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macht und im Winter nicht etwa dem Vieh gegeben, sondern von den hungernden Hausarbeitern und ihren Familien verzehrt.

Ueber alle Begriffe scheußlich sind die Wohnungszustände: die hausindustrielle Tabalarbeiterschaft lebt zum großen Theil in feuchten, niedrigen Höhlen, in denen jeder Gegenstand von Tabaksgeruch durch­tränkt ist, die oft nur mit hölzernen Läden statt mit Fensterscheiben versehen sind. Wie bürgerliche Nationalökonomen glauben machen möchten, wäre das Familienleben der Heimarbeiter dadurch vor dem aller anderen Proletarier ausgezeichnet, daß es in Folge des Zusammen­arbeitens aller Familienglieder im trauten Heim" ein besonders inniges sei. Von dieser Innigkeit" kann man sich leicht eine Vor­

auch in der Tabakbranche eine bedeutende, für die männlichen Ar­beiter verhängnißvolle Rolle. Frauen und Kinder setzen der Aus­beutungswuth des Unternehmerthums einen weit geringeren Wider­stand entgegen als erwachsene Arbeiter, und so wird ihre Arbeit mit Erfolg gegen die der Männer ausgespielt, sobald es sich um eine Herabsetzung der ohnehin schon jämmerlichen Löhne handelt. Der Umstand trägt viel dazu bei, daß sich die Lage der Tabatarbeiter und ihrer Familien.mehr und mehr verschlimmert. In einer Enquete, welche der Verein für Sozialpolitik vor längerer Zeit veranstaltete, werden die Löhne der hausindustriellen Tabakarbeiter trotzdem noch als solche bezeichnet, welche für den Unterhalt des Arbeiters aus­reichen. Wir wollen durch etliche thatsächliche Angaben dieses Ausstellung machen, wenn man das erste beste westfälische oder Bremer reichen" in die richtige Beleuchtung rücken. Beispielsweise verdient in Zeit eine Familie von vier bis fünf Personen ganze 23-24 Mr. pro Woche. In Nordhausen   vermag es ein einzelner Arbeiter, mit Aufbietung aller Kraft, auf 10-12 Mt. Wochenverdienst zu bringen. Auf dem Berliner Kongreß der Tabakarbeiter wurde von Delegirten festgestellt, daß der wöchentliche Verdienst beträgt: in Baden 9-12 Mt., in Delitzsch   15 Mt., in Seesen   9 Mt., in Ohlau   7-8 Mt., in Oppeln  für Männer 8 Mt., für Frauen 5 Mk., auf dem Eichsfelde 6 Mt. Berücksichtigt muß hierbei werden, daß dieser Verdienst in der über­wiegenden Mehrzahl der Fälle von vier bis fünf Familiengliedern zusammen erzielt wird und dies bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 15 Stunden.

Der Tagesverdienst, welcher auf den Kopf der Arbeiterfamilie entfällt, ist geradezu hohnvoll gering und bedingt ein wahres Hunger­leben. Die trostlose Lage der Tabafarbeiter und Arbeiterinnen wurde auf dem Berliner Kongreß des Weiteren durch den Hinweis auf die Thatsache illustrirt, daß die Hausindustriellen in vielen Bezirken, so z. B. im Badischen  , in Seesen  , in ganz Westfalen u. s. w. gezwungen find, als Landarbeiter Beschäftigung zu suchen, um den Fehlbetrag zwischen ihrem Arbeitslohn und der zum allerbescheidensten Lebens­unterhalt erforderlichen Summe aufzubringen. In diesen Gegenden sind die Frauen natürlich doppelt und dreifach mit Arbeit belastet, denn auf ihren Schultern ruht neben der Berufsarbeit noch ein guter Theil der Landarbeit und die Besorgung der Hauswirthschaft. Aus Nordhausen   wurde berichtet, daß dort in manchen Familien der Mann tagsüber am Rolltisch säße und des Nachts als Kellner arbeite. Aber sogar dort, wo Nebenverdienst möglich ist, ist die Lebenshaltung der Tabafarbeiterfamilien eine unglaublich niedrige. Kartoffeln und Salz, Kartoffeln und Hering, Kartoffeln mit Leinöl, das ist in manchen Gegenden die fast ausschließliche Nahrung dieser Arbeiter. In West­falen wird das Kraut der als Viehfutter bestimmten Rüben einge­

nach seiner Geldbörse. Er fand sie. Die Geldbörse verwandelte sich in einen großen Sack voll Zechinen. Hassan schöpfte mit vollen Händen in ihr und warf das Gold unter die Menge.

Gierig stürzte sich diese auf das Gold; Gestalten, bleich, ab­gezehrt, hungrigen Thieren gleich, fingen es auf, rissen es einander aus den Händen, und der, welcher mehr aufgefangen hatte, als die übrigen, kletterte auf die Anderen und wurde selbst zu einem goldenen Kalb.

In einem Nu war die Geldbörse geleert, und genau ebenso groß als früher war die unendliche Menge der Hungrigen und Nothleidenden, welche an Hassan vorüber zog. Genau ebenso wie vorher beugte sie sich unter dem Drucke der Arbeit und des Leidens, und es gab der Unterdrückten und Leidenden kein Ende. Hassan ließ die Hände sinken.

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" Allah!" sagte er. Giebt es denn gar keinen Ausweg, und müssen denn die Einen oben sein, die Anderen aber unten?" " Noch ist die Zeit der großen Ernte nicht gekommen", sprach der Engel des Leids. Noch lange werden die Wellen des mensch­lichen Leides sich über die Erde ergießen, und nicht bald werden die Menschen seinen Sinn erfassen. Noch lange werde ich meines schweren Amtes walten müssen. Wohl wird der Druck leichter werden, aber die Menschen werden ihn mehr fühlen, und je un erträglicher ihr Schmerz wird, je lauter ihr Jammern und Stöhnen tönt, um so schneller und sicherer gelangen sie zur Erkenntniß, und die Erkenntniß wird sie von allen ihren Leiden befreien! So schlafe denn ruhig, Hassan, Du Trost der Menschenwelt. Thue Gutes und liebe die Menschen; aber auch wenn die Steine Deines Hauses zu Staub würden und jedes Stäubchen zu Bergen Gold, auch dann hättest Du damit den Schmerzensweg der Menschheit nicht zu pflastern und leichter zu gestalten vermocht, auch dann hättest

Zigarrenarbeiterheim aufsucht. Hier vegetiren Mann, Frau und Kinder ihr ganzes Leben bei harter, ungesunder Arbeit in einem einzigen engen, dumpfen Raum, oft noch in trauter Gemeinschaft mit Schweinen, Hühnern, Gänsen und anderen Thieren. Was das Familienleben an " Innigkeit" und" sittlichem Gehalt" gewinnt durch dieses Zusammen­gepferchtsein bei Tag und Nacht von Personen jeden Alters und jeden Geschlechts, das vermag man nur durch die Brille des profitsüchtigen Unternehmerthums zu entdecken.

Obgleich die Beschäftigung der Tabafarbeiter und-Arbeiterinnen schädlichen Folgen begleitet. Die Gesundheit der Tabakarbeiter und als leicht" gilt, ist sie doch in gesundheitlicher Beziehung von äußerst -Arbeiterinnen leidet wie die aller Hausindustriellen durch die Be­schaffenheit der Arbeitsräume, die in unzähligen Fällen gleichzeitig noch als Wohn-, Koch- und Schlafräume dienen müssen. Auch die sitzende, ungesunde Lebensweise theilt der Tabakarbeiter mit den meisten anderen Heimarbeitern. Er leidet aber außerdem noch unter anderen gesundheitsschädlichen Einflüssen, die mit seiner Beschäftigung verbun den sind. Es sind dies die Einwirkung des Staubes und der nikotin­geschwängerten Ausdünstung des Arbeitsmaterials. Die Statistik hat festgestellt, daß die Erkrankungshäufigkeit der Tabatarbeiter und ihrer Familien noch einmal so häufig ist, als die aller anderen Arbeiter. Nur fünf Prozent der Tabatarbeiter und Arbeiterinnen erreichen ein Alter von über 50 Jahren. Ihr schlechter Gesundheitsstand, ihr früher Tod wird außer den erwähnten Umständen bedingt durch die ganz erbärmliche Ernährungsweise, zu welcher sie in Folge ihres Spottverdienstes verurtheilt sind. Fast alle Tabatarbeiter und-Ar­beiterinnen leiden an Verdauungsschwäche und den mit ihr zusammen­hängenden Uebeln, und geradezu fürchterlich haust die Schwindsucht unter ihnen, Männer, Frauen und Kinder jeden Alters dahinraffend. Die gesundheitlichen Schädigungen machen bei der eigentlichen Tabak­arbeiterschaft nicht Halt, sie erstrecken sich auch auf deren Nachkommen.

Du den menschlichen Schmerz und seine Folgen nicht aus der Welt geschafft."

Und der Engel des Leids winkte mit der Hand, und bei seiner Bewegung stürzte Hassan in einen ungeheuren Abgrund, der ganz erfüllt war mit ächzenden, wimmernden, verwundeten und zerschlagenen Gestalten, wie er sie eben gesehen. Sie waren über und über mit Blut bedeckt, flirrten mit den Retten und streckten ihm hilfesuchend die langen, knöchernen Finger entgegen. Unter Geschrei, Geheul und Lachen drehten sie sich um Hassan und jagten ihm nach. Dieser flog gerade hinunter, auf den Punkt zu, wo hell eine rothe Flamme leuchtete. Tiefer und tiefer stürzte er hinab, lauter und lauter ward das Geschrei, das ihm entgegen­tönte. Die Flamme blendete ihn mit einem unerträglichen Glanze. Entsetzt riß er die Augen weit auf und schloß sie gleich wieder. Die Strahlen der aufgehenden Sonne fielen Hassan voll ins Gesicht. Sie schien durch das Fenster, aus dem er Nachts hinaus­geflogen war. Und er lag in seinem Bette, auf dem Hofe aber wartete schon längst eine neue Karawane, und die Kameele stießen einander und schrien fürchterlich.

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Allah, Allah!" sprach Hassan, welchen Unsinn kann der Mensch nicht manchmal träumen! Und alles deshalb, weil ich gestern Abends zu viel Reisbrei mit Datteln   von Damaskus   gegessen habe."

Rasch sprang er von seinem Lager, machte die Fußwaschung, tniete auf dem Teppich nieder, und von dem Glanz der aufgehen­den Sonne geblendet murmelte er, seinen Rosenkranz abbetend: ,, Es giebt feinen Gott, außer Gott, und Muhamed   ist sein Prophet! Er ist allwissend! Er sagte: Wische ab die Thränen der Witwe, hilf dem Unvermögenden, sättige den Hungernden, stille den Durst des Dürstenden."

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