Interessen der Industrie, daß er zu schweren inneren Rämpfen führen müsse. Die Junker verlangten das Recht, daß ein paar Tausend Ritter von der traurigen Defonomie einen bestimmten Mindestbetrag aus den Taschen der deutschen Brotkonsumenten nehmen dürften. Durch den Antrag solle die Lebenshaltung der Aermsten der Armen zurückgeschraubt werden, damit etliche reiche Leute ihre Ansprüche ungeschmälert befriedigen könnten. Deutschland sei kein Patrimonium ( Erbe) für Majoratsherren und ihre Abkömmlinge. Wenn die Gesellschaftsschicht des Grafen Kanik nur zu erhalten sei um den Preis von Deutschlands Ehre und auf Kosten der ärmsten Teufel, dann fort mit ihr, und je eher, desto besser.
Bedeutsam waren auch die Ausführungen des Reichskanzlers Caprivi, der im Namen der Regierung die Begehrlichkeit der Junker fräftig zurückwies. Er machte dabei u. A. geltend, daß 69 Prozent aller Landwirthe kleine Parzellenbesitzer seien, die kein Getreide verkaufen und aus seiner Preissteigerung keinen Nuzen ziehen. Dagegen drücke die Brotsteuer in unerträglicher Weise die ärmsten Klassen, die weniger leistungsfähig sind und relativ das meiste Brot konsumiren. Die logische Folge dieser Ausführungen wäre, daß die Regierung einen Antrag einbrächte auf Aufhebung jedes Getreidezolls, da der= selbe eingestandenermaßen den Kleinbauern nichts nüht und die arme Masse schwer belastet. Aber natürlich bleibt es in der Hinsicht seitens der Regierung beim Mundspißen, zum Pfeifen wird es erst einmal kommen, wenn andere Mächte dazu zwingen.
In der Abstimmung wurde der Antrag Kanit mit 159 gegen 46 Stimmen abgelehnt. Für ihn waren außer der Garde der Stockagrarier nur noch die anwesenden Antisemiten, die bei dieser Gelegenheit wieder einmal das reaktionäre Eselsohr aus der demagogischen Löwenhaut hervorlugen ließen. Hoffentlich schreiben sich diese Thatsache die kleinen Leute hinters Ohr, die naiv genug gewesen sind, auf die Schaumklöße dieser Radaubrüder hineinzufallen.
Die kalte Douche der Reichstagsverhandlungen und Abstimmung hat die Begehrlichkeit der Agrarier nicht abgekühlt, geschweige denn furirt. Die Kreuzzeitung " und andere Organe der echt deutschen und gut christlichen Brotwucherer drohen bereits, daß der Antrag in nächster Session wieder im Reichstag eingebracht werden wird. Auch andere Forderungen werden bereits die Hülle und Fülle erhoben, so auf ein Heimstättengesetz, auf Reform der Branntweinsteuer, auf Einführung eines Wollzolls 2c. 2c. Der Wunschzettel wird natürlich während des Sommers ausgenutzt zum„ Bauernfang" in des Wortes eigenster Bedeutung. Die sektdurstigen Krautjunker werden schreien, schreien, schreien, die wirklich nothleidenden und über die Ursache ihres Elends getäuschten Kleinbauern werden ihnen Chorus machen, und wenn Herr Miquel noch Finanzminister sein sollte, so wird er schon irgend ein Millionengeschenk ausflügeln, um seinen Freunden das Maul zu stopfen. Michel aber muß dann im Interesse der ,, vaterländischen" Landwirthschaft blechen. Das Vaterland erinnert sich stets, daß Michel da ist, die Kanaille, wenn es ans Zahlen geht.
Die Wirkungen der Gewerbeordnungs- Novelle auf die Beschäftigung von Kindern und jugendlichen Arbeitern.
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Am 1. April 1892 traten bekanntlich die neuen gesetzlichen„ Schutzbestimmungen" für Kinder, jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen in Kraft. Der„ Schutz" besteht in der Beschränkung der Arbeitszeit weiblicher, kindlicher und jugendlicher Arbeiter, im Verbot der Beschäftigung von Kindern unter 13 Jahren in Fabriken, in der Festsetzung bestimmter Pausen und in anderen kleineren, resp. kleinlichen Bestimmungen. Bei der Berathung dieses Gesetzes und bei seinem Inkrafttreten ist von Seiten der Sozialdemokratie nachdrücklich darauf hingewiesen worden, daß die betreffenden Bestimmungen schon deswegen wenig werthvoll seien, weil sie nicht auf die Hausindustrie ausgedehnt würden. Bemängelt wurde außerdem mit Recht, daß viel zu viel Ausnahmefälle vorgesehen sind, daß die Altersgrenze für das Verbot der Kinderarbeit, sowohl in der Fabrik wie in der Hausindustrie, nicht mindestens auf das vollendete 14. Lebensjahr festgesetzt worden sei 2c. 2c.
Wie recht die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, wie recht die sozialdemokratischen Zeitungen mit ihrer Kritik der Schutzbestimmungen hatten, das erhellt deutlich genug aus den amtlichen Berichten der Gewerbeinspektoren. Sehen wir zuerst, wie die gesetzlichen Maßregeln bezüglich der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter gewirkt haben.
Im Dezember 1890 war eine Statistik über die Beschäftigung kindlicher und jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen in Fabriken aufgenommen worden. Im Dezember 1892 geschah das Gleiche, nur mit
dem Unterschied, daß nun auch die Zahl der Fabrifarbeiterinnen fest= gestellt wurde, die über 16 Jahre alt waren. Man kann also an der Hand der amtlichen Statistiken nachweisen, ob und inwieweit die neuen Bestimmungen der Gewerbeordnungs- Novelle eine Zunahme oder Abnahme, bezw. eine Verschiebung der Beschäftigung männlicher und weiblicher jugendlicher Arbeiter in den Fabriken zur Folge hatten.* Aus diesem Nachweis ergiebt sich von selbst ein Rückschluß auf den Grad der Ausbeutung, dem die jugendliche Arbeitskraft in der kapita listischen Gesellschaft ausgesetzt ist und auf den Schutz, den das Gesetz den kindlichen und jugendlichen Arbeitern angedeihen läßt. Die amtlichen Quellen enthalten in dieser Beziehung recht interessante Thatsachen, Zahlen, welche den gesetzlichen Schutz der jugendlichen Arbeit gegen die kapitalistische Ausbeutung als noch recht ungenügend erfennen lassen.
Die Zahl der in Fabriken beschäftigten Knaben im Alter von 12-14 Jahren betrug 1890
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13-14
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1892
17 254, 7315.
Im Vergleich zu 1890 waren 1892 mithin 9939 Knaben unter 14 Jahren weniger in Fabrifen thätig. Die Zahl der männlichen Fabrifarbeiter jugendlichen Alters, unter 14 Jahren, ist also durch das Eingreifen des Gesetzes um 57,6 Prozent zurückgegangen.
Die Zahl der in Fabriken thätigen
Mädchen im Alter von 12-14 Jahren betrug 1890.
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13-14
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1892.
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10 231, 3897.
Gegen 1890 arbeiteten 1892 also 6334 Mädchen unter 14 Jahre alt weniger in Fabriken. Die Zahl der weiblichen Fabritarbeiter jugendlichen Alters hatte folglich eine Abnahme erfahren von 61,9 Prozent.
Die Abnahme der Zahl der kindlichen Arbeiter ist in dem einen und anderen Falle dadurch entstanden, daß die Altersgrenze für die Fabrikarbeit der Kinder von 12 auf 13 Jahre erhöht wurde, daß das Gesetz dem Kapital in der Fabrikindustrie die unter dreizehnjährigen Arbeitskräfte entzog. Aus den obigen Zahlen erhellt, daß 1892 gegen 1890 mehr als die Hälfte weniger Knaben und Mädchen im Alter von unter 14 Jahren in die Fabriken gesperrt waren. Mit anderen Worten heißt dies, daß die Unternehmerklique mehr als die Hälfte ihrer kindlichen Lohnsklaven aus der niedrigsten Altersklasse rekrutirte, welche das Gesetz vor 1892 für die Ausbeutung der Kinderarbeit als zulässig erkannte. Man denke, in der Zeit von 1890-1892 waren mehr als die Hälfte der kindlichen Arbeiter und Arbeiterinnen unter 13 Jahre alt. Kinder dieses zarten, schonungsbedürftigen Alters waren lange Stunden des Tags in die Fabriken gesperrt, an die Maschinen gefesselt, verurtheilt zu schwerer, einförmiger Arbeit, zum Einathmen schlechter Luft, zum Schaffen unter Bedingungen, welche ihre Gesundheit, oft ihr Leben bedrohten. Der Umstand rückt die Profitgier der Kapitalistenklasse in die richtige Beleuchtung, aber auch das namenlose Elend des Proletariats. Die Profitwuth der Kapitalisten macht keinen Halt vor der Rücksicht auf Gesundheit und Lebenskraft der Kinder ,,, der delikaten Finger", der Billigkeit wegen„ schlachtet es diese ganz". Und die proletarischen Eltern werden durch ihre Armuth gezwungen, ihr eigen Fleisch und Blut der kapitalistischen Ausbeutung zu überliefern.
Nach den oben gegebenen Zahlen allein würde es erscheinen, als ob in Deutschland wunder etwas geschehen wäre, um die Ausbeutung der Arbeitskräfte jugendlichen Alters zu beschränken. Aber die Verhältnisse, die Wirkungen des Gesetzes stellen sich um Vieles ungünstiger dar, wenn man nicht blos fragt, wie viel Kinder gegen früher weniger in Fabrikbetrieben beschäftigt sind, sondern wie viel jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen jetzt weniger in den Fabriken stecken. Da zeigt sich denn freilich ein ganz anderes Bild. In der ganzen, dem Fabrikinspektorat unterstehenden Industrie( also ohne das Kleingewerbe und die Hausindustrie) waren
1892
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11
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1890 beschäftigt 156 008 männl. und 85 729 weibl. jugendl. Arbeiter, 135 619 72 632 Im Vergleich zu 1890 waren 1892 also 20389 männliche und 13097 weibliche jugendliche Arbeiter weniger beschäftigt. Das bedeutet eine Abnahme von 13,1 Prozent der männlichen und eine solche von 15,2 Prozent der weiblichen jugendlichen Arbeiter.
Diese Zahlen sollten doch Jene stuzzig machen, welche mit vollen Backen in die Welt hinaus posaunen, daß Deutschland das Land der Sozialreform ist, und daß die Gewerbeordnungs- Novelle mit ihren Bestimmungen das Non plus ultra der Arbeiterfreundlichkeit darstellt. Die Knaben und Mädchen bis zu 16 Jahren gehören nicht in die Fabrik. Sie gehören in Anstalten, wo ihr Geist und Charakter entwickelt wird, wo sie die Grundlagen einer guten, allgemeinen Bildung erhalten; in Anstalten, wo sie körperliche Kraft und Gewandtheit erwerben; in Fachschulen, wo sie eine gute, vernünftige berufliche Vor
* Vergl. ,, Amtliche Mittheilungen aus den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten" 1890 bezw. 1892.