---- Lur� Stone. Im Oktober 1893 starb in Boston   eine unermndliche Ruferin im Streit für Recht und Gerechtigkeit: Frau Lucy Stone  . Mit dem Wort und der Feder hatte sie allezeit tapfer und unentwegt für ein hehres Ideal gestritten, für die gleichen Rechte Aller, die Menschen- antlitz tragen. Die Verstorbene war in den Vereinigten Staaten   lange Jahrzehnte hindurch eine der aufopferndsten, selbstlosesten, fähigsten und energischsten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts; sie stand seiner Zeit im Vordertreffen des Kampfes für die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichberechtigung der Farbigen. Als Geist und als Charakter war sie gleich bedeutend. Ihr Leben und Wirken ist ein glänzendes Beispiel dafür, daß allen Vorurtheilen zum Trotz eine charaktervolle Frau sich in der Oeffent- lichkeit als Vorkämpferin einer Idee bethätigen kann, ohne daß sie! dadurch an Zartheit der Empfindung, an Tiefe des Gemüthslebens einbüßt, und ohne daß ihre Aufgaben als Gattin und Mutter leiden. Die nämliche Frau, welche in Hunderten von Versammlungen, in zahllosen Artikeln und Flugblättern die Sache der Frauen und Neger vertrat, war ihrem Manne eine liebevolle Gefährtin und Mitarbeiterin, ihren Kindern eine treusorgende Mutter, ihren Freunden eine theil- nehmende Beratherin und Helferin; sie stand ihrem Haushalt mit einer Umsicht und einem Geschick vor, welche die Wirthschaftsführung gar mancher auf die Beschränktheit desewig Weiblichen" geaichten Hausfrau tief beschämt. Lucy Stone   wurde am 13. August 1318 auf einer Farm bei West Brookfield im Staate Massachussetts   als achtes von neun Kindern geboren. Von ihrer Familie her wurden ihr offenbar Eigenschaften vererbt, welche sie zu ihrer späteren Rolle befähigten: ein starkes Rechts- und Freiheitsgefühl, der Drang und die Willenskraft, für das als wahr Erkannte zu kämpfe». Verschiedene ihrer Vorfahren hatten in den Kämpfen für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten   mit Begeisterung gestritten. Lucys Vater war ein rechtlicher, aber starr-! köpfiger Mann, durchdrungen von der Ueberzeugung, daß die Frau dem Manne unterthan sein müsse. Die Mutter theilte diese Ansicht, obgleich sie Manches darunter zu leiden hatte, sie war eine sanfte, liebenswürdige Frau. Lucy wuchs als kräftiges, gesundes Bauern­mädchen heran. Sie zeichnete sich von Kindheit auf aus durch ihre Unerschrockenheit, Wahrhaftigkeit, ihren Eifer beim Lernen und ihren Fleiß bei allen Geschäften in Haus, Hof und Feld. Als barfüßige Hirtin trieb sie die Kühe oft auf die Weide, wenn noch die Sterne am Himmel glänzten. Schon frühzeitig wurde Lucys Entrüstung durch die Art und Weise erregt, in welcher ihre Mutter lind andere Frauen ihrer Bekannt­schast von ihren Männern behandelt wurden. In ihrem kindlichen Geist stand deshalb der Entschluß fest, daß die Gesetze abgeschafft werden müßten, welche dieser Behandlung den Schein des Rechts verleihen. Sie war noch ein sehr kleines Kind, als sie eines Tages in der Bibel den Spruch fand, der am schärfsten charakterisirt, welche Stellung Judenthum   und Christenthum der Frau dem Manne gegen über anweisen:Dein Wille soll Deinem Mann unterthan sein, und er soll Dein Herr sein." Sie wollte zuerst aus Verzweiflung über diesen Spruch sterben. Dann erschien es ihr unfaßbar, daß die Religion dem Manne eine so unumschränkte Herrschaft über die Frau einräumen könne. Sie beschloß deshalb griechisch und hebräisch zu lernen, um im Stande zu sein, die Bibel im Urtext zu lesen und zu kon- trolliren, ob sich in ihr die betreffenden Worte thatsächlich befänden. Ihr Vater ließ seinen Söhnen eine sehr gute Ausbildung geben, als ihm aber die Tochter erklärte, sie wolle ins College eintreten, meinte er, sie sei verrückt geworden, und verweigerte ihr jegliche Mittel. Lucy sammelte und verkaufte Beeren und Kastanien, für den Erlös schaffte sie sich Bücher an. Sie hatte bald soviel Kenntnisse erworben, daß sie als Lehrerin angestellt wurde und lehrte und lernte nun abwechselnd, beides mit gleichem Erfolge. Ihre Thätigkeit war so wenig einträglich, daß sie 25 Jahre alt ward, ehe sie genug gespart hatte, um in das Oberlin College   eintreten zu können, die einzige Hochschule, welche damals den Frauen offen stand. Da sich ihr Vater noch nicht mit ihrem Plan ausgesöhnt hatte, so mußte sie während ihrer Studienzeit für ihren Unterhalt selbst sorgen. Sie ertheilte Privatunterricht und schaffte als Aufwärterin in dem Fraueninternat, das mit dem College verbunden war. Sie erhielt für die letztere Arbeit etwa 12 Pfennig die Stunde und verdiente Alles in Allem nicht einmal soviel, daß sie den Pensionspreis in dem Internat einen Dollar(4 Mark, die Woche entrichten konnte. Sie kochte deshalb ihre Mahlzeiten selbst und verausgabte für ihren Unterhalt weniger als 2 Mark wöchentlich. Während ihrer Studienzeit besaß sie ein einziges Kleid, ein billiges Baumwollenfähnchen, das ihr vier Jahre lang dienen mußte. Trotz der furchtbaren Aermlichkeit ihrer Verhältnisse war sie stets heiter und zufrieden und ermöglichte es. kleine Summen und viel Zeit für gute Zwecke aufzuwenden. Schon während ihrer Studienzeit wendete sie ihre volle Auf­merksamkeit und Sympathie der Bewegung zu für die Abschaffung der Sklaverei. Sie sammelte nicht für die Missionäre, sondern für die Antisklaverei-Vereinigung und setzte es trotz des Protestes der Professoren und der Professorenfrauen durch, daß im Lesezimmer des Colleges derLiberator" auflag, welcher die Sache der Neger mit Energie verfocht. Nach vierjährigen Studien bestand Lucy Stone   ihr Examen mit Auszeichnung. Sie wurde beauftragt, für die öffentliche Prüfung eine Schrift zu verfassen, die von einem Professor verlesen werden sollte, da esunschicklich sei, daß eine Frau auf der Redner­tribüne erscheine". Als sie dies erfuhr, schrieb sie den Aufsatz nicht nieder, so daß man gezwungen war, ihn von ihr selbst vortragen zu lassen. Als etwa 40 Jahre später das Oberlin College   sein fünfzig­jähriges Jubiläum feierte, sprach Lucy Stone   im Namen der Hoch­schule. So hatte sich mit der Zeit die Auffassung von der Stellung und den Rechten der Frau geändert, und dies gerade zum Theil Dank der unermüdlichen Agitation Lucy Stone's  . 1847 trat diese zuerst öffentlich als Rednerin auf für die Ab­schaffung der Sklaverei und die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Alle gesellschaftlichen Vorurtheile erhoben sich gegen ihr öffentliches Auftreten. Sie wurde als eine Art Ungeheuer betrachtet, gescholten und verabscheut, verlacht, verhöhnt und beschimpft. Ihr Name wurde zu einem Spottnamen. In ihrer Kampagne für die Abschaffung der Sklaverei stand sie nicht allein da, sie hatte innige Fühlung mit den Organisationen, welche die Befreiung der Neger erstrebten, sie fand Rückhalt an einer mächtigen Bewegung. In ihrem Kampf für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts war sie dagegen anfangs nur auf sich selbst angewiesen. Sie kannte in den Vereinigten Staaten   nur ganz vereinzelte Personen, welche der Idee der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts sympathisch gegenüber standen. Keine einzige Organisation war vorhanden, welche für diese Idee eintrat. Wie eine Predigerin in der Wüste zog Lucy Stone   in den Vereinigten Staaten   von Ort zu Ort, um das Evangelium von den Menschenrechten der Frau zu verkünden. In so und so vielen Städten, wo sie kein Lokal erhielt, steckte sie eigenhändig mittels von Pfählen und Stricken den Platz ab, wo sie eine Versammlung abhalten wollte. Die Straßenjugend suchte sie bei diesem Geschäft zu störe», und sie mußte oft eine Art Vorversammlung abhalten, um alle Vor­bereitungen zu Ende führen zu können. Während ihrer Vorträge fehlte es nicht an Versuchen, die Rednerin in Verwirrung zu bringen, die Versammlung zu stören. Einmal wurde das Fenster hinter der Rednertribüne eingeschlagen und der eiskalte Wasserstrahl einer Feuer­spritze auf sie gerichtet. Lucy Stone   hüllte sich in ihren Shawl und sprach ruhig weiter. Ein anderes Mal wurde die Rednertribüne ! vom Publikum gestürmt. Alle Redner flüchteten, Lucy Stone   allein blieb kaltblütig stehen und ersuchte den Führer der Radaumacher, welcher mit einem großen Knüppel auf sie zustürzte, sie aus dem Saale zu geleiten. Verblüfft, aber respektvoll kam der Mann ihrem Ansuchen nach und beschützte sie sogar, als sie etliche Minuten später im Freien, auf einem Baumstumpf stehend, sich an die tosende Menge wendete. Ihre Worte machten einen so tiefen Eindruck, daß das Publikum lautlos lauschte und sogar durch eine Sammlung das Geld aufbrachte, um einem der Redner den Rock zu bezahlen, der ihm im Getümmel zerrissen worden war. In den meisten Städten, wo sie sprach, war vor ihr noch nie eine Frau als Rednerin aufgetreten, und die Neu­gierde führte ihr deshalb zahlreiche Zuhörer zu. Dem allgemeinen Vorurtheil entsprechend stellte sich das Publikum unter einer öffentlich austretenden Frau, einer Vorkämpferin der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts ein großes, grobknochiges, linkisches Mannweib vor, das mit gellender Stimme keifte. Statt dessen lernte es in Lucy Stone  . eine zierliche, anspruchslose, bescheidene Frau kennen, von ge­winnendem Benehmen und äußerst melodischer Stimme. Dem Wohl­klang ihres Organs und der Macht ihrer hinreißenden Beredsamkeit hatte sie überall die größten Erfolge zu verdanke». Ihr lauschte die Menge, wenn sie sonst keinen Redner hören wollte; der Zauber ihrer Persönlichkeit gewann der Sache der Frauen und Neger die Sympathie von Leuten, welche durch keine noch so tristigen Gründe für diese Sache zu gewinnen gewesen waren. Die Energie und die Setbsl- losigkeit, mit welcher sie ihre Ideale verfolgte, riß allmälig auch die Gegner zu Bewunderung hin. Es verfehlte nicht seinen Eindruck, daß die Frau, welche Kraft ihrer Kenntnisse und ihres Geistes eine glänzende Stellung hätte einnehmen könne», in größter Dürftigkeit lebte. Lucy Stone   ging ganz in dem Kampf für die Gleichberechtigung auf, ihre persönlichen Interessen nahm sie so wenig wahr, daß sie oft nicht das Geld besaß, eine warme Mahlzeit, eine ordentliche Wohnung zu bezahlen, ein nöthiges Kleidungsstück zu kaufen.