Es war nicht der tugendhafte, aber beschränkte und pedantische Roland, welcher die glänzendsten Geister der Gironde in die kleine, bescheidene Wohnung der Rue Guénégaud zog. Es war seine bedeutende Frau, welche durch Geist und Charakter auch den hervorragendsten Zeitgenossen imponirte und bald Siz und Stimme in den Parteiberathungen der Gironde erhielt. Anfangs hatte Madame Roland stillschweigend mit Abschreiben oder einer Handarbeit beschäftigt- den Zusammenkünften der Männer beigewohnt. Nach ihrer eigenen Aussage biß sie sich oft die Lippen blutig, um ihre Ansichten zurückzuhalten angesichts des Zögerns und Schwankens, der Energielofig= keit der Freunde und Parteigenossen ihres Mannes. Allmälig trat sie aus ihrer Zurückhaltung heraus, ihre Meinung wurde bald nicht blos geschätzt, in den meisten Fällen ward sie ausschlaggebend. Die Führer der Gironde schöpften aus dem Verkehr mit der glänzenden Frau Muth und Anregung. An den Flammen der eigenen Begeisterung entfachte sie den schwindenden Enthusiasmus matt werdender Kämpfer stets aufs Neue, sie flößte den Gesinnungsgenossen ihre Energie ein, ihren felfenfesten Glauben an das erträumte Jdeal, sie zeichnete ihnen vielfach die Wege vor, auf denen sie vorwärts schreiten sollten. Aus einer Parteigängerin der Gironde ward Madame Ro land zur Beratherin, zur Seele der Partei. Als der Einfluß der Gironde so stark geworden war, daß Ludwig XVI. in der Zeit nach seinem verunglückten Fluchtversuch sich gezwungen sah, drei girondistische Minister zu wählen, wurde Roland mit dem Ministerium des Innern betraut. Wenn ihn seine Partei auf diesen einflußreichen Posten vorschob, so war dafür Roland's Kenntniß der wirthschaftlichen Verhältnisse des Landes, seine Erfahrung in Finanz- und Verwaltungsfragen nicht mehr maßgebend, als der Hinblick auf die scharf blickende, energische, als Geist und Charakter gleich bedeutende Frau, welche an seiner Seite stand und an all seinen Arbeiten Theil nahm. ( Schluß folgt.)
Hausindustrielle Höllen.
I.
M. Kt. Wie jämmerlich es in dem von kapitalistischen Soldschreibern so hoch gepriesenen Zeitalter der Sozialreform" bis zur Stunde um den Schutz von Hunderttausenden armer, unermüdlich schaffender Proletarier vor der Ausbeutungswuth der Kapitalisten bestellt ist, das tritt uns lebendig vor Augen, wenn wir uns mit dem Geschick der in der Hausindustrie thätigen Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigen. Nahezu 99 Prozent aller hausindustriellen Betriebe sind wahre Höllen auf Erden, wo die armen Seelen der Heimarbeiter zur füllt war mit den nämlichen schwankenden, gespensterhaften Gestalten. Hassan schaute nach rechts und nach links, er blickte nach rückwärts, er schaute nach allen Weltgegenden, und auf allen Seiten und überall huschten die dunklen Gestalten hin und her, bewegten sie sich in dichten Schwärmen, und es schien, als ob des Raumes kein Ende, keine Grenze wäre.
„ Das ist mein Reich! Das ist der große Ozean des menschlichen Leids", sprach der Engel des Leids, und sie ließen sich unbemerkt zu diesem Meer hinab, und das dumpfe Brausen, das aus der Ferne geklungen, verwandelte sich in unbeschreibliches, betäubendes Stöhnen, Jammern und Klagen.
Und Hassan sah, wie Väter ihre Kinder tödteten, weil sie nicht sehen wollten, wie diese vor ihren Augen Hungers starben. Er sah, wie Mütter in ihren Armen die verstümmelten, blutüberströmten Leichen der eigenen Töchter trugen. Er sah die verzweifelten, erloschenen Blicke dieser Mütter, welche wahnsinnig waren von dem Schmerz, der auf ihnen laſtete.
-
Er sah, wie Menschen miteinander stritten und einander erschlugen wegen einer Scholle Land, wegen eines Bissens Brot. Er sah, wie Menschen Erde aßen, um nicht Hungers zu sterben und dennoch Hungers starben. Er hörte von allen Seiten das Klirren der Ketten und sah, wie die gespenstigen Gestalten stöhnten und zitterten unter ihrer Last und sie doch nicht abschütteln konnten.
Der Wind aber brauste über die Menschenmenge und übertönte ihr Jammergeschrei und heulte, ächzte, pfiff das traurige Lied: ,, Menschliches Leid, o schreckliches Leid!
Du fluthest und wogst, wie das Meer so weit. Weshalb doch der Welt dies unendliche Leiden? Das Jammern der Kinder, das Stöhnen der Greisen, Die Klage der Armen, die Klage der Waisen?"
13
-
höheren Ehre des Kapitals so lange geläutert und gereinigt werden, bis Alles, was irdisch war an ihnen, die Kraft ihres Hirns und ihrer fleißigen Hände, sich krystallisirt hat in lauteres Gold. In diesen Höllen sind den Arbeitern und Arbeiterinnen all die Qualen beschieden, die wie uns die Sagen des grauen Alterthums berichten über die Geister der Verdammten in der Unterwelt verhängt wurden: die Qualen des Tantalus, des Sisyphus und der Danaïden. Wie Tantalus sehen sie die goldenen Früchte ihrer Arbeit lockend über ihrem Haupte schimmern, aber sobald sie die Hand nach ihnen ausstrecken, schnellen die Zweige zurück, und die Frucht ihres sauren Schweißes verschwindet im Geldschrank der Kapitalisten und im Steuersäckel des Staates. Ihre Arbeit ist schwerer als die des Sisyphus, der einen gewaltigen, ihm immer und immer wieder entrollenden Stein auf den Gipfel eines hohen Berges wälzen mußte, und sie ist ebenso hoffnungslos, wie das Wasserschöpfen der Danaïden mit durchlöcherten Gefäßen. Kaum einer der Heimarbeiter, kaum eine der Heimarbeiterinnen vermag sich in Jahrzehnte langer Mühsal ein sorgenfreies Alter zu schaffen.
In Deutschland allein sind über eine halbe Million Proletarier in der Hausindustrie thätig. Das Gebiet, wo diese ihren Sitz hat, zieht sich durch ganz Mitteldeutschland , durch Theile von Schlesien und Sachsen bis zum Rheinlande hin. Außerdem bilden die Großstädte noch kleinere hausindustrielle Bezirke. Ein Hauptsitz der Hausindustrie ist u. A. Sachsen, wo nahezu die Hälfte aller gewerblichen Arbeiter in der Hausindustrie beschäftigt sind. In Preußen finden wir ausgedehnte Hausindustrie zumal in Schlesien und in der Rhein provinz . In Schlesien allein arbeiten nahezu 50 000 Hausindustrielle. Kleine hausindustrielle Sondergebiete finden sich außerdem noch hier und da im Norden und Süden Deutschlands . Die Industrien, wo in Deutschland die Heimarbeit eine große Rolle spielt, sind vor Allem die Tabakindustrie, die Textil- und Bekleidungsindustrie mit ihren Unterabtheilungen, der Seiden-, Sammet , Leinen- und Baumwollweberei, der Näherei und Strumpfwirkerei.
Grauenhafte Zustände in der Hausindustrie enthüllte der unlängst in Berlin abgehaltene Rongreß der Tabakarbeiter Deutschlands , die zu einem Protest gegen die geplante Tabatfabrikatsteuer und zu einer Besprechung ihrer Lage zusammengekommen waren. Von welcher Bedeutung die Hausindustrie gerade für die Tabakindustrie ist, erhellt daraus, daß die Berufszählung von 1882 allein 15 068 Heimarbeiter ermittelte. Nahezu zwei Fünftel aller Betriebe sind hier hausindustrielle. In Bremen , einem der Hauptsitze der Tabakindustrie, beschäftigt der einzelne Unternehmer durchschnittlich 13,2 Hausindustrielle. Wie in allen Heimbetrieben spielt die Arbeit der Frauen und Kinder
Und Hassan sah, wie von der Menge sich Gestalten loslösten und sich über diese erhoben. Sie lenkten die Blicke der Menge auf ein schwaches Licht, das kaum bemerkbar am fernen Horizonte schimmerte.
" Das sind Leute", sagte der Engel des Leids, die in ihren Herzen die ganze Last der menschlichen Schmerzen empfunden haben und von tiefem Mitgefühl und inniger Liebe zu den Menschen durchdrungen worden sind; Leute, die sich über die Menge erhoben haben und vor sich das Licht der Wahrheit sehen, welche die Erlösung von den Schmerzen bringt. Sie lenken die Blicke der Menschen auf dieses Licht, und siehe, was die Menschen mit ihnen thun."
-
Und Hassan sah, wie die Menge die Wenigen mit Schmutz bewarf, sie steinigte und im Staub mit Füßen trat.
Und der Engel des Leids beschleunigte ihr Verderben. Die Leute verbrannten und marterten sie. Sie warfen sie in eine große Grube und zerstampften sie, und rother Traubensaft floß aus der Grube, sprizte nach allen Weltgegenden und befleckte die Brust des Engels.
Und Alles, was den Menschen zu ihrem Wohle gegeben worden, dessen bemächtigten sich die Starken der Welt und die Fürsten ihrer Fürsten. Und Hassan sah, wie sie gebieterisch auftraten, mit ihren goldenen Zierrathen prahlend und mit dem Glanze ihrer purpurnen Mäntel. Und er hörte, wie die Erde zitterte und stöhnte unter ihren Füßen; und ein Rauschen ging von ihren Kleidern, wie das Rauschen von vielen Gewässern. Er sah, wie die Starken der Welt stark waren an Gold, und wie die goldenen Kälber auf den Schultern getragen wurden von bleichen, ausgemergelten Männern, Frauen und Kindern. Als er die traurigen, abgezehrten Gesichter sah, suchte Abu- Hassan unwillkürlich im Gürtel