffen, daß sich die Leserinnen schnell mit der Neuerung befreunden werden. Die Redaktion.

In der Zeit vom 12. November bis 3. Dezember fanden öffentliche und in der Mehrzahl gut besuchte Versammlungen statt in: Berlin , vom Lese- und Diskutirklub Gesundbrunnen " einberufene Versammlung für Männer und Frauen: Der Sozialismus als Pro­dukt der geschichtlichen Entwicklung"( Genosse Hoffmann). Leipzig , öffentliche Versammlung aller im Vergoldergewerk beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Thätigkeits- und Rassenbericht"( Genosse Wernicke). Berlin , öffentliche Versammlung der in der Filzschuhbranche beschäf= tigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Aermsten der Armen, oder der fünfte Stand"( Genosse Menzel). Flensburg , Volksversamm­lung: Die neue Militärvorlage"( Genosse Fischer). Bernburg , öffentliche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen: Die Arbeitsverhältnisse im Schneidergewerbe und der Werth der Organi­sation"( Genosse Blasche- Halle). Rummelsburg , öffentliche Ver sammlung: Der Aberglauben"( Genossin Rohrlack). Frankfurt , öffentliche Versammlung der Schneider und Schneiderinnen: Die heutigen Zustände im Schneidergewerbe, deren Ursachen und Besei­tigung"( Genosse Zwerger). Berlin , öffentliche Versammlung aller in der Schuhindustrie beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Stand