ihren im Laufe der Zeit verschuldeten und überschuldeten Besitz an die Scholle gebunden und konnten nicht in anderen Gegenden lohnen deren Erwerb aufsuchen. Unter solchen Verhältnissen standen dem Kapitalisten Arbeitskräfte zur Verfügung, die er bis zur alleräußersten Grenze der Ausbeutungsmöglichkeit auspressen konnte. Dort, wo die Dinge anders lagen, fand das findige Unternehmerthum andere Mittel und Wege, das nämliche Ziel zu erreichen. Das Heim der Haus industriellen ist überall zur Hölle geworden.

Emanuel Hans Say, ein Mann aus den bürgerlichen Reihen, entwirft in seinen Schriften über die Hausindustrie in Thüringen" von den Verhältnissen in der Korbflechterei eine meisterhafte Schil­derung. Es ist zwar schwer zu sagen, in welcher Art der Haus­industrie die Ausbeutung am unverschämtesten betrieben wird, aber es ist klar, daß die Ausbeutung der unglücklichen Korbstricker mit ihren Frauen und Kindern nicht mehr überboten werden kann. Unter den ca. 50 Großhändlern des oberfränkischen Bezirks herrscht ein edler Wetteifer, wer von ihnen die meisten Profite aus dem ſauren Schweiß der Körbe flechtenden Proletarier herauszuschinden versteht. Die Korbhändler liefern dem Heimarbeiter das Rohmaterial und be­gaunern ihn dabei auf die denkbar raffinirteste Art. Preisaufschläge von zehn bis dreißig Prozent sind garnichts Seltenes. Daneben blüht in den Korbmacherdistrikten noch das Trucksystem in seiner scheuß lichsten Gestalt und bietet den Ausbeutern eine willkommene Hand­habe, den ausgemergelten Proletarier auch noch um den Baarwerth seines Hungerlohnes zu betrügen, der sich im günstigsten Falle auf vierzig Pfennig pro Tag beläuft. Wenn der Korbhändler dem Heim­arbeiter nicht den Stuhl vor die Thür sehen sollte, dann mußte dieser unweigerlich alles nehmen, was ihm für sein schwer erworbenes Geld natür an nüßlichen und unnützen Dingen aufgehängt wurde, lich zu hohem Preisausschlag, denn wo bliebe sonst der Profit? Ja, die Kapitalisten trieben noch offenbar ihren Hohn und Spott mit ihren Händen". Junge Mädchen erhielten zuweilen einen Theil ihres Lohnes in Zigarren ausgezahlt oder gelegentlich auch ein­mal in Blechwaaren, für die sie feine Verwendung hatten; einem Arbeiter wurde ein Spazierstock überreicht und ihm dafür ein nam­hafter Betrag von seiner Lohnforderung gestrichen. Schließlich mußten die Arbeiterinnen sogar die alten Hüte der Fabrikantenfrauen an Zahlungsstatt annehmen. Das Gesetz fand sich anfangs mit dieser Vergewaltigung der Korbstricker sehr einfach ab, indem es sie für selbständige Gewerbetreibende" erklärte, die außerhalb des Rahmens unferer glorreichen Arbeiterschutz- Gesetzgebung stehen. Dieses Urtheil das Lichtenfelser Bezirksamt genießt den Ruhm, es ausgeheckt zu haben wurde später allerdings von einer höheren Instanz berichtigt. Dennoch aber ist unter den oberfränkischen Hausindustriellen das Trucksystem bis auf den heutigen Tag im Schwange, denn es findet einen festen Rückhalt in der wirthschaftlichen Zwangslage der Korb­flechter und flechterinnnen.

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Die grauenhaften Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse der Haus­industriellen sind bekannt, es erübrigt sich daher wohl, auf die der Korbstricker hier besonders einzugehen. Ein hohes Alter erreichen nur ganz Wenige unter ihnen. Die meisten rafft die Proletarierkrank­heit, die Schwindsucht, frühzeitig dahin. Von der Wiege bis zur Bahre lernen sie nichts anderes kennen als Arbeit und Noth ohne Ende, dazu schmählichste Schuhriegelei und Betrug. Dennoch hat das Elend sie nicht ganz stumpfsinnig gemacht. Auch hier hat die Hausindustrie

um mit Professor Sombart zu sprechenden Kanal gebildet, durch den das Gift revolutionärer Bestrebungen in die landwirth­schaftliche Bevölkerung geleitet wurde." Ein Beweis hierfür ist die bei den letzten Reichstagswahlen abgegebene stattliche Zahl sozial­demokratischer Stimmen in dem oberfränkischen Wahlkreis Kronach , der hauptsächlich von Korbstrickern bewohnt wird.

Trotzdem das Elend der Korbstricker im Oberfränkischen und Roburgischen zum Himmel schrie, fanden sich noch soziale Quacksalber, welche die hausindustrielle Korbflechterei nach anderen Gegenden unferes sogenannten Vaterlandes verpflanzen wollten. Sie hatten dabei nicht mehr und nicht weniger im Sinne, als den Teufel der Webernoth in Schlesien durch den Beelzebub der Korbmachermifère auszutreiben. Im Kreise Falkenberg waren den biederen Stadt­gewaltigen die Armenlasten über den Kopf gewachsen, und sie suchten nun einen praktischen Ausweg in der Einführung der Korbflechterei, um, alten Personen, welche zu schwereren Arbeiten nicht mehr im Stande waren, sowie Kindern einen immerhin noch lohnenden Verdienst zu sichern. Natürlich erlebten die bürgerlichen Wohl­thäter mit diesem menschenfreundlichen Plan einen glänzenden Reinfall.

Das schöne Thüringer Land, dessen landschaftliche Reize alljähr­lich von vielen Tausenden bewundert werden, in dessen Kur- und Badeorten die Bourgeoisie das Geld mit vollen Händen ausgiebt, es birgt in seinen malerisch gelegenen Dörfern die grauenhaftesten Höhlen

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des Elends. Neben der Korbmacherei haben dort die Spielwaaren­industrie, die Schiefertafel- und Griffelmacherei, die Korkschneiderei, sowie eine ganze Reihe anderer Hausindustrien ihren festen Sig. Bei achtzehn bis zwanzigstündiger Arbeitszeit in der Saison ver­dient der Sonneberger Hausindustrielle mit der Anfertigung hölzerner Spielfachen wöchentlich 7-9 Mt. 44 Prozent der Arbeiter, welche über 15 Jahre zählen, gehen dort an Lungenkrank­heiten zu Grunde.* Die Puppenperrücken- Arbeiterinnen bringen es bei ähnlich hoher Arbeitszeit auf ME. 3,50 bis 4,50 pro Woche. Die Schiefertafel- und Griffelmacher verdienen bei achtzehnstündiger Arbeitszeit 6 Mk. Als der Staat, um der Schieferindustrie etwas aufzuhelfen, die Griffelbrüche in eigene Regie nahm, trat nur eine ganz geringfügige Besserung in der Lage dieser zum Hungertode ver­urtheilten Menschen ein. Für 1000 Stück Griffel werden ganze 85 Pf. Lohn gezahlt. Dabei darf ein Griffelmacher nicht mehr als 20 000 Stück in einer Woche liefern. Von dem Wochenverdienst der ganzen Familie gehen dann noch mehrere Mark für die Benutzung des Schieferbruches ab. Das Fortschaffen der Erd- und Schuttmassen von den Brüchen wird von den ausgehungerten Griffelmachern und ihren Familien unentgeltlich verlangt. Nach den Akten des Landraths zu Saal­ feld ist der Verdienst der Tafelmacher so gering, daß sie förmlich ge­zwungen sind, das Rahmenholz aus den meiningenschen Staatsforsten zu stehlen." Wehe aber dem Unglücklichen, der sich dabei abfassen läßt! Er bekommt gewiß die ganze Härte der modernen Klassenjustiz zu fühlen.

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Die Thüringer Schachtelmacher verdienen drei Mark in der Woche. Die Ruhlaer Meerschaum- Arbeiterfamilien erarbeiten ihren Hungerlohn in fünfzehn bis sechzehn Arbeitsstunden des Tages. Im Eisenacher Oberland schindet eine ganze Kortschneiderfamilie bei voller Beschäftigung fünf bis höchstens acht Mark in der Woche zusammen."

In Bezug auf ihre Hungerlöhne sind den von Sax geschilderten Hausindustrien die Nürnberger Spielwaarenindustrie, die Filzschuh­industrie in Herzogenaurach ( Bayern ), die Perlenstickerei im Kehlgrunde ebenbürtig. Say erwähnt ferner die Phosphorzündhölzchen- Industrie in Neustadt a. R., die schon oft todtgesagt worden ist, aber dennoch dem Veilchen gleich im Verborgenen weiterblüht. Sie hat ihren An­gehörigen zu den übrigen scheußlichen Mißständen der Heimarbeit noch eine furchtbare Krankheit bescheert, die Phosphornekrose, eine brandige Entzündung und schließliche Zerstörung der Kieferknochen. Die in den genannten Hausindustrien beschäftigten Leute sind durch Ueberarbeit und Unterernährung so entkräftet, daß sie kaum noch im Stande sind, ihre kleine Landwirthschaft nothdürftig versorgen zu können.

Es mag hier noch eine kleine Blüthenlese von Hunger- Industrien folgen, wo ähnliche Lohn- und Arbeitsverhältnisse, wie die angeführten, anzutreffen sind. Da finden wir in Sachsen die Musikinstrumenten­macherei, wo bei vierzehn- bis fünfzehnstündiger Arbeitszeit die Saiten­macher einen Jahresverdienst von 300-400 Mt., die Bogenmacher von 400-500 Mk. und die Geigen- und Zithermacher von 500 bis 750 Mt. erzielen. Das sind, wenn man sich auf den Sozialökonomen Bein verlassen kann, noch die Fürsten unter den Hausindustriellen, denn sie können sich ein bis zweimal in der Woche Fleisch gönnen! Im Taunus wird das Nägelschmieden vielfach als Hausindustrie be­trieben. Diese Arbeit ist sehr gesundheitsschädlich. Sie zwingt den schmiedenden Proletarier zu anhaltend gebückter Haltung und zum Einathmen des Kohlenstaubes. Trotzdem beträgt auch hier die Arbeits­zeit nicht unter zwölf Stunden. Von Frauen wird im Taunus haupt­sächlich die Filetstrickerei betrieben, die ihnen einen Wochenverdienst von Mt. 3 bis 3,50 bei einer Arbeitszeit von 6 Uhr Morgens bis mindestens 10 Uhr Abends"** bringt.

Alle diese unglücklichen Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen tennen feinen Feierabend, keine Sonntagsruhe. Stunde für Stunde, Tag für Tag steht der Hunger mit der Hezpeitsche hinter ihnen und treibt sie, die fleißigen Hände auch nicht einen Augenblick ruhen zu lassen. So spinnt sich ihr Leben in grauer Eintönigkeit ab, bis der Tod sie abruft.

Der erste entscheidende Schritt zur Besserung der entsetzlichen Erwerbs- und Arbeitsverhältnisse der Heimarbeiter ist nur zu erwarten von der gesetzlichen Regelung der Hausindustrie und ihrer Unterſtellung unter eine hinlängliche und gewissenhafte Gewerbeinspektion. Aber freilich, gegen diese Maßregel sträubt sich das Unternehmerthum mit Händen und Füßen. Nur dem zähen, heißen Kampf der Arbeiterklasse auf politischem Gebiete, nur der steigenden politischen Macht des Prole­tariats wird es gelingen, dem Klassenstaat eine Reform zu entreißen, welche eine Nothwendigkeit ist nicht nur im Interesse der Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen, welche unter dem Uebermaß ihrer Ausbeutung verkommen, sondern im Interesse des gesammten Proletariats.

* Say, Hausindustrie".

** Prof. W. Stiede, Die deutsche Hausindustrie.