Der deutsch  - russische Handelsvertrag.

Endlich ist im Reichstage die Entscheidung gefallen über eine Frage, welche wie kaum eine zweite seit langen Monaten das öffent­liche Interesse in Spannung und Erregung hielt, über die Frage des deutsch   russischen Handelsvertrags. Mit den verschiedensten Gründen wurde seit vorigem Sommer für und wider diesen Vertrag gestritten, wider ihn mit noch mehr Leidenschaft und Erbitterung als mit Gründen. Weshalb das? Bezweckte der deutsch  - russische Handelsvertrag eine so tiefeinschneidende Aenderung unserer wirthschaftspolitischen Verhält nisse, daß diese Erregung und dieses Aufgebot von Leidenschaft ge­rechtfertigt erscheinen? Mit nichten. Der Vertrag sollte im Wesent lichen zwischen Deutschland   und Rußland   wieder die nämlichen wirth­schaftspolitischen Beziehungen herstellen, welche zwischen beiden Mächten bestanden hatten vor Ausbruch des Zollkriegs im vorigen Jahre. Das forderten die Interessen der deutschen   Industrie, welcher der russische Markt so gut wie gesperrt war, seitdem Rußland   hohe Kampf­zölle festgesetzt hatte. Der Vertrag sollte außerdem den Roggenzoll von 5 Mt. auf 3 Mt. 50 Pf. herabsetzen, d. h. auf den nämlichen Betrag, mit welchem der in Deutschland   eingeführte Roggen anderer Länder verzollt wird. Das forderten die Interessen Rußlands  , das auf die Ausfuhr von Getreide angewiesen ist, und welches in Deutsch­ land   einen Hauptabnehmer seines Roggens gehabt hatte. Das for derten aber auch die Interessen des deutschen   Volks, für welches der Roggen das wichtigste Brotgetreide ausmacht. Der Handelsvertrag sollte also den deutschen   Industrie- Erzeugnissen die russische, dem russischen Roggen die deutsche Grenze eröffnen.

Aber gerade der letztere Umstand verursachte die heftigsten Kämpfe gegen den Handelsvertrag. Er war nämlich nicht nach dem Geschmack der Herren Agrarier, derer von Jhenplitz und Köferit, die da wähnen, daß die Gesammtheit des deutschen   Volks ihnen tributpflichtig sei und sein Brotkorn theuer bezahlen müsse, damit sie und ihre blau­blütigen Sprößlinge Riesensummen vergeuden können im Hazardspiel, in ekelhaften Orgien, mit Maitressen, beim Wettrennen und anderen ,, noblen Passionen". Eine Ermäßigung des Zolls auf russischen Roggen, und die Einnahmen der schnauzigen, nimmersatten Groß­grundbesitzer werden um ein Weniges sinken. Denn wenn der Zoll­satz auf Roggen ein niedrigerer ist, so werden bei sonst gleichen Ver­hältnissen größere Mengen desselben eingeführt werden, und die steigende Einfuhr muß eine gewisse Verbilligung des Brotkorns zur Folge haben. Ob dieses um den ganzen Betrag des Zolls billiger werden wird, ist freilich eine andere Frage. Auf Grund der früher abgeschlossenen Handelsverträge mit Desterreich, Rumänien   und Serbien  kommt bereits Roggen zu einem Zoll von 3 Mf. 50 Pf. ins Land, doch der Preis des Getreides auf dem Markte hängt noch von an­deren Umständen ab, als vom Zoll. Aber jedenfalls wird die größere Zufuhr russischen Roggens zu niedrigerem Zollsatz als bisher eine gewisse Verbilligung des Roggenpreises bewirken. Die hochmögende Sippe der Krautjunker wollte sich nun mit der durch den Handels­vertrag zu schaffenden Lage nicht abfinden. Und dies aus einem be­stimmten Grunde. Die Aussicht auf die mögliche oder thatsächliche Verbilligung der Brotfrucht schreckte die Großgrundbesitzer nicht so sehr, als der durch den russischen Handelsvertrag vollzogene ent­schiedene Bruch mit dem System der Hochschutzzölle, das seit 1879 in Deutschland   geherrscht hat. Das Ideal der Agrarier ist der Hochschutz­zoll auf landwirthschaftliche Erzeugnisse. Denn er erlaubt ihnen, dem deutschen   Volk die Preise für landwirthschaftliche Erzeugnisse zu diktiren, ihm Brot, Mehl, Fleisch, Schmalz, Butter, Eier, Käse, kurz die nothwendigsten Bedarfsartikel zu vertheuern, um sich selbst die vollen Taschen noch mehr zu füllen. Der in den letzten Jahren auf dem russischen Getreide lastende hohe Zoll war ihnen gewissermaßen Brief und Siegel für den Fortbestand des Hochschutzzolls.

Allein die Interessen der deutschen   Industrie und die Interessen der werkthätigen Masse im Deutschen Reich stehen im Widerspruch zu der Aufrechterhaltung eines starren Systems von Hochschutzöllen. Die deutsche Industrie braucht möglichst freien Zutritt zu den aus­ländischen Märkten; die werkthätige Masse kann sich nicht durch einen Zollfrieg mit einem auswärtigen Staat ihre Arbeitsgelegenheiten verschlechtern lassen, sie braucht billiges Brotgetreide. Deshalb ist unter dem Drängen der Verhältnisse in den letzten Jahren von der chinesischen Mauer der deutschen   Hochschutzzölle Stück um Stück ab­gebröckelt. Die Handelsverträge mit Desterreich, Rumänien  , Serbien  und Spanien   legten Breschen in sie. Der Handelsvertrag mit Ruß­ land   bedeutet einen weiteren und zwar einen entscheidenden Schritt nach vorwärts auf der Bahn der Abschaffung der Hochschutzölle. Er mußte deshalb die Galle der Agrarier so gewaltig erregen, ihr nächstliegender Zweck mußte es sein, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Und das haben auch die Herren mit großem Fleiß und heißem Be­

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mühen gethan. Unter dem Motto des Bismarck  'schen Ausspruchs: ,, Artige Kinder verlangen nichts, artige Kinder bekommen auch nichts", entfalteten sie eine Agitation, die es an wüster Demagogie mit dem Antisemitismus aufnehmen kann. In allen Tonarten erklang das Klagelied Jeremiä von der Nothlage der Landwirthschaft, d. h. von den kleinen Profiten der Konsumenten, landwirthschaftliche Arbeiter und Kleinbauern auspowernden Großgrundbesizer. Die patentirten Vertheidiger des Throns und des Monarchen von Gottes Gnaden sagten der Regierung die Bundesgenossenschaft auf, bekämpften ihre Politik in heftigster Weise, drohten mit offener Rebellion und zogen die Person des Kaisers in den Streit. Die agrarische Agitation zer­störte gründlich den Mythus von der unerschütterlichen Vasallentreue des Krautjunkerthums der Monarchie und dem Monarchen gegenüber. Sie zerstörte aber auch das Märchen von der Solidarität der Inter­essen zwischen Großindustriellen und Großgrundbesitzern. Wohl ver­einigen sich die Beiden gelegentlich zur Bekämpfung und Ausplünde­rung des Proletariats zu der einen reaktionären Masse. Aber eine jede der beiden Schichten hat ihre Sonderinteressen, die gelegentlich miteinander in Widerstreit gerathen, zu tieffressenden Familien­zwistigkeiten innerhalb der Kapitalistentlasse führen und zu ihrer Schwächung dem Proletariat gegenüber beitragen.

Dies erwies sich auch in Betreff der Frage des Hochschutzzolls, bezw. der Frage des Handelsvertrags mit Rußland  . Das 1879 in­augurirte System der Hochschutzölle liegt im Interesse der Groß­grundbesitzer, aber nicht in dem der Großindustriellen, die mit Aus­nahme etlicher Eisenkönige keinen Nutzen aus ihm gezogen haben, sondern vielfach geschädigt worden sind.

In dem noch halbabsolutistischen Deutschland   übt nun zwar das Krautjunferthum einen sehr großen Einfluß auf den Gang des politi­schen Lebens aus, allein es ist nicht mehr allmächtig. Es vermochte Liebesgaben und Vergünstigungen aller Art auf Kosten der steuer­zahlenden Masse zu erringen, es vermochte aber nicht, den Interessen der Industrie und der werkthätigen Masse gegenüber das System des Hochschutzzolls auf die Dauer aufrecht zu erhalten. Allerdings war es nicht die das industrielle Kapital vertretende Bourgeoisie, welche im Vordertreffen des Kampfes stand und seine Entscheidung herbei­führte. In schwächlicher, zaghafter Weise trat das deutsche Bürger­thum für die Beseitigung des Hochschutzzolls ein, die ihre ureigensten Interessen forderten. Wie ganz anders energisch und fraftvoll führte da seiner Zeit die englische Bourgeoisie den Kampf für die Beseitigung des Kornzolls. Der Kampf um den russischen Handelsvertrag hat einen Beweis mehr dafür erbracht, wie schwächlich und kurzsichtig das deutsche Großbürgerthum ist. Statt seiner hielten Kleinbürger­thum und Arbeiterklasse den Kampf und gaben den Ausschlag. Charakte ristisch ist, daß man in dem einen wie dem anderen Lager mit der Sozialdemokratie rechnen mußte, d. h. mit dem politisch organisirten Theil des klassenbewußten Proletariats. Die Agrarier hätten ihren Widerstand gegen den Handelsvertrag gern bis zum Aeußersten fort­gesetzt, aber sie fürchteten eine Reichstagsauflösung, weil diese nur der Sozialdemokratie zu gute gekommen wäre. Die Regierung hätte ihrerseits die widerspenstigen Junker zu Paaren getrieben, aber auch sie fürchtete aus dem nämlichen Grunde eine Reichstagsauflösung.

Der eigentliche Kampf um den russischen Handelsvertrag wurde nicht im Reichstag ausgefochten. Schon lange vor der Berathung der diesbezüglichen Regierungsvorlage waren in der Oeffentlichkeit alle Gründe für und wider dieselbe geltend gemacht worden. Die Verhandlungen des Reichstags über den Vertrag entbehrten deshalb auch des tieferen Interesses. Weder seine Freunde noch seine Gegner konnten neue Erwägungen ins Feld führen. Die bekanntesten agrari­schen Parlamentarier erschöpften sich vergeblich in dem Bemühen, die Nothwendigkeit und den Nutzen des Ausnahmezolls auf russischem Roggen nachzuweisen. Neu und überraschend war nur die Behauptung des Grafen Mirbach, Deutschland   brauche nichts von Rußland   außer Kaviar. Daß die Herren, anstatt sich mit der Ermäßigung des Zolls abzufinden, am liebsten noch eine Erhöhung desselben auf 6 Mark erbettelt hätten, entspricht nur der junkerlichen Begehrlichkeit, welche bis dato durch die Willfährigkeit der Regierung nur immer anspruchs­voller geworden ist. Uebrigens erklärten konservative Redner, daß sie eventuell den höheren Kornzoll fahren lassen wollten, wenn ihnen Entschädigungen dafür geboten würden. Als solche wollten sie vor Allem die Einführung der Silberwährung. Diese würde ihnen nämlich ermöglichen, ihre Schulden in dem minderwerthigen, aber künstlich zu hohem Kurs emporgeschraubten Silber zu zahlen und dabei fette Profite zu machen. Die Geschenke, welche die Regierung den zürnenden Ochsen­grafen bot und die der Reichstag bewilligte die Aufhebung der Staffeltarife und des Identitätsnachweises, schienen den Herren geringwerthig. Doch war die Zurückweisung derselben nur leere Spiegelfechterei, um größere Liebesgaben erschachern zu können. Die