Nr. 8 der ,, Gleichheit" gelangt am 18. April 1894 zur Ausgabe.

Im Jahre 1855 verheirathete sie sich mit einem jungen Kauf mann, Henry Blackwell  , der wie sie ein leidenschaftlicher Gegner der Sklaverei und ein begeisterter Verfechter der Frauenrechte war. Stone   hatte gedacht, sich nie zu verheirathen und sich ausschließlich der Agitation für ihre Ideen zu widmen. Blackwell versprach ihr, ein treuer Mitstreiter im Kampfe zu sein, und er überzeugte sie, daß sie beide mit vereinten Kräften mehr leisten würden, als Jeder für sich allein. Das Brautpaar ließ einen Geistlichen aus einer Entfernung von dreißig Meilen kommen, damit die Trauung stattfand, ohne daß die Worte gesprochen wurden: Und er soll Dein Herr sein." Lucy Stone   veröffentlichte mit Blackwell zusammen einen Protest gegen die gesetzliche Ungerechtigkeit, welche dem Gatten unbedingtes Verfügungs­recht einräumt über das Vermögen, die Einkünfte, die Person seiner Frau, sowie über die gemeinsamen Kinder. Daß das betreffende Gesetz geändert wurde, ist zum großen Theil ihrer unablässigen Agitation da­gegen zu verdanken. Lucy Stone   behielt auch nach ihrer Verheirathung ihren Mädchennamen bei, denn sie sah in dem Aufgeben desselben ein Symbol des Verlusts der persönlichen Freiheit und Rechte der Frau.

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Nach ihrer Verheirathung stand sie mit ihrem Mann zusammen wie vorher in den vordersten Reihen der Kämpfer für die Gleich­berechtigung der Entrechteten. Beide zusammen hielten Versamm­lungen über Versammlungen ab, vertraten die Jdee der Gleichberechti­gung Aller in Schriften und Artikeln und nahmen hervorragenden Antheil an all den Bewegungen, welche in den Einzelstaaten der großen Republik   die Ausdehnung des Stimmrechts zu Gunsten der Farbigen und Frauen bezweckten. 1866 betheiligte sich Lucy Stone  . an der Gründung des Bundes für die Gleichberechtigung", dessen Vorsitz sie mehrere Jahre führte. 1869 gründete sie zusammen mit den bekanntesten nordamerikanischen Vorkämpfern für die Frauenrechte den ,, Amerikanischen Bund für das Wahlrecht der Frauen". Sie führte fast 20 Jahre lang die Leitung dieser Organisation, welche der Sache der bürgerlichen Gleichberechtigung der Frau große Dienste geleistet hat. Als es sich darum handelte, ein Organ der Frauenbewegung zu gründen, so brachte Lucy Stone   den größten Theil der erforder­lichen Mittel zusammen. So konnte 1870 The Woman's Journal" ( Das Frauenblatt) gegründet werden. Lucy Stone   arbeitete von Anfang an an der Zeitung fleißig mit, von 1872 ab führte sie zusammen mit ihrem Gatten und später mit ihrer Tochter die Redaktion. Ein schweres rheumatisches Leiden fesselte die charaktervolle und energische Frau während der letzten Jahre ihres Lebens viel ans Haus und machte ihr die Agitation in Versammlungen fast ganz zur Unmöglichkeit. Aber Lucy Stone   fuhr fort, am Schreibtisch mit der Feder für die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu kämpfen. Sie hatte die tiefe Genugthuung, die Emanzipation der Neger zu erleben, sie war Zeuge der bedeutenden Fortschritte, welche die Gleichberechti­gung der Frau in den Vereinigten Staaten   machte, und sie starb in der festen Ueberzeugung, daß die volle sozialpolitische Gleichstellung des weiblichen mit dem männlichen Geschlecht in nicht zu ferner Zukunft verwirklicht werden würde.

Bei ihrem Tode ließen alle amerikanischen   Blätter, ohne Unter­schied der Richtung, der Verblichenen volle Gerechtigkeit widerfahren. Die Energie ihres Willens, die Lauterkeit ihres Charakters, die Selbst­losigkeit ihres Strebens nöthigten auch den Gegnern Achtung ab. Als Person und für ihr Wirken hat sie das ihr reichlich gespendete Lob verdient: Sie zählt zu der kleinen Schaar der Helden des Geistes, die unbekümmert um den persönlichen Vortheil, das persönliche Wohl, sich mit glühender Seele einer Jdee hingeben und für ihr Jdeal Alles zu leisten und Alles zu opfern im Stande sind. Ihr Leben lang tämpfte sie den guten Rampf für Menschenrecht und Menschenglück. Es war ihre tiefinnerste Ueberzeugung, daß mit der Gleichberechti­gung der Neger und der Frauen die Gleichstellung alles Dessen ver­wirklicht sein würde, was Menschenantlig trägt. Die Klaffengegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Kapitalist und Proletarier waren ihr nie zum Bewußtsein gekommen, sie wußte deshalb auch nichts von der Nothwendigkeit des Kampfes für die Befreiung der Arbeiter klasse, für die Beseitigung der kapitalistischen   Gesellschaft. Ihrer Meinung nach bedeutete die Verwirklichung der Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung für das gesammte weibliche Geschlecht die volle soziale Freiheit; ihrer Meinung nach verschwand mit der Ungleichheit zwischen Mann und Frau die letzte soziale Ungleichheit und Un­gerechtigkeit überhaupt aus der Gesellschaft. Daß sie so dachte, ist erklärlich genug. Zu ihrer Zeit waren in den Vereinigten Staaten  die Klassengegensätze innerhalb der Frauenwelt noch nicht so schroff in Erscheinung getreten, wie heutzutage. Es bestand in der Folge auch noch nicht der Gegensatz zwischen bürgerlicher Frauenbewegung und sozialistischer Arbeiterinnenbewegung. Und als in den letzten Jahren vor ihrem Tode die Kluft zwischen Bourgeoisdamen und Proletarierinnen immer sichtbarer ward, als die Frauen ihrerseits

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hineingerissen wurden in den Klassenkampf, in das Ringen zwischen Kapital und Arbeit, da war Lucy Stone   bereits zu alt, um sich noch in eine ganze neue Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse hin­einarbeiten zu können. Hätte sie einer späteren Generation angehört, fein Zweifel, sie wäre eine der hervorragendsten und thätigsten Vorkämpferinnen geworden für die Rechte des Proletariats. Denn ihr Herz schlug in heißem Mitgefühl für alle Unterdrückten und Leidenden, ihr Geist erfaßte mit glühender Begeisterung die Idee, daß alle Menschen gleichgeboren ein adliges Geschlecht sind", und ihre Energie konnte sich nicht genug thun im Kampf für ihre Ideale.

Kleine Nachrichten.

Vornehme Schmuskonkurrenz. In der Berliner   Konfektions­branche machen bessere Frauen" und" höhere Töchter", zumal aus dem Beamtenstande, den eigentlichen Konfektionsarbeiterinnen eine geradezu tödtliche Schmußkonkurrenz. Die Niedrigkeit der Löhne, zu denen diese Damen arbeiten, ist ganz beispiellos. So wurde durch eine Enquête seitens der organisirten Mäntelnäher und Mäntelnäherinnen festgestellt, daß in Moabit   Beamtenfrauen und Beamtentöchter in verschiedenen Werkstellen für das Anfertigen eines Mantels, bezw. Jaquets mit 25 Pfennig bezahlt werden. Einzelne der Damen wurden gefragt, wie sie zu solchen Lohnfäßen schaffen könnten, und ob sie sich nicht schämten, durch ihre Konkurrenz den Verdienst der eigentlichen Arbeiterinnen zu drücken. Ja, wir müssen doch standesgemäß gekleidet gehen, und das Gehalt unserer Männer reicht nicht so weit", lautete die Antwort. In vielen anderen Industriezweigen, in denen die Frauenarbeit eine große Rolle spielt, liegen die Dinge ähnlich. Die Frauen und Töchter der mittelbürgerlichen Kreise werden durch wirthschaftlich ungünstige Verhältnisse und durch den aus Vorurtheil und Gewohnheit erzeugten Drang standesgemäß" zu leben, zum Er­werb gezwungen. Sie sind zu dünkelhaft, um sich als Proletarierinnen zu fühlen, um zuzugeben, daß sie für Geld" aus Noth arbeiten. Sie lassen sich wahre Hungerlöhne bieten und drücken durch ihre Schmutz­konkurrenz die Erwerbsverhältnisse der Berufsarbeiterinnen auf das denkbar niedrigste Niveau. Die Damen kommen so zu ihren standes­gemäßen" Toiletten, der kapitalistische Unternehmer säckelt fettere Profite ein, und die Berufsarbeiterin zahlt die Zeche für Alles, sie muß den Hungerriemen fester schnallen, damit Frln. X. Y. 3. in einem funkelnagelneuen Frühlingskostüm den Neid ihrer theuren Freun­dinnen" erwecken kann.

Der sechste norwegische Arbeiterkongreß tagte vom 22. bis 25. Januar in Stien und war von 62 Vertretern der vereinigten Landesverbände besucht. Am ersten Verhandlungstage nahm er zur Frage des Wahlrechts einstimmig folgende Resolution an: Indem der Kongreß an der Forderung des fünften allgemeinen Arbeitertages auf Einführung des allgemeinen Stimmrechts für Männer und Frauen in Staat und Kommune festhält, fordert der Kongreß als Bedingung für die Zusammenarbeit mit der Linken bei der kommenden Wahl: 1) Daß das allgemeine Stimmrecht für Männer und Frauen nach dem vorliegenden Verfassungsgesetz- Vorschlag in der nächsten Parla­mentsperiode durchgeführt werde. 2) Wenn eine Zweidrittel- Majorität nicht erreicht wird, so wird das allgemeine kommunale Stimmrecht durch Gesetz eingeführt." Ueberall wo die Arbeiterklasse das allge­meine Wahlrecht fordert und für diese seine Forderung in den Kampf tritt, da wird dieses Recht auch für die Frauen beansprucht. Das klassenbewußte Proletariat fennt kein Vorurtheil gegen das Geschlecht, und sein Klasseninteresse zwingt es, die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu erstreben, damit die proletarischen Frauen unbehindert mit aller Energie am Kampfe gegen die kapitalistische Gesellschaft theilnehmen können.

Fortschritt zeitigt Armuth in der heutigen Gesellschaft und für die Angehörigen des Proletariats. In Amerita ist eine Maschine für die Plattstickerei eingeführt worden, welche mit jeder Nähmaschine verbunden werden kann. Wenn die günstigen Berichte über die Lei­stungen dieser Maschine der Wahrheit entsprechen, so dürfte die Ma­schine bald allgemein eingeführt werden und eine vollständige Um­wälzung eines Gebiets der weiblichen Handarbeit herbeiführen. Die allgemeine Verwendung der Maschine würde eine sehr bedeutende Menge weiblicher Arbeitskräfte überflüssig machen. Hunderte, ja Tausende von Handarbeiterinnen flögen brotlos aufs Pflaster, und der Verdienst der Stickerinnen würde ganz beträchtlich sinken. In der kapitalistischen   Gesellschaft kommt der Fortschritt der arbeit­sparenden, reichthummehrenden Maschinen nur der winzigen Handvoll Unternehmer zu gute. Für Arbeiter und Arbeiterinnen bedeutet die Vervollkommnung der Produktionsmittel dagegen größeres Elend und härtere Ausbeutung.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Eißner) in Stuttgart  . Druckt und Verlag von J. H. W. Diez in Stuttgart  .