34——Augenblicke beseitigt, wo die erste Versicherungsgesellschaft sich entschließt, Versicherungen gegen Bombengefahr aufzunehmen. Mankönnte dann noch erleben, daß das Bombenwerfen, wie jetzt schondas Brandstiften, zu einem Spekulationsobjekt würde.Die Taktik des Anarchismus ist die Desorganisation. Abergerade die Desorganisation bildet die Grundlage der Uebermachtder herrschenden Klasse. Die Desorganisation macht die Arbeiterund Arbeiterinnen wirthschaftlich widerstandslos und liefert sie politisch der Kapitalistenklasse aus. Der Staat ist eben nur einevon der herrschenden Klasse geschaffene Organisation, um diedesorganisirte Masse im Zaume zu halten. Indem der Anarchismus die Kapitalistenklasse organisirt und das arbeitende Volkdesorganisirt, ist er der größte Feind der Arbeiterklasse.Ist aber das arbeitende Volk als gegen den Kapitalismuskämpfende Partei organisirt, dann ist die Macht des kapitalistischenStaats gebrochen. Die moralische Macht des Staats schwindet,weil sein Wesen als Klasseninstitution erkannt ist. Ebenso ist esaus mit der Macht der Kirche, die sich nunmehr entweder ansSeiten des Volkes schlagen muß oder jeden Einfluß verliert undin sich zusammenfällt, wie ein alter Sack, der seines Inhalts beraubt worden ist. So ist der Staat gezwungen, allein und unmittelbar auf die bewaffnete Macht sich zu stützen. SeineExistenz ist von diesem Augenblick an nur noch der Kampf fürdiese seine Existenz. Dadurch wird aber auch der Militarismusseines trügerischen Scheins beraubt, als ob er zum Schutze desVaterlands da sei. Durch die allgemeine Wehrpflicht wurde er zueiner Volkseinrichtnng, durch seine Rolle für die Erhaltung desStaats wird er nunmehr offenkundig zu einer Einrichtung gegendas Volk. Damit verliert aber das Militär seine moralische Machtüber das Volk, und der Staat verliert seine moralische Macht überdas Militär. Als einzige Mittel, seine Autorität beim Militärzu erhalten, bleiben dem Staat: der Drill und die eiserne Disziplin. Da er nicht mehr im Stande ist, den Geist des Soldatenzu beherrschen, so sucht er diesen Geist zu tödten. Diese Aufgabewird aber desto schwieriger und die Wirkung droht in ihr Gegen-theil umzuschlagen, je aufgeklärter und selbstbewußter der Rekrutenstand wird in Folge der wachsenden Organisation der Arbeiterklasse. Nun ist der Augenblick gekommen, wo das ProletariatBesitz von der politischen Macht ergreift.Die Form, in der dies geschieht, ist durch das allgemeineWahlrecht gegeben. Das Proletariat bemächtigt sich des Parlaments(des Reichstags), indem es die bürgerlichen Parteien in derWahlschlacht besiegt.Das Parlament selbst ist keine politische Macht. Es wird,sofern es sich auf das allgemeine Wahlrecht stützt, erst zu einersolchen, wenn es das organisirte Volk hinter sich hat. Die kapitalistische Volksvertretung ist aber nur eine Scheinvertretung. DieseAbgeordneten sind wohl von ihren Wählern gewählt worden, abersie müssen auf eigene Faust handeln. Sie haben ihren Sitzund ihre Stimme im Parlament, aber nicht die Unterstützungihrer Wähler bei ihren Handlungen. Deshalb sind die bürgerlichen Parlamente— Ivo sie nicht selbst die Regierung sind, undin diesem Falle stützen sie sich auf die Staatsgewalt— so waschlappig und so kraftlos gegenüber der Regierung, wie gerade derdeutsche Reichstag, lind je mehr die Organisation der Arbeiterklasse fortschreitet, um so machtloser wird das bürgerliche Parlament, weil die Stützen, auf denen es aufgebaut ist, ihm entzogenwerden. Man sieht, wie grundfalsch die Auffassung ist, die ausder Korruption des bürgerlichen Parlanients ans die Verwerflichkeitdes Parlamentarismus schließt, während diese Korruption doch nurdas sichere Zeichen ist von der aufsteigenden Macht der Arbeiterpartei.�Nicht im Parlament, sondern durch das Parlament ergreiftdas Proletariat Besitz von der politischen Macht. Indem es sichaber der gesetzgeberischen Maschinerie bemächtigt, zwingt es dieStaatsregierung, entweder sich ihm zu fügen und auf diese Weisenur sein Vollzugswerkzeug zu werden, oder— zu revoltiren. Aberjedes moralischen Einflusses bar und in der Grundlage ihrer Stärke,* Urbcr Parlamentarismus und Sozialdemokratie bringt lichtvolle Aus-siihrungen das Werk von K. Kautsky:„Der Parlamentarismus, die Volks-gcsetzgebung und die Sozialdemokratie." Stuttgart, I. H. W. Dietz' Verlag.dem Militarismus, erschüttert, würde die Regierung nicht im Standesein, die Macht der oiganistrten Arbeiterklasse zu brechen.So wird das arbeilende Volk zum Herrn im Laude. Organisirt und klassenbewußt, benutzt es seine politische Macht dazu,um die wirthschaftliche Basis der kapitalistischen Ausbeutung zuvernichten und macht damit der Klassenherrschaft überhaupt ein Ende.Ist es nun für den Arbeiter eine Lebensfrage, ob der Kapitalismus triumphirt oder unterliegt, um wie viel mehr noch fürdie Arbeiterin. Denn sie ist nicht nur noch mehr unterdrückt alser, sondern auch aller bürgerlichen Rechte beraubt. Der Kapitalismus wird ihr aber nie zu ihrem Rechte verhelfen. Nicht nur,weil sie Frau, sondern hauptsächlich weil sie Proletarierin ist. Wiedie kapitalistische Gesellschaft dem Arbeiter nie politische Rechte gewährt hätte, wenn sie nicht dazu gezwungen worden wäre, so wirdsie auch der Arbeiterin ihre Rechte vorzuenthalten suchen.Die Organisation ist der Hebel, das Parlament ist der Stützpunkt und die politische Macht ist die Gewalt, mit der das Proletariat die kapitalistische Gesellschaft aus den Angeln heben wird!Frauen-Inleressen im Reichstag.Der Reichstag beschäftigte sich in letzter Zeit mit mehreren Fragen,welche unmittelbar die Interessen breiter Kreise der proletarischenFrauenwelt berühren. In den Debatten über den Etat des Reichsamts wurden die Fragen der Anstellung weiblicher Fabrikinspektorenund die Lage der Telephonistinnen gestreift. Ferner brachte Bebel diescheußlichen Mißstände zur Sprache, welche im Reiche der Gottesfurchtund frommen Sitte anzutreffen sind bezüglich der Berschacherung weißerLustsklavinnen nach allen möglichen Ländern.- Wir sagten von den ersten Fragen, sie wurden nur gestreift,denn es kam zu keiner eingehenden Erörterung, und zumal die Frageder Anstellung von Fabrikinspektorinnen wurde durch das Eingreifendes Vizepräsidenten mit einer Kürze behandelt, welche in umgekehrtemVerhältniß steht zu ihrer Wichtigkeit für Millionen deutscher Frauen.Charakteristisch und doch nicht verwunderlich ist die Thatsache, daßkein bürgerlicher Politiker für die Forderung eintrat, welche breiteSchichten der deutschen Frauenwelt laut und dringlich erheben. Umgekehrt, alle Vertreter bürgerlicher Parteien, welche im Laufe derDebatten die Frage nebenbei berührten, waren gegen die Anstellungvon Fabrikinspektorinnen. In ihrer Haltung paarte sich das Vorurtheil gegen einen erweiterten Thätigkeitskreis des weiblichen Geschlechts mit dem Klassenegoismus der Bourgeoisie gegenüber denInteressen der Proletarierinne». Daß weibliche Fabritinfpektoren baldbei uns in Deutschland eingeführt würden, sei schwerlich zu erwarten,erklärte der Nationalliberale Möller aus Dortmund. Es werde nochlange dauern, ehe man in Deutschland weibliche Personen als'Aussichtsbeamte anstelle. Die Forderung sei durchaus verfrüht! Der Staatssekretär des Innern von Bötticher hielt es nicht einmal der Mühewerth, sich über die Frage überhaupt zu äußern. Offenbar schien sieihm nicht wichtig genug, um Seitens der Regierung in Erwägunggezogen zu werden. Es handelte sich ja nur um die Interessen etlicherMillionen proletarischer Frauen. Wenn das Wohl einer Hand voll„nothleidender" Landwirthe im Spiel gewesen wäre, so hätte derReichstag gewiß eine prompte und zubilligende Antwort gehört.Einzig und allein die sozialdemokratischen ReichstagsabgeordnetenWurm und Bebel traten mit Wärme und gestützt auf durchaus sachliche Gründe im Interesse der Arbeiterinnen für die Anstellung weiblicher Gewerbeinspektoren ein. Wurm, welcher die Frage anregte,bezeichnete sehr treffend die Ernennung weiblicher Fabrikinspektorenals eine Sache der Gerechtigkeit und Nothwendigkeit. AndereStaaten hätten dieselben schon längst. In England und Amerika fun-girten sie zur größten Zufriedenheil aller Theile, nur vielleicht nichtderjenigen des Unternehmerthums. Der Vizepräsident des Reichstagsschnitt unserem Genossen Wurm weitere Ausführungen zu der Fragemit dem Bemerken ab, daß er nicht zur Tagesordnung spreche. Späterkam Bebel trotzdem auf die Sache zurück. Auch er verwies auf dieüberaus günstigen Erfahrungen, welche man zuerst in den VereinigtenStaaten und im Laufe des letzten Jahres in England bezüglich desgewissenhaften und ersolgreichen Wirkens der Fabrikinspektorinnen gemacht habe. In dem ersteren Lande sei deshalb eine größere Anzahlweiblicher Aussichtsbeamlen thätig, und in England habe der Ministerdes Innern beschlossen, die Zahl der bereits angestellten Fabrikinspektorinnen demnächst zu vermehren. Auch für Deutschland sei die Anstellung weiblicher Gewerbeinspektoren eine Nothwendigkeit. Sie seibedingt durch die steigende Verwendung weiblicher Arbeitskräfte in