nehmen dürften. Beweis dafür: der Vorsitzende des sozialdemokratischen Vereins war zufälligerweise Vorsitzender der Versammlung! In Braunschweig verfiel die Versammlung, in welcher Genossin Rohrlack sprach, und über die wir weiter oben berichteten, gegen Schluß der Auflösung, als die Rednerin ausführte, mit welchem Raffinement die Fabrikanten die Gesetzesbestimmungen über die Kinderarbeit umgehen. Wie schade, daß die hohe Löbliche nicht mit der gleichen Eile bei der Hand ist, wenn es gilt, die zahlreichen und frechen Uebertretungen des Arbeitsschutzgesetzes durch die Herren Schlotjunker zu ahnden. Sollte die würdige Dame Hermandad wohl gar zweierlei Maß und Gewicht in ihrem Sack haben? Auch in Nürnberg mußte wieder einmal die Gesellschaft durch die Auflösung einer Versammlung gerettet werden. In einer öffentlichen Volksversammlung mit der Tagesordnung: Die Bedeutung eines Arbeitersekretariats"( Genosse Dertel) waren zahlreiche Frauen erschienen. Der Polizeibeamte forderte deren Entfernung und da sich der Vorsitzende weigerte, diesem Ansinnen nachzukommen, so wurde die Versammlung aufgelöst. Bemerkt muß noch werden, daß dreißig Schußleute aufgeboten waren, um die durch die gefährlichen Nürnbergerinnen schwer bedrohte und ins Wackeln gekommene Ordnung zu schützen. In München verbot die Polizei die für den 1. Mai einberufene Arbeiterinnenversammlung, und die fönigliche Behörde von Schwaben hat die Beschwerde abgewiesen gegen den Ausschluß der Frauen, Kinder und Nichtreichsangehörigen von der Märzfeier zu Augsburg . Ueberall, wo das weibliche Proletariat klassenbewußt und kampfbereit auf den Plan tritt, da ist auch die liebe Polizei geschäftig, durch kleinliche Chikanen und große Brutalitäten seine Aufklärung und Organisation zu hintertreiben. Mit all ihrer Liebesmüh' wird sie jedoch die Betheiligung der proletarischen Frauen am Klassenkampf so wenig vereiteln, als der bekannte Schneidergeselle das Ausbleiben der Donau in Wien dadurch bewirken konnte, daß er mit seinem Fuß den Abfluß der Donauquelle verstopfte. Die Donau fließt weiter, liebe Polizei!
- Altenburg . Am 6. September 1893 wurde hier ein Frauenbildungsverein gegründet, welcher sich bis jetzt trefflich entwickelt hat und zu den besten Hoffnungen berechtigt. Er zählt gegenwärtig zirka 70 Mitglieder, welche mit regem Eifer danach streben, die Organisation zu entwickeln und Aufklärung in die Masse der Proletarierinnen unserer Stadt zu tragen. Damit sich möglichst viel Frauen und Mädchen dem Verein anschließen können, ist der Mitgliedsbeitrag auf 25 Pfg. monatlich festgestellt, wofür noch die„ Gleichheit"
darüber inquiriren, wer sich am ruhigsten den Flurnachbarn gegenüber verhalte, so müßte man sich mit der Nennung desselben Namens bescheiden. Schließlich wäre es nicht unerhört, die Worte über sich ergehen zu lassen: die Rührmunden ist eine gute, gottesfürchtige Frau; sie bringt ihr Leben damit hin, gegen geringes Entgelt arme Kinder wie die eigenen zu hegen und zu pflegen.
Die Mutter der Engel hat wie alle Menschen, welche mit der Zeit ein Raffinement sich angeeignet haben, das gerade genügt, um die Welt zu täuschen ihre Antecedentien. Ihr Seliger war einer jener Männer, welche Alles versuchen und denen nichts gelingt, weil sie nichts Vernünftiges gelernt haben. Dieser verfehlte Beruf treibt zum Agententhum: Geldvermittler, Kommissionär für die verschiedensten Dinge, Rathgeber in heiflen Angelegenheiten, in denen das Zuchthaus eine große Rolle spielt, sind die Titulaturen derer, welche in diesem schmutzigen Strome schwimmen. Madame Nührmund hatte also eine gute Schule. Als sie Witwe wurde, legte sie sich aufs Zimmervermiethen, wobei es nicht immer sehr reinlich zuging. Dann kam ihr ein ihrer Meinung nach glücklicher Gedanke, den sie ausführte: sie machte einen Hebammenkursus durch und ließ am Hause ein elegantes Schild anbringen mit dem bekannten Draht, der die Wand hinauf zu laufen scheint. Was lernte Madame in ihrem neuen Metier nicht Alles, was für Einblicke in gewisse Familienverhältnisse bekam sie nicht! Sie hätte jedenfalls auf noch mehr Kundschaft hoffen dürfen, als sie nach zweijähriger Etablirung bereits besaß, wenn ihr nicht als„ fluge Frau" eine kleine Unregelmäßigkeit passirt wäre, die sie auf die Anklagebank brachte. Zu ihrem Glück wurde sie wegen Mangels von Beweisen von dem Wollspinnen in ,, ausgewählter Gesellschaft" gerettet, aber der ferneren Ausübung ihres Berufes für verlustig erklärt. Ihre neueste und erfolgreichste Periode begann.
Eines Tages ging sie durch die Straßen, als ihr Fräulein Meta begegnete: eine leichtsinnige Ladenmamsell aus der Kommandantenstraße, welche von ihrem Chef verführt worden und
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gratis geliefert wird. Bei Gründung der Organisation äußerten Anhänger der Nichts- als- Aschenputtelrolle der Frau die Ansicht, der Verein werde nur ein Klatschverein sein. Nun, der Verein hat durch seine bisherige Thätigkeit diese Prophezeiung glänzend widerlegt. Er treibt keine bloße Frauenvereinsspielerei, sondern erachtet es als seine Hauptaufgabe, in seinen Mitgliedern das Klassenbewußtsein zu wecken und zu kräftigen und ihre Bildung auf verschiedenen Gebieten des Wissens zu fördern. Zu diesem Zwecke bietet er in seinen Versammlungen Vorträge und Vorlesungen, an die sich meist recht anregende Diskussionen anschließen. In der Erkenntniß, daß es der vielbeschäftigten Frau oft schwer fällt, die Muße zur Lektüre einer Zeitung zu finden, werden außerdem regelmäßig die wichtigsten Artikel der„ Gleichheit" vorgelesen. Hervorgehoben muß werden, daß die Vereinsversammlungen ausnahmslos sehr gut besucht sind, nämlich stets von 50-60 Mitgliedern. Die Kassenverhältnisse des Vereins sind so günstige, daß er bereits der Berliner Agitationskommission 20 Mt. zu Propagandazwecken senden konnte. Die zielbewußte und energische Thätigkeit des Vereins trägt wesentlich dazu bei, daß die Altenburger Proletarierinnen Verständniß und Sympathie für die allgemeine sozialistische Arbeiterbewegung bekommen, daß sie die politischen Vorgänge mit regem Interesse verfolgen und ihre Männer aneifern, sich als klassenbewußte Proletarier zu fühlen und als solche zu handeln. So weicht seitens der Männerwelt mehr und mehr das Vorurtheil, die Frau solle sich nur um ihre Wirthschaft kümmern und der Bewegung fernbleiben. Dagegen faßt die Ueberzeugung immer festeren Fuß, daß der Sieg erst dann der Arbeiterklasse werden kann, wenn auch die Frauen wacker mitkämpfen. In treuer Ideen- und Kampfesgemeinschaft mit der sozialistischen Arbeiterbewegung wird der Bildungsverein der Altenburgerinnen auch in der Zukunft seine Pflicht voll und ganz zu thun streben.
E. B.
Agrarische Unverfrorenheit im Reichstage.
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Die Sippschaft Derer von und zu Jhenplitz und Köferitz läßt sich angelegen sein, mit Ausdauer zu beweisen, daß sie in direkter Linie von den mittelalterlichen Raubrittern abstammt und den raffgierigen Gepflogenheiten ihrer aus dem Stegreif lebenden Vorfahren treu geblieben ist. Die Ausbeutung fremder Arbeit, ein„ standes
* Wegen Raummangel unlicb verspätet.
vor sechs Monaten unter dem Beistande von" Madame" Mutter geworden war. Wie ein aufgeblähter Pfau kam sie daher gerauscht. Der Puppenkopf drehte sich jedem Schaufenster zu, um in der Spiegelscheibe das schwarze Satinkleid mit unzähligen Volants. ( das neueste„ Beruhigungsangebinde" des Herrn Chef), welches prallsigend die unkeuschen Glieder umschloß, einer Musterung zu unterwerfen. Fräulein Meta zeigte trotzdem eine mürrische Miene. Ihre Stiefmutter, der das späte Ausbleiben der lebenslustigen Tochter nicht mehr behagte, hatte sie sammt ihrem Kinde vor die Thür gesetzt. Für das lettere, welches zeitweise bei einer Freundin aufgehoben war, mußte also eine Pflegefrau beschafft werden. Madame Rührmund hatte sofort ihren Plan gemacht. Hier war ein Stück Geld zu verdienen, ohne daß man viel zu ristiren hatte. Dieser liebe, süße, gute Engel von Kind, mit den großen blauen Augen, sollte in ganz fremde Hände kommen? Gott bewahre! Zu was wäre sie, die allbekannte Rührmunden mit dem guten Herzen, denn vorhanden, wenn sie nicht solcher Würmer sich an= nehmen sollte?! Fräulein Meta war hocherfreut, man wurde bald einig, und die herzensgute Frau" übernahm das Kind mit dem ihr ein Dußend Mal versicherten Trost, daß„ Er" durchaus nicht knausere. Die Rührmunden ließ sich das Pflegegeld, pro Monat acht Thaler, für jedes Quartal vorausbezahlen; nachdem vier Monate vergangen waren, starb der Knabe an Entkräftung meinte der Arzt, an Brechdurchfall versicherte die Mutter des ersten Engels" Jedermann im Hause; die Milch tauge in der ganzen Gegend nichts! Dieser süße, kleine Knabe, was hätte aus ihm nicht Alles werden können! Wie lieb habe sie ihn nicht gehabt! Verstohlen fuhr die Hand nach dem Auge, um eine Thräne zu suchen, die jeder Zuhörer erwartet haben würde, nur nicht sie. Als Fräulein Meta am selben Abend, benachrichtigt von dem Tode ihres Erstgeborenen, die vier Treppen empor gestiegen war, heulte sie auf nach der Manier von trauernden Menschen, denen das Schluchzen nicht aus der Seele kommt, die
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