ruhen, wo es ohne schweren Schaden geschehen konnte. Die in Berlin , Hamburg , Dresden , Leipzig , Chemnitz , Braunschweig , Stutt gart 2c. 2c. für den Vormittag einberufenen sehr zahlreichen gewerkschaftlichen und politischen Versammlungen, die Nachmittagsspaziergänge, Massenausflüge 2c. zeigten, daß die Zahl der Nichtarbeitenden die Erwartungen übertraf. Hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo auch das deutsche Proletariat die Maifeier in der würdigsten und eindrucksvollsten Form, durch allgemeine Arbeitsruhe begehen wird. Jedenfalls ist sie auch so bedeutend genug ausgefallen, um den Gegnern zu denken zu geben. Bezeichnend ist es, daß im Anschluß an ihre Maifeierbetrachtungen verschiedene kapitalistische Organe wieder nach einem Ausnahmegesetz wimmern. Und die verbismarckte„ Münchener Allgemeine Zeitung" erklärt:„ Die sozialistische Bewegung ist zweifellos immer noch in raschem Anwachsen begriffen, und der Zeitpunkt dürfte nicht mehr allzu fern sein, wo das Stärkeverhältniß sich umkehrt und das organisirte Proletariat sich in der Lage sieht, der Gesellschaft seine Bedingungen aufzuerlegen."
Am großartigsten und gewaltigsten hat auch diesmal wieder Oesterreichs Proletariat seinen revolutionären Maitag begangen. Die Kundgebungen, welche allerorten stattfanden, übertrafen die der vorhergehenden Jahre, und das will viel sagen. Sie zeugten beweisfräftig von der Kraft, Energie und Zielflarheit, aber auch von der flugen Selbstzucht und Selbstbeherrschung der österreichischen Arbeiterklasse. Unter den in Desterreich obwaltenden Umständen ist es nicht hoch genug anzuschlagen, daß auch die letzteren Eigenschaften zur vollen Geltung kamen. Die Maifeier sollte nicht blos eine Demonstration sein für den Achtstundentag, sondern auch für die politische Gleichberechtigung der Arbeiterklasse. Die von der sozialdemokratischen Partei geführte, von den breiten Massen getragene Wahlrechtsbewegung mit ihren Riesendemonstrationen des vorigen Jahres, die Verhandlungen und Beschlüsse des letzten Wiener Parteitags in der Frage haben den Schrecken der Besitzenden und der Regierung zur blinden, besinnungslosen Wuth gesteigert. Sie ließen fein Mittel unversucht, die Kundgebung des Volkswillens am ersten Mai zu unterdrücken. Das organisirte Unternehmerthum drohte die schärfsten Maßregeln für den Fall der Arbeitsruhe an; die Behörden thaten das Gleiche, unglaublich zynisch traten sie die dem Volke in der Verfassung verbrieften färglichen Rechte mit Füßen: die Preßfreiheit wurde durch die Konfiskation einzelner Artikel und ganzer Maiflugblätter, durch Beschlagnahme von Postsendungen so gut wie auf gehoben, die Redefreiheit, das Vereins- und Versammlungsrecht durch polizeiliche Willkür schmachvoll verkümmert. Systematisch wollte man Schrecken in die Reihen der Arbeiter und Arbeiterinnen säen, systematisch wollte man ihren gewaltthätigen Widerstand herausfordern, damit dann im Interesse der Ordnung" der Säbel hauen und die Flinte schießen fönnte. Aber an der Einsicht und Disziplin unserer österreichischen Genossen und Genossinnen scheiterten alle diese Machenschaften. Sie ließen sich weder ins Bockshorn jagen noch provoziren. Mit besonnener, zäher Energie hat Desterreichs Arbeiterklasse den feindlichen Gewalten ihre Maifeier abgetrott, und bei aller Zielflarheit und revolutionären Begeisterung hat sie ihrer Kundgebung eine überlegene Ruhe und Würde gewahrt, welche sogar den Gegnern Bewunderung abringt. In den großen Städten und Industriezentren des Reiches war die Arbeitsruhe eine so gut wie vollständige. Sogar die Mitglieder des protzigen Verbandes der Industriellen mußten sich damit abfinden, daß ihre Lohnsklaven und Lohnsklavinnen am ersten Mai feierten, vielfach waren sogar die Staatsbetriebe gezwungen, ihrer Arbeiterschaft freizugeben. Besonders vollständig führten die Buchdrucker die Arbeitsruhe durch, in Wien ist am 2. Mai auch nicht eine Zeitung erschienen. In Wien waren sämmtliche 24 Morgenversammlungen überfüllt. Am Ausmarsch in den Prater betheiligten sich 80 000 Arbeiter und Arbeiterinnen. Der strömende Regen beeinträchtigte in nichts die Großartigkeit der Demonstration, umgekehrt, er ließ dieselbe um so eindrucksvoller hervortreten, denn er hielt ihr alle müßigen Gaffer fern, so daß es thatsächlich nur das revolutionäre Proletariat war, welches in geschlossenen Reihen die Straßen füllte und nach dem Prater zog. In dem Riesenzuge wurden zahlreiche rothe Banner und Tafeln getragen mit Inschriften, welche auf die Bedeutung des ersten Mai Bezug hatten, so:„ Hoch der Achtstundentag!"," Nieder mit der Ausbeuterei!"," Heraus mit dem Wahlrecht und der Preßfreiheit!"," Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" Der Auf- und Abmarsch der Masse vollzog sich in vorzüglicher Ordnung, so daß nach einem bürgerlichen Blatt die Maifeier bewiesen hat, daß die organisirten Massen selbst fähiger sind, die Ordnung aufrecht zu erhalten, als die Polizei, daß sie ohne Polizei sich selbst zu regieren verstehen". In Brünn , Prag , Krakau , Lemberg , Salz burg , Graz, Budapest , Triest , Czernovitz 2c. 2c. fanden gleichfalls glänzende Massenkundgebungen statt.
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In Frankreich bürgert sich der erste Mai mehr und mehr als Feiertag des Proletariats ein, so daß sogar manche bürgerlichen Abgeordneten die Absicht haben, die offizielle Anerkennung des Festes von der Regierung zu fordern. Wie jedes Jahr, so überreichten auch diesmal Delegirte der sozialistischen Arbeiterpartei( Marristen) und mehrerer großer gewerkschaftlicher Organisationen der Kammer die Forderungen des Proletariats auf Einführung des Achtstundentags, eines Mindestlohnes, Abschaffung der Zwischenunternehmer, der privaten Arbeitsnachweisbureaus 2c. Aber zum ersten Male wurden die Delegirten nicht von bürgerlichen Abgeordneten empfangen, sondern von der sozialistischen Fraktion der Kammer, und zum ersten Male hatte das Proletariat der Provinz zahlreiche Delegirte entsendet, so die Industriestädte Calais , Roubaix , Marseille , Lille, Lyon , Carcassonne , Cambray, Narbonne , Bordeaux , Montluçon , Tourcoing , Romilly. Im Laufe des Tages fanden in Paris mehrere sehr gut besuchte, begeisterte Versammlungen statt. In den bereits genannten Orten und in vielen anderen wurde der erste Mai durch Versammlungen, Umzüge, Festlichkeiten unter großer Betheiligung gefeiert. Bedeutsam ist, daß der Maitag dies Jahr auch in vielen ländlichen Kommunen und ganz fleinen Industrieorten festlich begangen wurde. In Paris und vielen anderen Städten war den kommunalen Arbeitern am ersten Mai Arbeitsruhe bewilligt worden, in Calais , Noubaix und einer ganzen Reihe von Industriezentren blieben Fabriken und Werkstätten geschlossen. Die Maifeier ergreift auch in Frankreich mit jedem Jahre größere Schichten der Bevölkerung, und die Zahl der Nichtarbeitenden steigt gleichfalls.
In England sind leider die organisirten Arbeiter vom Beschluß des Züricher Kongresses abgewichen. Nur ein Bruchtheil von ihnen hielt an der Feier des ersten Mai fest und beging ihn durch ein Meeting im Hyde- Park, zu dem sich immerhin eine stattliche Menge eingefunden hatte. Den Züricher Rongreßbeschlüssen zuwider, denen die englischen Delegirten einstimmig beigepflichtet hatten, fand die Hauptfeier erst am 6. Mai gleichfalls im Hyde Park statt. Sie gestaltete sich auch diesmal wieder zu einer imposanten Kundgebung; Lafargue und Guesde sprachen im Namen der französischen, Vander velde im Namen der belgischen Genossen.
Die Arbeiterklasse der Schweiz bewies am ersten Mai gleichfalls, daß sie, in brüderlicher Solidarität mit dem Proletariat der ganzen Welt verbunden, kampffreudig und pflichttreu auf dem Plane steht. In Zürich , Basel , Bern , Genf , St. Gallen , Winterthur , Chauxde- Fonds 2c. 2c. fanden in Gestalt von Versammlungen, Umzügen, Festveranstaltungen erhebende Kundgebungen des Proletariats statt.
In Italien ist die Maifeier über alles Erwarten gelungen. Das italienische Proletariat hat trotz der Knebelung Siziliens und des weißen Schreckens in Massa Carrara energisch kundgethan, daß es eines Sinnes, eines Willens mit der revolutionären Arbeiterklasse der ganzen Welt ist. Zum großen Bedauern der italienischen Bourgeoisie und der Regierung des Herrn Crispi- die gern ein Ausnahmegesetzchen gegen die Arbeiter ganz Italiens erschwindelt hätten- ließen sich die Feiernden nirgends zu Gewaltthätigkeiten aufreizen. Bei dem leidenschaftlichen Temperament der Italiener, den geradezu grauenhaften sozialpolitischen Zuständen im Lande und den unverschämten Herausforderungen der staatlichen Gewalten ist der ruhige Verlauf der Maifeier in Italien besonders anerkennenswerth und beweist den erzieherischen Einfluß der jungen sozialdemokratischen Partei. Besonders schön war die Maifeier in Mailand , Rom , Imola , Ferrara , Turin , Ravenna 2c. Einen sehr ergreifenden Eindruck machte in Rom das Armenbankett, das die organisirten sozialistischen Bäcker 300 Arbeitslosen gaben.
In Amsterdam , Haag, Brüssel , Gent und vielen anderen Städten Hollands und Belgiens , sowie in Schweden und Norwegen nahm die Maifeier einen großartigen Verlauf. Nach den bis jetzt vor liegenden Nachrichten soll dieselbe auch in New York von mehr als 20 000 Personen glänzend begangen worden sein.
Kurz überall, wo die moderne Industrie sich entwickelt und die Klassengegensätze zwischen Reich und Arm zugespitzt hat, fand sich am ersten Mai die Masse der Ausgebeuteten im Namen des Sozialismus zusammen. In einer Erkenntniß, einem Willen geeint, schleuderte sie der kapitalistischen Gesellschaft ihre Forderungen, ihre Kriegserklärung ins Gesicht; einer Hoffnung voll, stärkte sie ihren Muth zur harten Alltagsarbeit für die Existenz und für den Befreiungskampf durch das Bewußtsein von der internationalen Solidarität und von der Unaufhaltsamkeit des proletarischen Sieges; stolz- freudig erklärte sie den herrschenden Gewalten:„ Mein die Welt, trotz alledem!"
* Ausführlicher Bericht über die Maifeier in England liegt beim Abschluß dieser Nummer noch nicht vor.