Nr. 7.

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Die Gleidheit

4. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Herausgegeben von Emma Ihrer   in Velten  ( Mark).

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nro  . 2660) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Inseratenpreis die zweigespaltene Petitzeile 20 Pf.

Stuttgart  

Mittwoch, den 4. April 1894.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Die Gleichstellung der Frau mit dem Manne.

Immer neue Kräfte werden mobil gemacht zur Widerlegung der sozialdemokratischen Lehren, immer neue Kräfte aus allen Kreisen der Bourgeoisie. Der große Finanzpolitikus Eugen Richter   hat Nachtreter gefunden unter den kleineren Politikastern, und neuer­dings hat auch ein Schulmeister den Bafel geschwungen, um der Sozialdemokratie eins auf die Finger zu klopfen. Sie lebt aber immer noch und gedeiht und lacht ihrer ohnmächtigen Gegner.

Doch das waren alles nur Plänkeleien. Jetzt aber wird das schwere Geschüß der Wissenschaft in die Gefechtslinie gefahren. Ein Freiburger   Professor der Zoologie, Herr Heinrich Ernst Ziegler  ,* hat sich Bebel's Buch über die Frau vorgenommen und versucht nun die naturwissenschaftlichen Irrlehren, die er darin heraus­geschnüffelt zu haben glaubt, mit Hilfe der Werke von Charles Darwin   zu widerlegen.

Mit freudigem Gejauchze ist dieses Buch von der Bourgeois­Presse aller Schattirungen aufgenommen worden. Hat man es da doch schwarz auf weiß, auf die Autorität eines deutschen Professors Extraordinarius( außerordentlicher Professor) hin, daß die sozial demokratischen Lehren nicht im Einklang stehen mit den Lehren der Naturwissenschaft. Schade nur für die Sache der Bourgeoisie, daß dieses Gejauchze nichts anderes beweist, als daß an Unwissen­heit und kritischem Unvermögen jene Zeitungsschreiber noch tiefer stehen, als der Professor Extraordinarius. Als ein Kenner deutschen Professorenthums einmal über den Unterschied zwischen dem ordent­lichen und dem außerordentlichen Professor befragt wurde, sagte er:" Der ordentliche Professor ist ein Mann, der nichts Außer ordentliches weiß, der außerordentliche Professor ein Maun, der nichts Ordentliches weiß." Herr Heinrich Ernst Ziegler   bekräftigt durch sein Buch die Richtigkeit dieses Sazes. Wir können in dieser Besprechung ihm nicht auf allen seinen Irrwegen nachgehen, greifen aber doch zur Kennzeichnung der Ziegler'schen Afterwissen­schaft heraus, was er der Sozialdemokratie in Bezug auf die Gleich­stellung der Frau in die Schuhe schiebt. Denn gerade diese Ent­deckung des außerordentlichen Professors wurde von den Bourgeois­fritifern mit besonderem Wohlgefallen aufgegriffen und zu der Behauptung erweitert, die Sozialdemokraten beabsichtigten, alle geistigen Unterschiede zwischen den Menschen auszumerzen.

In dem Kapitel IV:" Die Gleichstellung der Frau", giebt Herr Ziegler Folgendes als sozialdemokratische Lehre" aus:

" In den Vorzeiten des Menschengeschlechts war die Frau dem Manne gleich an Körpergröße und Körperkraft und gleich in Bezug auf das Denken und Fühlen, überhaupt in Bezug auf den ganzen Charakter. Die jetzt zwischen Mann und Frau in den genannten Beziehungen bestehenden Unterschiede rühren daher, daß die Frau seit Jahrtausenden vom Manne unterdrückt und in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten gehemmt wurde. Man soll die Frau dem Manne politisch und sozial gleichstellen; dies ist naturgemäß; es wird auch die Folge haben, daß die Frau im Laufe der Zeit dem

* Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältniß dargelegt auf Grund der Werke von Darwin   und Bebel  . Von H. E. Ziegler. Stuttgart  , Ferdinand Enke, 1894.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Fr. Klara Zetkin  ( Eißner), Stuttgart  , Rothebühl­Straße 147, IV. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Manne hinsichtlich der körperlichen und geistigen Fähigkeiten wieder

gleichkommen wird, wie sie ihm ursprünglich gleich gewesen ist." Zur Widerlegung dieser von ihm selbst formulirten, aber der Sozialdemokratie unterschobenen Ansichten über die ursprüngliche, gegenwärtige und zukünftige Beschaffenheit der Frau, führt Ziegler einige naturgeschichtliche Thatsachen vor, die den Unterschied der Geschlechter bei allen möglichen Thierarten beweisen sollen. Als ob irgend Jemand diese Geschlechtsunterschiede bestreiten wollte! Keinem Sozialdemokraten fällt das ein, auch Bebel nicht.

Die Sozialdemokratie behauptet nicht, daß das Weib ursprüng­lich dem Manne an allen Körper und Geisteskräften gleich ge= wesen sei. Mann und Weib sind ursprünglich ganz voneinander verschieden in mannigfachen körperlichen und geistigen Eigenschaften, und diese Unterschiede beschränken sich nicht auf die Geschlechts­funktionen. Selbst die sogenannten nebensächlichen Serual- Charaktere ( Geschlechtsmerkmale), wie die Abweichungen im Haarwuchs 2c., er­schöpfen diesen Unterschied nicht; er liegt vielmehr begründet in der innersten Natur des weiblichen und des männlichen Organismus, und er wird sich stets geltend machen bei allen Lebensaufgaben, zu denen Weib und Manu in Beziehung treten. Auch die geistigen Aufgaben wird das Weib anders anpacken, als der Mann. Diese fundamentale Differenzirung( Unterschied) des Empfindens und Thuns von Mann und Weib ist aber feineswegs von Uebel, sie bedingt an sich eine Bereicherung des Lebensgehaltes der Menschheit.

Wenn wir also nicht behauptet haben, daß die ursprüngliche Wesensgleichheit der Geschlechter erst durch die wirthschaftliche Ent­wicklung aufgehoben worden sei, was denn?

Wir behaupten, daß die Gestaltung des Wirthschaftslebens, die das Weib zur rechtlosen Haussflavin des Mannes Jahrtausende lang gemacht hat, nothwendig zur Verkümmerung ihrer Entwicklung, vorzugsweise ihrer geistigen Entwicklung führen mußte, so daß also, wenn auch der heutige zivilisirte Mann zu seiner Vollkraft gelangt, das Weib dennoch als Weib in ihrer Entwicklung zurückgeblieben ist. Nicht aber behaupten wir, daß das Weib ein verfümmerter Mann sei.

Nun meinen wir weiter, daß wenn den Frauen die gleiche Entwicklungsmöglichkeit gegeben wird wie den Männern, sie ohne Abschwächung ihres Geschlechtscharakters allmälig dahin kommen werden, Leistungen zu vollbringen, die denen der Männer gleich­werthig sind, gleichwerthig wohlverstanden, obschon anders ge= artet. Wir wollen die Ausbildungsmöglichkeit den Mädchen genau so gewähren, wie den Knaben; wir wollen die rechtlichen Schranken niederreißen, die die Frauen gegenwärtig von der Ergreifung be= stimmter Thätigkeiten abhalten. Ganz von selbst, ohne daß gewalt­sam eingegriffen zu werden braucht, wird sich dann eine natürliche Arbeitstheilung zwischen Männern und Frauen herausbilden. Jedes Geschlecht wird sich vorzugsweise solchen Thätigkeiten zuwenden, für die seine Körper und Geistesart es besonders geeignet machen. Diese Entwicklung und Bethätigungsfreiheit wird nicht nur den Frauen zu Gute kommen, sondern auch den Männern, denn beide Hälften der Menschheit haben darunter zu leiden, wenn die eine noch länger der künstlichen Verkümmerung überantwortet bleibt. Auch auf diesem Gebiete also verficht die Sozialdemokratie auf Grund ihrer Erkenntniß der natürlichen Bedingungen die höchsten Ideale der G. L. Menschheit.