Freunden der tönenden Phrase und der melodramatischen Posen und Effekte als eine bloße kleinliche Reformforderung erscheinen. Sie ist nichtsdestoweniger revolutionär, denn sie zweckt darauf ab, dem Proletariat Ellbogenraum zu schaffen, die Kraft zu stählen für den letzten heiligen Krieg. Sie ist revolutionär, denn ihre Verwirklichung beschleunigt auf wirthschaftlichem und politischem Gebiete den ehernen Schritt der Entwicklung zum Sozialismus. Sie ist revolutionär, denn der Kampf für diese Forderung beweist der indifferenten Masse des Proletariats, daß sie nichts von dem Wohlwollen und der Einsicht der Besißenden und Staatsgewaltigen zu hoffen hat, daß ihr nur aus dem Klassen­kampf das Heil erblüht, und daß der Besiz und Gebrauch der politischen Macht die wichtigste Waffe in diesem Kampfe ist.

Das klassenbewußte Proletariat tritt für den Acht­stundentag ein, als für ein revolutionäres Mittel zu einem revolutionären Zweck.

So feiern die proletarischen Männer und Frauen den 1. Mai nicht als ein Symbol dafür, daß die moderne, zukunftsklare Ar­beiterbewegung eingetreten ist in die Aera der Wassersuppen­reform, in die Aera   einer schwächlichen Realpolitik". Um­gefehrt. Sie bekräftigen durch die Feier in nachdrücklichster Weise, daß das Proletariat auf dem Plan steht, gewehrt und gewappnet, so kampfesfroh, so unversöhnlich, so revo­lutionär mit einem Wort, als je zuvor. Die Losung:" Her mit dem gefeßlichen Achtstundentag, her mit einer durchgreifenden Arbeiterschutzgesetzgebung!", sie klingt aus in dem stolzen Ruf: Es lebe das revolutionäre Weltproletariat! Es lebe der Welt- Mai der befreiten Arbeit!"

Der 18. März.*

--

58

Der 18. März ist dieses Jahr von der klassenbewußten deutschen Arbeiterschaft großartiger und allgemeiner gefeiert worden als je vor­her. Ueberall, wo aufgeklärte und organisirte Proletarier im Kampfe für ihre Befreiung stehen, da wurde der 18. März festlich begangen, da wurde in Dankbarkeit und Verehrung Derer gedacht, die vor 46 Jahren in Berlin   im Kampfe gegen den Absolutismus gefallen, da wurde mit Begeisterung die Erinnerung wachgerufen an die Kommune vom 18. März 1871, an die erste Besitzergreifung der politischen Macht durch das Proletariat von Paris  . Und überall, wo die deutsche Arbeiterklasse ihre großen geschichtlichen Tage und ihre Vorfämpfer ehrte, da befanden sich viele Frauen unter den Feiernden. Auch das weibliche Proletariat erwacht zum Bewußtsein seiner Lage, zum Bewußtsein seiner Pflichten in den Kämpfen unserer Zeit. Aufgeklärt, zielbewußt, kampffroh stellt es sich in Reih und Glied der Freiheitsstreiter, in Reih und Glied der Sozialdemokratie. Das zeigte ein Blick auf die Tausende und Abertausende von prole­tarischen Frauen, welche zusammen mit ihren männlichen Klassen­genossen voll Begeisterung an der Feier des 18. März theilnahmen. Am großartigsten gestaltete sich vom herrlichsten Frühlings­wetter begünstigt die Feier natürlich in Berlin  . Schon von früher Morgenstunde an strömten viele Tausende dem Friedrichshain   zu, wo sich die Gräber der am 18. März 1848 im Kampfe für die Freiheit Gefallenen befinden. Und bis zur Stunde des Schlusses wurde der fleine Friedhof nicht von Besuchern leer. In dichtgedrängten Reihen bildete die Menge vom Friedhof bis zur Landsberger Allee   eine un­unterbrochene Kette. In kleinen Abtheilungen wurden die Vordersten auf dem Friedhof zugelassen, und dem frei gewordenen Raum ent­sprechend rückten die Schaaren langsam vor. Am Ende der Kette schlossen sich stets wieder neue Hunderte von Wartenden an. So bewegte sich langsam und schrittweise ein stundenlanger, ununter brochener Zug an den Gräbern der Freiheitskämpfer vorüber. Eine schier erdrückende Fülle von prächtigen Kranzspenden wurde hier nieder gelegt. Die Kranzschleifen leuchteten meist in feurigem Roth und waren mit entsprechenden Widmungen versehen. Viele von ihnen fielen der Inschriften wegen der Scheere der polizeilichen Zensur­behörde zum Opfer. Die verstümmelten Schleifen sprachen dafür um so beredtere Worte. Nach dem Vorwärts" sind weit über 500 Kränze auf den Gräbern der Märzgefallenen niedergelegt worden. Mit ver­schwindenden Ausnahmen wurden sie alle von dem kämpfenden Prole­tariat gewidmet. Nur vier bürgerlich- ,, demokratische  " Organisationen waren durch Blumenspenden vertreten. Das deutsche Bürgerthum schämt sich seiner revolutionären Vergangenheit, obgleich es dieser * Wegen Raummangels verspätet.

seine jetzige politische Machtstellung verdankt. Dagegen gab es in Berlin   und Umgegend wohl keine politische und keine gewerkschaft­liche Organisation, keinen Leseklub 2c., welche nicht die Märzgefallenen durch Kränze ehrte. Auch aus der Ferne waren Kranzspenden ein­

gelaufen, so aus Stettin  , aus Arnsberg   2c. Besonderes Aufsehen erregte ein Kranz, den die Sozialisten aus Südafrika  " gesendet hatten. Viele der Kränze rührten von Genossen und Genossinnen zusammen her. Prachtvolle Kränze waren außerdem niedergelegt worden von der Berliner   Frauen- Agitations- Kommission, von den Handlungs­gehilfinnen und von den Plätterinnen.

Im Laufe des Vormittags fanden in Berlin   zehn Versamm lungen statt mit der Tagesordnung: Die Bedeutung des 18. März für das Proletariat." Die Versammlungslokale waren überall von Männern und Frauen bis auf den letzten Platz gefüllt, ja überfüllt; mehrfach sperrte die Polizei die Säle ab. Die Versammlung, wo Liebknecht   referirte, sandte an Genossen Lafargue   in Paris   folgendes Telegramm ab: 3000 zur Feier des 18. März in den Germaniasälen Berlin   versammelte Sozialisten senden brüderlichen Gruß den fran­ zösischen   Genossen. Neun weitere zur selben Zeit tagende Versamm­lungen denken ebenso wie wir und rufen: Es lebe die Kommune, es lebe das internationale Proletariat."

Die in der Umgegend von Berlin   einberufenen Versammlungen waren gleichfalls überaus gut besucht und voller Begeisterung. Auch in anderen Städten verlief die Feier des 18. März in würdiger und großartiger Weise, so z. B. in Hamburg  , wo nicht weniger als fünfzehn Versammlungen stattfanden, in Breslau  , Dresden  , Stuttgart  , Leipzig  , Stettin   2c. 2c. In Nürnberg   wurde die Feier gegen ihr Ende hin durch das Eingreifen der Polizei etwas gestört. Der dienstlich anwesende Polizeibeamte fühlte sich an dem Abend sehr gesellschaftsretterisch angelegt. Er konfiszirte zuerst eine Sammelliste, welche ein Schneider für seine streifenden Kollegen herum­gehen ließ. Dann verbot er den Vortrag der Marseillaise   mit der Begründung, daß sie ein politisches Lied sei, und daß durch ihren Gesang das Fest zu einer politischen Versammlung werde, die wegen der Anwesenheit von Frauen und Kindern aufgelöst werden müsse. Grillenberger, als Einberufer der Feier, protestirte gegen diese Auf­fassung. Da aber der Polizeibeamte erklärte, daß er ausdrücklichen Befehl habe, den Gesang der Marseillaise   nicht zu dulden, so mußte der Vortrag des Liedes abgebrochen werden. Die Menge gab die richtige Antwort auf diese kleinliche Chikane, indem sie mit der Wucht zorniger Begeisterung die Marseillaise als Massengesang anstimmte. Jeder Versuch des Polizeibeamten, zum Wort zu kommen, wurde durch" Beifallssalven" der Menge unterdrückt. Grillenberger ersuchte nun die Anwesenden, den Gesang einzustellen, da sonst die Feier als politische Versammlung aufgelöst werden würde. Der Polizeibeamte wollte sich jedoch noch nicht beruhigen, die Frauen und Minderjährigen sollten den Saal verlassen. Da es aber unterdeß fast Mitternacht geworden war, wo die Feier ihr Ende erreichen mußte, unterblieben schließlich weitere Maßregelungen, und das Fest endete friedlich.

In Wien   fand am 13. März, dem Gedächtnißtag der Wiener  Kämpfe, eine großartige Demonstration statt. Die bürgerliche Presse schätzt die Zahl der auf dem Zentralfriedhof vor dem Denkmal der Märzgefallenen Manifestirenden auf 50 000. Auch in Wien   war die Betheiligung der Frauen an der Feier eine überaus rege und be­geisterte. Die gewaltige Demonstration konnte den Herrschenden eine Mahnung sein, daß sich das arbeitende Volk Desterreichs nicht länger mehr mit dem bestehenden Wahlunrecht abfindet, daß es sich aber auch nicht durch eine verkrüppelte, heuchlerische Wahlreform abspeisen lassen wird, daß es entschlossen ist, unter der Führung der Sozial­demokratie die so besonnen und energisch begonnene Bewegung für das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht kraftvoll und zielbewußt zu Ende zu führen.

Arbeiterinnen- Bewegung.

- In der Zeit vom 15. März bis 11. April fanden öffentliche Versammlungen statt in: Berlin  , öffentliche Versammlung aller im Kürschnergewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen: Die Lage der im Kürschnergewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen, und welches ist für sie die beste Organisationsform?"( Genosse Kobis­Hamburg); öffentliche Versammlung der Arbeiter und Arbeiterinnen aller Branchen der Schuhindustrie: Die Bedeutung der Gewerbe­gerichte für die Arbeiter"( Genosse Dr. Herzfeld); zwei öffentliche Ver­sammlungen der Tabakarbeiter und Arbeiterinnen: Das Verhalten der Firma Leopold in Haynau   i. Schl. gegenüber ihren Arbeitern und die praktizirten Lohnreduktionen"( Genosse Stolz); öffentliche Versammlung der Textilarbeiter und Arbeiterinnen: Bericht über die Thätigkeit der Kommission"( Genosse Wagner); öffentliche Versamm­