Kampfgenossin, die unbewußte Proletarierin, die Lehrerin. Die meisten Lehrerinnen werden ohne Zweifel im höchsten Grade entrüstet sein, wenn sie hören, daß man sie für Proletarierinnen hält; sie selbst halten sich größtentheils für etwas Besseres".
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Was sind denn Proletarier? Im alten Rom verstand man unter„ proles" die Angehörigen der Bevölkerungsklasse, die, vermögenlos, feine Steuern zahlen konnte, dem Staate nur durch Zeugung, reichlicher Nachkommenschaft nützlich war. In unseren Tagen hat sich dieser Begriff, wie so mancher andere, modifizirt( verändert), und wir verstehen unter Proletarier jemand, der zur Befriedigung seiner Bedürfnisse keine Mittel hat außer seiner Arbeitskraft, welche vom Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt gekauft, bis aufs höchste Maß angespannt und mit der geringsten Bezahlung entlohnt wird. Daß diese Merkmale auf das weibliche Lehrpersonal fast Punkt für Punkt zutreffen, läßt sich leicht nachweisen.
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Am 1. Juni 1892 unterrichteten an Berliner Gemeindeschulen ( für Zeichnen, Handarbeiten u. s. w.) 1044 wissenschaftliche, 642 technische Lehrerinnen einschließlich Gehilfinnen( neben 194 Rektoren und 2022 Lehrern). Die große Mehrheit dieser Damen ist zur Ausübung ihres Berufes gezwungen, um ihre Unterhaltsmittel zu erwerben. Als Töchter von Beamten, Lehrern, kleinen Kaufleuten und kinderreichen Pastoren könnten sie vom Einkommen des Vaters nicht leben, und zur Arbeiterin sind sie meist zu vorurtheils und anspruchsvoll. Die Ansprüche müssen die armen Mädchen sich schnell genug abgewöhnen, die Vorurtheile verbleiben ihnen meistentheils leider. Arm fann mit Bezug auf diese Lehrerinnen im doppelten Sinne angewandt werden: Abgesehen von der drückenden materiellen Armuth bei vielen sind sie auch höchlich zu bedauern, da sie oft den Beruf ohne Neigung, ohne Freudigkeit ausüben, und dann ist er entsetzlich schwer, ebenso qualvoll, wie er für die ihn aus Liebe Ausübenden genußreich ist. Oft genug sorgt eine solche Tochter aus„ guter Familie" nicht nur für sich allein, sondern sie muß den alten gebrechlichen Vater, die verwitwete Mutter mit unterhalten. Häufig soll auch ein Herr Bruder eine standesgemäße Laufbahn erwählen, und da entbehrt die schwer arbeitende Schwester und versagt sich oft selbst die nothwendigste Pflege, um den Herrn Studiosus oder Lieutenant in seinen noblen Passionen zu unterstützen.
Das Anfangsgehalt einer solchen Lehrerin beträgt 1200 Mt. jährlich. Davon muß sie standesgemäß wohnen, sich kleiden, sich beköstigen. Nach der Volksküche darf sie natürlich nicht gehen, wenn diese auch mit ihren behaglichen Räumen, ihren leckeren und überaus nahrhaften Speisen den mächtigsten Zauber auf sie ausüben sollte.Gegen 200 Lehrerinnen beziehen das angegebene glänzende Gehalt. Einige, die seit drei Jahren feste Anstellung hatten, erhielten 1365 Mf.; in derselben Gehaltsstufe befanden sich aber auch noch Damen, welche bereits 7 Jahre als Gemeindelehrerinnen fest angestellt waren. Von 7-11 Jahre thätige Lehrerinnen bezogen 1560 Mt. 369 Lehrerinnen hatten mehr als 1560 Mf. Das höchste feiner Lehrerin der Gemeindeschule gezahlte Gehalt betrug 1950 Mt., es wurde von Damen bezogen, die 16-24½ Jahre im Dienste der Stadt Berlin arbeiteten.
Ihren jüngsten, soeben angestellten Lehrern zahlt die Reichshauptstadt 1600 Mt. Jahresgehalt, mithin mehr als den seit elf Jahren die Berliner Jugend unterrichtenden Lehrerinnen. Männer, welche noch nicht volle 3 Jahre im Schuldienste standen, waren im Gehalte den seit 16 Jahren angestellten Kolleginnen überlegen. Sie erhielten jährlich 50 Mt. weniger, als die am höchsten bezahlten, nahezu ein Vierteljahrhundert amtirenden Lehrerinnen!
Was die wöchentliche Stundenzahl anbetrifft, so hat man darin großmüthigerweise den Lehrerinnen vollkommene Gleichberechtigung mit den Lehrern zugestanden. Für längere Vertretungen wird das weibliche Personal sogar bevorzugt, indem mit solchen 9 Lehrer und 57 Lehrerinnen betraut wurden. Für Vertretungen erhalten die Lehrerinnen 1 Mt. pro Stunde, müssen aber immer in Nothfällen über die bezahlten Stunden hinaus mitarbeiten. Jede mit einer Vertretung beglückte Hospitantin muß der Stadt Berlin noch mit einigen Gratisstunden dienen.
Wir sehen somit, daß die Arbeiterin auf geistigem Gebiete genau so ausgebeutet wird wie die Fabritarbeiterin; wo billig und viel gearbeitet werden soll, wird die Frau eingestellt. Die Frau ziert ja Bescheidenheit, Bedürfnißlosigkeit, gleichviel ob sie auf dem Katheder, hinter dem Ladentisch oder an der
* Hospitantinnen sind junge Lehrerinnen, welche die Erlaubniß erhalten, in den Klassen dem Unterrichte beizuwohnen, und welche alle Vertretungen unter 14 Tagen unentgeltlich übernehmen müssen. Nur bei längerer Beurlaubung einer Lehrkraft erhält eine Hospitantin den offiziellen Auftrag, sie zu vertreten, und wird dafür in oben erwähnter Weise bezahlt.
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Maschine schafft! Statt sich nun zu organisiren, sowohl selbständig als im Verein mit den auf gleichem Gebiete thätigen Männern, schafft und schanzt sie unverdrossen weiter, bis ihr das Blut unter den Nägeln hervordringt oder ein Blutsturz aus der Lunge entquillt. Die Herren Arbeitgeber geben ihr dafür eine gnädige Anweisung auf ein wohliges Plätzchen in irgend einer anderen Welt.
Wir wollen Agitatoren sein.
Der Azitator ist der Säemann, der auf dem vom Kapitalismus verwüsteten Boden des Menschengemüthes die Samenkörner des Sozialis mus ausstreut und sie begt und pflegt, bis sie emporsprießen und tausendfältige Früchte tragen.
Der Agitator ist der glaubensfrohe Jünger des Sozialismus, wie die Apostel die Jünger Christi waren. Er arbeitet auch genau so wie diese und muß dieselbe Verachtung tragen wie diese..
Der Agitator ist arm und seine Armuth ist zugleich die Feder, die ihn antreibt zu neuer Thätigkeit und zum Kampfe mit allen Widerwärtigkeiten.
Die Agitatoren sind die Säulen der Partei. Durch die Agitation sind die sozialistischen Joeen in die Massen gekommen und populär geworden. Durch die Agitatoren ist die Partei das geworden, was sie ist.
Wo der Azitator aufgetaucht ist, da bildet sich immer, selbst unter den widerwärtigsten Verhältnissen, eine kleine Gemeinde von Anhängern, aus der dann wiederum neue Agitatoren hervorgehen, die für die Sozialdemokratie kämpfen.
Die Agitatoren sind nicht das Hundert, die bekannte Namen tragen; ihre Zahl ist Million. Sie tauchen auf und verschwinden wieder unter der Masse.
Die Agitatoren find namenlos. Nicht nur die Rebner, die Zeitungs shreiber, die Parlamentarier jeder ist Agitator. Der Hunger, das Elend sind Agitatoren, die Verhältnisse agitiren für uns.
Jeder Arbeiter, der dem geistig Blinden die Augen öffnet, ist Agitator und hilft unsere Jdeen ausbreiten.
Und jeder Arbeiter, der sich Sozialdemokrat nennt, muß Agitator sein, muß für die Partei eintreten. Die Zahl der Agitatoren muß so anschwellen, daß unsere Gegner machtlos werden und sie die Agitatoren nicht mehr verachten, sondern fürchten lernen.
Einer Partei können die Gegner widerstehen, der riesigen Masse des Volkes nicht. Der Volkswille ist zu allen Zeiten schließlich doch der Sieger geblieben.
Wenn die Sozialdemokratie gestegt hat, werden unsere Nachkommen, die die Früchte des Sieges ernten, mit Staunen zurückblicken auf das kämpfende Geschlecht, auf die Proletarier am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, auf die verachteten Agitatoren. Und sie werden die Kämpfenden bewundern.
Darum wollen wir alle Agitatoren sein!
Kleine Nachrichten.
Nette Entbehrungslöhne muß der Münchener Unternehmer einsäckeln, bei welchem die Arbeiterinnen wie folgt verdienen: Für das Nähen einer Unterhose 10 Pfg., für einen Bettüberzug 8 Pfg., für einen Kissenüberzug 2½ Pfg., für zwei Handtücher 1 Pfg., für ein Leinentuch 2 Pfg. Bei dieser Entlohnung müssen die Arbeiterinnen den Zwirn selbst liefern. Eine Frau und ein Mädchen, beides geübte Näherinnen, fönnen zusammen täglich bei fast 15stündiger Arbeitszeit 10 Unterhosen fertig stellen. Das ergiebt einen Tagesverdienst von etwa 50 Pfg. für jede. Dabei verlieren die Arbeiterinnen noch Zeit mit dem Holen und Abliefern der Waare. Und angesichts solcher Erwerbsverhältnisse wähnen Sittlichkeitsvereine durch Predigten und Traktätchen die Prostitution bekämpfen zu können!!!
Eine kulturwidrige Sparsamkeit müssen jedenfalls die Strohflechterinnen von Glashütte ( Königreich Sachsen) üben, wenn sie bei ihrem Verdienst überhaupt existiren wollen. Vor 1½ Jahren brachten es besonders tüchtige Arbeiterinnen noch auf einen Tagesverdienst von 60 bis 70 Pfennig. Gegenwärtig erwerben sie täglich nur noch 40 Pfennig, und zwar, wenn sie von früh bis spät in die Nacht hinein flechten. Das Strohflechten, das meist als Hausindustrie betrieben wird, ist für viele Familien der Gegend der einzige Erwerbszweig. Die Lage der eigentlichen Strohflechter und Strohflechterinnen wird dadurch verschlechtert, daß Landwirthe, welche im